Die
Die Erzengelstadt ruft

13.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:36 Uhr

Die Heimat ihrer Seele liegt am Ende der Welt: Dolmetscherin Anna Hoffart wurde am Polarkreis geboren, in der Erzengelstadt Archangelsk im Norden Russlands. „Dorthin verbannte Stalin viele politische Gefangene“, erzählt die 54-Jährige.

Genau diesem Ort fühlt sich Anna Hoffart eng verbunden, obwohl sie ihn bereits mit sechs Jahren verließ und mit den Eltern nach Kasachstan zog. „Da bin ich dann zur Schule gegangen, habe studiert, eine Familie gegründet und Freunde gefunden. Aber komischerweise empfinde ich für dieses Land kein Heimatgefühl, keine Nostalgie.“ In die Erzengelstadt jedoch zieht es sie immer wieder. „Es ist wie ein Ruf. Vor fünf Jahren war ich zuletzt dort, mit meinem Mann: Wir hatten ein niedliches Hotel, und als ich im Bett lag, da fühlte ich mich plötzlich wie in meiner Wiege – so unschuldig, schutzlos und trotzdem geborgen.“ Vor 23 Jahren kam Anna Hoffart mit ihrer Familie nach Deutschland, sie lebt im Landkreis Eichstätt, dort ist sie zu Hause. Sie macht gerade eine Ausbildung zur Stadtführerin in Eichstätt, und seitdem fühlt sie sich noch heimischer. Beruflich hat sie jedoch täglich in Ingolstadt zu tun, gibt Integrationskurse in der Kolpingakademie und ist Mitarbeiterin des Projekts Soziale Stadt. „Wenn ich abends müde bin vom ganzen Lebenstrubel, dann versetze ich mich gedanklich in die Erzengelstadt: Ich stehe am Ufer der Dwina, es geht nicht weiter, ich muss nicht mehr weiter. Dann werde ich ganz ruhig.“ smr