Ingolstadt
Drei Sprachen, zwei Kulturen, ein Glaube

Beim brasilianisch-deutschen Jugendaustausch werden Klischees überwunden und Freundschaften geknüpft

17.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:25 Uhr
Für ihr großes Abschiedsfest nach drei Wochen Austausch bereiten die Jugendlichen alles vor. −Foto: Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) São Paulo trifft auf Ingolstadt: 17 junge Brasilianer haben die vergangenen drei Wochen Deutschland und vor allem die Deutschen kennengelernt. Im Rahmen eines evangelischen Jugendaustausches haben viele zum ersten Mal Brasilien verlassen. Doch bei diesem Projekt haben nicht nur die Gäste einiges gelernt.

Als die Jugendlichen aus Südamerika vor drei Wochen mit dem Zug hier ankamen, waren auch ihre Austauschpartner nervös. In Tracht hätten sie am Gleis gewartet, ein Lebkuchenherz für jeden in der Hand, erzählt Eva Tullius, eine der deutschen Teilnehmerinnen. Darauf standen in Zuckerguss die Namen. Wer nun aber mit Pedro oder Miguel rechnet, täuscht sich. Das war eine der ersten Überraschungen: Die Jugendlichen aus Südamerika heißen zum Beispiel Klaus und Walter.

Das hat den einfachen Grund, dass viele aus der Gruppe Wurzeln in Deutschland haben. "Meine Urgroßmutter stammte von hier", erzählt zum Beispiel Klaus Timm aus Brasilien.

Doch das ist nur eine Gemeinsamkeit. "Wir hatten zunächst Bedenken, wie die Verständigung funktionieren wird", sagt Catharina Demmer, Jugendreferentin im Dekanat Ingolstadt, die die Aktion koordiniert, "doch der Glaube war der erste große Punkt, der uns verbunden hat. Am zweiten Tag haben wir einen Gottesdienst gefeiert und gemerkt: Die Lieder und Gebete sind gleich - nur in einer anderen Sprache. Das Vater unser zum Beispiel, das ist ein Rhythmus, ein Singsang."

Heute ist kaum vorstellbar, dass sich diese Jugendlichen einmal fremd waren. Am Freitagnachmittag bauen sie an der Matthäuskirche für das große Abschlussfest auf und bereiten einen Gottesdienst vor. Man müsse nur wissen, mit wem man in welcher Sprache kommuniziert, sagt Tullius und macht es gleich vor. Englisch, Deutsch und Portugiesisch werden verwoben und simultan übersetzt. "Es hat bis jetzt noch immer funktioniert, notfalls mit Händen und Füßen", sagt auch Becci Schloderer.

Und es gab viel zu reden, denn die drei Wochen waren voller Aktivitäten: Besuche in Berlin, im Konzentrationslager in Flossenbürg, in der Lutherstadt Wittenberg und am Tegernsee und Ausflüge in der Region zu Audi oder nach Riedenburg. Das Schönste dabei? "Gemeinsam zu sein", sagt Timm. Mittlerweile hat sich für viele deutsche Teilnehmer das anfängliche Bild des typischen Brasilianers gewandelt. "Ich hatte das Klischee eines energiegeladenen, enthusiastischen, humorvollen Brasilianers vor Augen", sagt etwa David Breidert, der die Gruppe als ehrenamtlicher Jugendleiter beaufsichtigt hat. Demgegenüber stehe oft das Bild des zurückhaltenden Deutschen. "Ich bin froh, dass diese Klischees nur zum Teil der Wahrheit entsprechen und wir alle sehr gut harmoniert haben", sagt Breidert und lacht. Als genauso lebensfroh und offen wie erwartet beschreibt hingegen Tullius ihre neuen Freunde: "Wir haben einen Flashmob vor dem Brandenburger Tor gemacht, und alle waren dabei."

Wunderbar sei seine Zeit in Deutschland gewesen, sagt Rubens Neto aus Brasilien. Er habe seine Familie nicht vermisst, weil er in Ingolstadt eine zweite Heimat gefunden habe. Nicole Horst, eine deutsche Teilnehmerin, die gerade vorbeigeht, drückt ihm gerührt einen Kuss auf den Kopf. Neto dachte, die Deutschen seien engstirnig und verschlossen, aber alle seien offen und aufgeschlossen gewesen.

Samstag geht es für die Brasilianer zurück in die Heimat. "Jetzt kommt langsam der Abschiedsschmerz", sagt Demmer, "ich habe schon Bammel vor morgen." Davor feiern die Jugendlichen aber nochmal zusammen - auch mit einem Gottesdienst. Und nächstes Jahr im August besuchen die Deutschen dann Brasilien. Demmer findet dieses Projekt ein wichtiges Zeichen, "gerade in der heutigen Zeit und angesichts dessen, was gerade politisch passiert. Einfach aufeinander zugehen statt sich abschotten."

Sophie Schmidt