Die vielen Gesichter der USA

Lechner-Museum wird zur Porträtgalerie - Multimediale Schau von Monika Fischer und Mathias Braschler

20.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:34 Uhr
Erste Station in Deutschland: Das Lechner-Museum in Ingolstadt zeigt die sensationelle Ausstellung "Divided We Stand" mit beeindruckenden Porträts von Monika Fischer und Mathias Braschler (unten links), die im vergangenen Jahr auf einem Roadtrip durch die USA entstanden sind. Groß war das Medieninteresse bei der Pressekonferenz am Freitag. Die Schau wird am Sonntag digital eröffnet. −Foto: Hauser

Ingolstadt - Ganz nah sind diese Menschen, fixieren den Besucher.

Unmittelbar, durchdringend, authentisch, unverfälscht. Kristal Allen, die alleinerziehende Mutter von acht Kindern aus Mississippi, die Kellnerin Katie Anderson aus Alabama oder der Schweißer Rich Filipcich aus Ohio. Emily, die aufgeweckte und stolze Cheerleaderin aus Massachusetts oder Staff Sergeant Nicholas A. Granter, Ausbilder der US-Marine aus South Carolina, der in den Raum hineinbrüllt. Bradford Schlei, erfolgreicher Hollywood-Produzent aus Kalifornien, drei Feuerwehrleute in Montur aus Indiana oder Ula Snyder aus Tennessee, die Putzkraft bei McDonald's ist und so gar nicht glücklich dreinschaut.

24000 Kilometer sind das international renommierte, aus der Schweiz stammende Fotografenpaar Monika Fischer und Mathias Braschler mit ihrem siebenjährigen Sohn im vergangenen Jahr durch die USA gereist. Sie wollten erkunden, wie dieses Land in diesen turbulenten Zeiten tickt, wollten verstehen, warum das Land so zerrissen ist, wollten die Menschen kennenlernen und verstehen. Eine groß angelegte Spurensuche, vier Monate durch 40 US-Bundesstaaten.

Zufällig haben Fischer und Braschler, die selbst lange in den USA gelebt haben, ihre Fotomodelle getroffen, in der Provinz und in den Großstädten, in den Villenvierteln und in den Slums oder irgendwo an einer Tankstelle in der Wüste. Sie haben sie gesehen, angesprochen, zugehört, Zeit verbracht, um sie dann in ihrem Pop-Up-Studio vor dem ausgebauten Van, ihrem Reisemobil, zu fotografieren. Landwirte, Fabrikarbeiter, Politiker, Studenten, Teenager, Rentner, Väter, Mütter, Kinder. Obdachlose, Drogenabhängige oder einen ehemaligen Boss einer Gang. Alle Altersgruppen, Ethnien, Berufe, Geschlechter sind in diesem Fotoprojekt vertreten und vereint, das ein beeindruckendes Psychogramm einer Nation bildet.

Nun hängen diese hyperrealistischen Fotos - die Menschen, alle hell ausgeleuchtet, vor einem weißen Hintergrund zeigen - im Obergeschoss des Lechner-Museums in Ingolstadt und ziehen in ihren Bann. Ist bereits der aus diesem Roadtrip entstandene und im Oktober erschienene Fotoband, "Divided We Stand", ein beeindruckendes Dokument, beschert die gleichnamige Ausstellung mit den im Großformat mit einer Spezialwachsschicht aufgezogenen Fotografien ohne Schutzglas - wodurch die Porträtierten fast wie dreidimensional erscheinen - eine ganz eigene, spektakuläre Seherfahrung. Jeden noch so winzigen Wassertropfen erkennt man auf dem tätowierten Körper von Maschinist James Hebert aus Louisiana, der sich mit einem Riesenfisch ablichten ließ, weil er mit dem Angeln Stress abbaut. Jedes feine Barthärchen des alten Friseurs "Joe Eigie" aus New Mexico ist zu sehen, jede Stofffaser der Uniform von Don Jackson, einem Sheriff aus Texas mit der Hand an der Pistole.

Monika Fischer und Mathias Braschler, die unter anderem mit dem World Press Photo Award und dem European Publishing Award für ihre weltweiten Arbeiten zu Klima- und Politthemen ausgezeichnet sind und die stets die Menschen in ihrem Umfeld im Blick haben, sind auch in den USA den Frauen, Männern und Kindern mit der Kamera, aber auch menschlich nahegekommen. Haben ihr Vertrauen gewonnen und sie nicht nur fotografiert, sondern auch interviewt und gefilmt. Sie haben sich die Lebensgeschichten, Träume, ihr Glück, ihre Sorgen, ihre Meinungen, ihre politische Sicht der Dinge erzählen lassen und Zitate und kurze Texte dieser oft überraschenden und berührenden Gespräche den Bildern erklärend beigefügt. Mit einem QR-Code können außerdem jeweils Audio-Dateien abgerufen werden.

Außerdem sind ein Film über den Roadtrip sowie einige längere Videos im Museum zu sehen. Etwa das des alten, weißbärtigen Amish, David Geiger, den sie einen Tag auf seiner Farm "in the middle of nowhere", irgendwo in Wisconsin, auf der Farm seiner Familie besuchen und begleiten durften. Oder das der sympathischen Waffenverkäuferin Pamela Burke aus Pennsylvania, die entwaffnend offen von ihrer ersten Pistole, ihrer Leidenschaft für das Schießen berichtet oder davon, dass ihr Geschäft viel besser läuft, wenn ein Demokrat Präsident ist. "Weil die Menschen dann befürchten, dass die Waffengesetze verschärft werden. "

Und so erzählen diese fantastischen Bilder und vielen Stimmen Geschichten vom Druck durch politische, soziale und persönliche Veränderungen, von individuellen Schicksalen und Erfahrungen, aber auch von Donald Trump und der Hoffnung, die viele Menschen in ihn und seine Politik gesetzt haben. Oder eben auch nicht. Im Interview mit unserer Zeitung vor der US-Wahl am 3. November hat Monika Fischer gesagt, dass die Spaltung im Land enorm sei. "Sie geht tief durch Freundschaften, Familien, Arbeitskollegen. Es prägt das ganze Leben der Leute. Aber es gibt auch die Sehnsucht, dass diese Spaltung überwunden wird. " Und der Baptistenpastor Willie Shears aus Alabama warnt im Video: "Wenn wir uns weiter entzweien, ist unsere Zukunft gefährdet. "

Bezugnehmend auf diese Zerrissenheit der USA zeigt Kurator Daniel McLaughlin im Erdgeschoss des Museums Stahlskulpturen seines Vaters Alf Lechner, die aus der Spaltung des Werkstoffs hervorgegangen sind (siehe eigener Artikel).

Wegen der Corona-bedingten Schließung des Museums startet die sensationelle Ausstellung - die im großzügigen und wandelbar nutzbaren Lechner-Museum ideale Räume findet - zunächst im Digital-Format. Mit eigener Homepage, auf der auch die Interviews und der Film über den Roadtrip der Familie zu sehen und zu hören sind. Dennoch: Selbst wer sich die Ausstellung am heimischen Computer angeschaut oder den Bildband gekauft hat, sollte auf keinen Fall versäumen, sich den vielen Blicken, den Menschen und ihren Geschichten im unmittelbaren Gegenüber und im Großformat im Museum auszusetzen. Und das Land in seiner Zerrissenheit, aber eben auch in seiner Vielfalt möglicherweise besser zu verstehen.

DK


Die Ausstellung "Divided We Stand" ist bis 7. März im Lechner-Museum in Ingolstadt zu sehen. Corona-bedingt ist das Haus derzeit geschlossen. An diesem Sonntag findet um 11 Uhr die digitale Eröffnung statt. Dann sind die Bilder und Videos auf der Homepage www. divided-we-stand. us zu entdecken. Der Fotoband "Divided We Stand" von Monika Fischer und Mathias Braschler ist bei Hartmann Books erschienen und kostet 39 Euro. Weitere Infos unter www. lechner-museum. de.

WERKE VON ALF LECHNER IN DER AUSSTELLUNG "DIVIDED WE STAND"

Ingolstadt - Das Wort Spaltung hat heute eine negative Konnotation. Während die große Foto-Ausstellung von Monika Fischer und Mathias Braschler im Obergeschoss des Lechner-Museums die trennenden Aspekte, ein geteiltes Land und seine Menschen präsentiert, zeigen Alf Lechners Werke im Erdgeschoss, dass durch Aufspaltung, Auseinanderbrechen und -bersten Neues entstehen kann. Das Teilen wird dabei als Arbeitsprinzip verstanden.

Auch Michelangelos Figuren entstanden, indem er den Stein bearbeitete, Teile von ihm abspaltete, sagt Daniel McLaughlin, Sohn Alf Lechners und Kurator der Schau. Lechner habe auf verschiedene Weise geteilt. Die Werke "Geborstene Platte I" und "Geborstene Platte II" sind aus gehärtetem Chromstahl. Normaler Stahl könne nicht gebrochen werden. Der bekomme, wenn großer Druck auf ihn ausgeübt werde nur eine Delle. Die Chromstahlplatten dagegen sind so hart, dass sie nur mit Diamantsägeplatten geschnitten werden könnten. "Der Bruch schafft neue Ordnung", sagt McLaughlin.

Die Skulpturen stehen im weiten Raum des Erdgeschosses verteilt, können jede für sich wirken, zugleich aber in Beziehung zueinander betrachtet werden. Die Werke "Halbzylinder I" und "Halbzylinder II" entstanden, als der Zylinder für eine Schockkühlung in kaltes Öl getaucht wurde. Dabei wurde das tonnenschwere Material durch die eigene Molekularkraft aufgespalten. "Wie sich Gesellschaften aus sich heraus spalten", sagt McLaughlin. Nun ist der Kern zu sehen. Die innere Schicht gleicht bei einem Blick von oben gespaltenem Holz.

"Überbrückung" ist eine Stahlplatte, die in einem weichen Bogen über einem kantigen Stahlbalken liegt. Dieser Kontrast lässt die harte Platte geradezu elastisch wirken. "Gegenüberstellung" sind zwei parallel zueinander stehende Chromstahlplatten, so dass klar erkennbar ist: Die beiden waren einmal eins. "Sie müssen sich nicht vereinen", erklärt der Kurator die parallele Position. Die beiden Platten haben getrennt zu einer neuen Form gefunden. "Sie können nun nebeneinander friedlich existieren. "

Christine Zinner



Katrin Fehr