Ingolstadt
Der Tod kam vom Himmel

08.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:32 Uhr
Der Ingolstädter Rathausplatz nach dem Bombenangriffen: Zu sehen sind die Reste des Gouvernementsgebäudes und des Theaters (im Vordergrund). −Foto: DK-Archiv

Ingolstadt -Am Ende des Zweiten Weltkriegs forderten vor 75 Jahren mehrere Luftangriffe auf Ingolstadt hunderte Todesopfer. Neben anderen Gebäuden wurde auch die Augustinerkirche schwer beschädigt.

Es sollte für Ingolstadt die schwerste Woche während des Zweiten Weltkriegs sein: Drei große Luftangriffe trafen die Stadt Mitte April 1945 innerhalb von einer Woche. Hunderte Menschen verloren ihr Leben, zahlreiche historische Gebäude im Zentrum wurden völlig zerstört. Eine Kraterlandschaft hinterließ der Angriff vom 5. April 1945 vor allem im Norden der Stadt. Ein US-Bomberverband hatte in nicht einmal einer Stunde 621 Tonnen Sprengbomben auf das Gebiet zwischen der Ringler- und der Ettinger Straße abgeworfen.

Neben dieser rein physischen Zerstörung wollten die Angreifer aber auch die Moral der Bevölkerung untergraben, indem sie zahlreiche Flugblätter abwarfen. Die Gegend, wo sich heute Audi befindet, ,,glich stellenweise einer Kraterlandschaft", so der Ingolstädter Heimatforscher Hans Fegert, der die Ereignisse  in Buchform dokumentiert hat. Mehr als zwei Drittel der Hallen des damaligen Heereszeugamts und des Exerzierplatzes waren zerstört, Bahnlinien unterbrochen. Beim Bau des Audi-Werks ab 1959 fand man daher auch eine Unmenge an Blindgängern. Doch waren auch 52 Tote zu beklagen, da die angrenzende Wohnbebauung ebenfalls getroffen worden war. Viele Ingolstädter wurden obdachlos. 

Nur vier Tage später wurde Ingolstadt wiederum das Ziel der alliierten Bomberverbände. Mehr als 100 Tote forderte am 9. April dieser bis dahin schwerste Luftangriff, der vor allem im Stadtzentrum immense Schäden anrichtete. Das alte Stadttheater, der historische Salzstadel und das Gouvernementsgebäude am Rathausplatz waren für immer verloren. Doch auch die viel gerühmte Augustinerkirche (heute Viktualienmarkt) war nur noch eine Ruine.

In  deren vermeintlich sicheren  Kellergewölben fanden 73 Menschen den Tod, manche  Leichen konnten  erst Monate später geborgen werden.Nur eine Frau überlebte. Die Bomben zerstörten auch die Donauhalle, das Spital, worin 16 Senioren den Tod fanden, und viele Wohn- und Geschäftshäuser. Etliche Löschzüge, die  bis aus Augsburg kamen, versuchten, die vielen durch Brandbomben verursachten Feuer zu bekämpfen.  Über  1000 Ingolstädter wurden obdachlos. Das Tragische: Der Angriff war so gar nicht geplant, die Bomber warfen ihre Lasten ab, um zu ihrem Stützpunkt zurückkehren zu können.

Nach einem Angriff auf den Hauptbahnhof am 10. April waren am Tag darauf wieder der Haupt- und der Rangierbahnhof sowie der Flugplatz Manching das Ziel. Während 21 Wellen mit je zehn US-Bombern  den Fliegerhorst schwer beschädigten, legten weitere acht Angriffswellen das Bahnhofsviertel in Schutt und Asche. Viele Wohnhäuser sowie die Antonschule und die gleichnamige Kirche wurden zerstört, 35 Menschen verloren an diesem 11. April 1945 ihr Leben. Fatalerweise stand neben dem Hauptbahnhof noch ein voll beladener Munitionszug.

,,Beim erneuten Angriff auf die Bahnanlagen wurde dieser Munitionszug abermals schwer getroffen, worauf nun Stunde um Stunde ein Waggon nach dem anderen zu explodieren begann", schreibt Fegert. Achsen, Räder und große Waggonteile flogen  bis zum Pulverl, so groß war die Wucht der Detonationen. Die meisten Südviertler verbrachten die Nacht in den Luftschutzkellern, weil sie glaubten, die Explosionen wären weitere Bombenabwürfe. Die Hoffnung, bis Kriegsende verschont zu bleiben, sollte sich nicht erfüllen. Der letzte Angriff auf Ingolstadt ereignete sich am 21. April. 

Die schwierige Suche nach der Erinnerungskultur

Ingolstadt Das Urteil des  Vorsitzenden des Historischen Vereins ist eindeutig: „Ein Platz, der keiner ist, ein Nicht-Ort“, das  ist für Matthias Schickel der Viktualienmarkt, dessen „breiartiges Auslaufen in die Innenstadt“ jeder Kontur ermangele: „Da fehlt was“, sagt der frisch gewählte CSU-Stadtrat. Dabei gibt es für ihn kaum einen Platz, wo Stadtgeschichte besser aufzufangen wäre als an dieser geschichtsträchtigen Stelle. Schickel würde dort gerne das Dokumente-Konzept des Historischen Vereins als „niederschwelliges Angebot zur Geschichte“ aufgreifen.

Nach dem Vorbild Regensburgs  wurde in Ingolstadt schon die Wunderlkasematte als  Dokument ausgewiesen, um die Stadtmauer  erlebbar zu machen. Ein eigenes  Gebäude zur Präsentation geschichtlicher Inhalte macht für Schickel  jedoch am Viktualienmarkt keinen Sinn, wie er auch generell Eingriffe  in den Boden an dieser historisch  sensiblen Stelle für problematisch erachtet. Der „Viktus“ würde sich eher als Station für Stadtführungen anbieten – Anknüpfungspunkte gäbe es genug:  Theater, Herzogskasten,  Donaukaserne,  die frühere Synagoge, Augustinerkirche sowie die Schutter, die einst vorbeifloss. Daher  sollte man mit dem Element Wasser gestalten, ein Gedanke, den auch der OB-Kandidat der Linken, Christian Pauling, schon geäußert hat. 

Wie nun dieses Erinnern, dieses Gedenken konkret gestaltet werden kann, lässt Schickel offen. Projekte anderer Städte – gerade im Hinblick auf die Schutter – könnte man sich da anschauen. Nicht zuletzt hofft Schickel auf Ideen seitens der Bürger. Auch Lichtprojektionen wären eine Möglichkeit. 
Die  Einlassungen aus hellen Pflastersteinen im Boden, die den Grundriss der Augustinerkirche darstellen,  machen für Schickel nur bedingt Sinn – wegen der Biertische und Bänke, die darauf stehen, erkennt man kaum etwas.  Auch das 2012 enthüllte Kunstwerk  Ludwig Hausers mit der bronzenen Gedenkplatte  an die  durch Bomben zerstörte Kirche  in der Vitrine finde  wenig Beachtung.  

Dabei sollen sich die Menschen weiterhin am 1975 so benannten Viktualienmarkt treffen, ratschen, essen und trinken. „Jede Stadt braucht Orte der Begegnung für alle“, sagt Schickel: „Aber das ist auch auf einem schönen Platz möglich.“ Skeptisch steht er allerdings einer Markthalle gegenüber. Iris Weichenrieder könnte sich so was dagegen schon vorstellen. Doch darum geht es ihr nicht. Ihr großes Thema ist die Augustinerkirche. Seit 2015 hat sie schon etliche Stadtspaziergänge mit interessierten Bürgern unternommen und mit dazu beigetragen, dass so mancher jetzt weiß, was auf dem Viktualienmarkt früher so alles war. 

Sie kennt die Geschichte der „Lieblingskirche der Schanzer“ wie sonst kaum jemand und  vermutet, dass etliche Gemälde nach der Bombardierung  gerettet wurde – und möglicherweise jetzt in  Privatbesitz sind. „Da muss noch einiges da sein“, sagt sie, denn nach dem Angriff war die Kirche leer.  Sie erinnert   an den verstorbenen Architekten Josef Elfinger, der bis 1950 alles unternahm, um die Kirche zu retten. Weichenrieder wünscht sich einen sensiblen Umgang mit der Erinnerung an die Kirche und die  Bombenopfer: eine Skulptur, Bilder, Projektionen oder einen kleinen Ort, wo einige  Menschen Platz finden.

Geschichte

„Führerauftrag Monumentalmalerei“: So lautete ein Befehl Adolf Hitlers, der  1943 bis 1945  bedeutende Malereien und Innenräume fotografieren ließ, die gefährdet waren. Von den 480  Gebäuden in Deutschland, Österreich und Tschechien standen zwei in Ingolstadt, was deren Bedeutung unterstreicht: die Asamkirche und die 1945 bei einem Luftangriff zerstörte Augustinerkirche am heutigen Viktualienmarkt.

Dieser vor der Coronakrise so belebte Platz zeigt wie kein anderer die Geschichte Ingolstadts auf. Bei archäologischen Ausgrabungen im Vorfeld der Neugestaltung 2007 wurden  Reste mehrerer aufeinanderfolgender Steingebäude aufgedeckt, darunter höchst wahrscheinlich auch Überreste der  Synagoge.   Die Marienkirche an der Schutter, die aus den Sandtnermodellen der 1570er-Jahre bekannt ist, entstand 1397 aus oder anstelle der Synagoge inmitten des ehemaligen Judenviertels. Seine Bewohner waren bei der Judenverfolgung 1384 vertrieben worden. 

In der Schutterkirche erlangte eine spätgotische Marienstatue aus dem 15. Jahrhundert, die  Schuttermutter, besondere Verehrung. Zur Förderung der Wallfahrt (und zur Erhöhung der Einnahmen des 1606 bei der Kirche gegründeten Klosters) diente den Augustiner-Eremiten die nicht zutreffende Geschichte, wonach die Madonna im späten 14. Jahrhundert durch die örtlichen Juden geschändet worden sei.

Nachdem man der Figur den Kopf abgeschlagen und die Teile in die Donau geworfen habe, sei die Statue auf wundersame Weise gegen den Strom ans Ufer der Schutter geschwommen. Der beachtliche Zulauf zur Schuttermutter machte einen größeren Kirchenbau notwendig.  Die Augustinerkirche  von 1740  ist ein Werk des bedeutenden Baumeisters Johann Michael Fischer und zählt zu seinen herausragenden Werken. 

Während der Säkularisation wurde das Kloster der Augustinereremiten 1802 aufgehoben. Später zogen Franziskaner ein, die   Mönche blieben  bis  1945. Am 9. April 1945 wurde die Augustinerkirche durch eine Sprengbombe getroffen.  Im Jahr 1950 entschloss sich der Stadtrat nach langer Diskussion zum Abriss.
 Das christliche Gotteshaus fand an diesem Ort, wo einst die Schutter vorbei in die Donau floss, wie das jüdische Jahrhunderte zuvor ein tragisches Ende. Mit der Augustinerkirche ging ein ganzes Viertel der Stadt  unter. Die Lücke, die damals entstand, ist bis heute nicht geschlossen. 

Bernhard Pehl