Die Ingolstädter Sängerin Emmy Seiltgen starb im Alter von 97 Jahren

12.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:43 Uhr
Emmy Seiltgen. −Foto: Fröhlich

Berlin/Ingolstadt - Was für eine Person war die Ingolstädter Sängerin Emmy Seiltgen, die am Sonntag im Alter von 97 Jahren in Berlin gestorben ist?

 

Ihrer Tochter Annette fällt dazu sofort eine Formulierung ein, die sie in einer Laudatio ihres Vaters Ernst Seiltgen (1928-2004) zum 70. Geburtstag ihrer Mutter gefunden hatte: "Kommunikationsbereit immer, kompromissbereit nur selten", meinte damals der langjährige Intendant des Stadttheaters Ingolstadt.

Annette Seiltgen musste darüber lachen, so genau würde dieser Satz treffen. Emmy Seiltgen hatte das Talent, auf andere zuzugehen, sie war immer neugierig und interessiert. "Die Ingolstädter haben sie als eine Person mitbekommen, die vielleicht einen krummen Rücken hatte, aber innerlich unbeugsam war. "

Der Ingolstädter Kardiologe und Sänger Bernhard Kehrwald schildert sie als eine "sehr starke und lebensfrohe Frau".

Dabei war der Weg zur Musik für die 1923 in Moers geborene Emmy Seiltgen nicht leicht, auch wegen der beschwerlichen Kriegsjahre. Als sie 16 Jahre alt war, nahm ihr Vater sie aus der Schule, auch weil es damals noch nicht unbedingt nötig erschien, dass Frauen studieren. Emmy Seiltgen ließ sich als Sekretärin ausbilden und begann ab 1942 im väterlichen Betrieb als Bürokraft zu arbeiten. Ihr Vater war Helfer in Steuersachen.

1950 hatte sie durch einen Zufall die Chance, der legendären Sängerin Franziska Martienssen-Lohmann vorzusingen - und wurde als Schülerin angenommen. Bis 1955 studierte sie neben ihrem Job unter schwierigen Bedingungen. 1953 bekam sie eine Festanstellung beim Rundfunkchor des WDR, ab 1955 war sie in Basel im Opernensemble engagiert, später dann an der Kölner Oper.

1958 kam es zu einem wichtigen Einschnitt in ihrer Biografie. Die Sängerin (geborene Lisken) heiratete den späteren Ingolstädter Intendanten Ernst Seiltgen. Von da ab verzichtete Emmy weitgehend auf Opern-Engagements und konzentrierte sich auf Konzert- und Kirchenmusik. Ein Feld, wo tiefe Altstimmen sehr gesucht sind.

Fast noch wichtiger wurde für Emmy Seiltgen bald die pädagogische Arbeit. Sie lehrte erst in Würzburg, später in Augsburg. Auch nach ihrer Pensionierung 1998 gab sie noch zahlreiche Privatstunden.

Zu ihren letzten Schülern zählte der Arzt Bernhard Kehrwald. Er verhalf ihr in ihren späten Jahren zu einer Art zweiten Karriere. Für seine Musik-Gruppe Herzenstöne suchte der Kardiologe jemanden, der Gedichte lesen kann. Seiltgen ließ sich zunächst nur schwer davon überzeugen, dann wurde es zu einer Leidenschaft. Viele Leute kamen zu Auftritten der Gruppe hauptsächlich wegen ihr, erzählt Kehrwald.

In Ingolstadt lebte sie seit 1973, als ihr Mann dort Intendant wurde. Der Ort wurde für sie zur Heimat. Es war kein leichter Schritt für sie, im Dezember 2019 zu ihrer Tochter nach Berlin in ein Seniorenheim zu ziehen. Aber sie behielt ihre gute Laune. Kaum war sie eingezogen, ihre Tochter hatte gerade die Umzugskartons ausgepackt, da überkam die damals 96-Jährige bereits wieder die Freude an der Kommunikation. "So", sagte sie, "jetzt will ich mal los, Leute kennenlernen. "

DK

 

Jesko Schulze-Reimpell