Ingolstadt
Unheimliche Kräfte

Die Massenmotorisierung weckte früh Ängste

19.04.2013 | Stand 03.12.2020, 0:14 Uhr

Ein Charakteristikum des Denkens und Handelns in den sechziger und frühen siebziger Jahren ist die Planungseuphorie. Sie wurde von der Überzeugung gespeist, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen programmieren, steuern und mit vereintem Wissen beherrschen zu können.

Auch im zeitgenössischen Diskurs der Ingolstädter Politik ist viel von Programmen, Planungsmaßnahmen und Strukturplänen die Rede. Hier kommt noch ein ganz eigenes Moment dazu: Unbehagen. Die Stadt breitete sich mit solcher Macht aus, dass vielen angst wurde. Die Wucht des Wandels avancierte zur kollektiven Erfahrung und nährte das Bedürfnis, regelnd einzugreifen.

Viele Statistiken vermitteln einen Eindruck davon, welche Kräfte in den Sechzigern und Siebzigern frei geworden sind; Kräfte, die bis heute walten. Nur einige Beispiele: Zwischen 1959 und 1965 wurden in der Stadt Straßen auf einer Länge von 67 Kilometern ausgebaut, oder sie entstanden neu. 1965 umfasste das Straßennetz 256 Kilometer. Die Staus gewannen an Länge, weil die Zahl der Fahrzeuge explodierte. 1965 kamen 4,1 Einwohner auf ein Auto, 1971 noch 3,2. Die Zahl der Neuzulassungen stieg im gleichen Zeitraum um 41 Prozent. 1971 waren 19 993 Pkw gemeldet.

In diesem Tempo ging es weiter. Zwischen 1972 und 1982 wurden 100,6 Kilometer Straße aus- oder neu gebaut. 1972 kamen auf 1000 Ingolstädter 316 Autos, im Jahr 1982 schon 496. Heute sind es 672 Pkw.

Auch die Bodennutzung verdeutlicht die Wucht der Entwicklung: 1970 waren im Stadtgebiet 1626 Hektar mit Haus- und Hofflächen bebaut, 1979 bereits 1900 Hektar (die Gärten mitgerechnet). Die Verkehrsfläche wuchs im gleichen Zeitraum von 465 auf 1119 Hektar. Hier muss allerdings der Landgewinn nach der Gebietsreform 1972 berücksichtigt werden.

Die steigende Autoflut wurde früh als Problem erkannt. 1962 und wieder 1972 versuchte man – ein typisches Wort der Zeit – mit „Generalverkehrsplänen“ gegenzusteuern. 1961 stellte der DK fest: „Unter der Last der Verkehrsnot vollzieht sich auch im Ingolstädter Raum ein Gestaltwandel“. Man müsse verhindern, „dass die Gemeinden nicht irgendwann unter der Last der Misere auf den Straßen zusammenbrechen“, und alle Impulse „in der drohenden Überfülle ersticken“. Das Gebot der Stunde laute daher: „Großzügig und auf weite Sicht planen!“

„In gar nicht weiter Ferne“, befürchtete der Autor, könne es sein, dass mehr Autos angemeldet werden als Kinder zur Welt kommen. Doch es war längst so weit. 1962 wurden in Ingolstadt 1076 Kinder geboren. Und 2100 Autos neu zugelassen. sic