Der Mann fürs tägliche Brot

28.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:39 Uhr

Semmeln en gros: Bevor die ganzen Köstlichkeiten in den Backofen geschoben werden, sind sie auf so genannten Stikkenwagen deponiert. - Foto: Herbst

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: von 3 bis 4 Uhr in der Bäckerei Wöhrl.

Im Haus Schulstraße 2 ist soeben das Licht angegangen. Für Bäcker Martin Wöhrl beginnt nachts um drei der Arbeitstag. "Sechs Mal die Woche", sagt der 56-Jährige und wischt mit der Hand über seine blaue Schürze, "Sonntag ist der einzige Tag, wo wir nix tun." In der sichtlich schon etwas älteren Backstube duftet es nach Sauerteig. Die Knetmaschinen brummen vor sich hin, bearbeiten die zähe Masse, die in ein paar Stunden als Dinkelbrot und würziges Bauernbrot auf den Tisch der Verbraucher kommt. Während in den Metallbottichen der Teig maschinell geknetet wird, ist Wöhrl auf den anderen Seite der Backstube an den Stikken zu Gange. Das sind fahrbare Gestelle, in denen 20 Bleche übereinander Platz haben und die komplett in einen Backofen geschoben werden können.

Ingolstädter Gebäck

Auf ihnen das ganze Sortiment: von der Sternsemmel bis zum Schrotkipferl, von der Laugensemmel bis zum Nusshörndl, vom Vinschgauer bis zur doppelten Kuppel. "Die Kuppel ist ein typisches Ingolstädter Gebäck", weiß der Fachmann, "die gibt’s bloß bei uns. Viele Schüler in der Berufsschule, die kennen die gar ned." Die Berufsschulkantine in der Kolpingstraße ist der Hauptabnehmer für die Produkte der kleinen Altstadtbäckerei, aber auch Hotels zählen zu den Kunden, ebenso wie EADS in Manching.

Ohne Nachfolger

Schon seit 1918 wird hier in der Schulstraße gebacken, damals war Wöhrls Opa der Chef. "Wir haben mal 42 Leute und fünf Läden gehabt", erzählt der Handwerker, aber das ist lange her. Inzwischen werden in der Familie viel kleinere Brötchen gebacken. Es gibt außer dem Hausherrn nur noch einen weiteren Mitarbeiter in der Bäckerei und eine Verkäuferin, die Ehefrau macht die Buchhaltung. Die drei Töchter des Hauses haben mit dem elterlichen Gewerbe nicht mehr viel am Hut. "Die haben gesehen, wie früh man da raus muss", glaubt Wöhrl, dass er wohl keinen Nachfolger finden und irgendwann die Produktion einstellen wird.

Er selbst findet es "herrlich, mit dem Radl in der Früh von meiner Wohnung am Nordbahnhof durch die Glacis in die Stadt zu fahren, da ist die Luft noch so sauber und frisch". Mittlerweile sprüht der Bäcker Wasser auf die Semmeln, taucht einen Teil in Sesamkörner, den anderen in eine Salz-/Kümmelmischung oder in feine Mohnkörner – ganz, wie es der Kunde verlangt. "Wir sind halt sehr variabel, in so einem kleinen Betrieb können wir alle Wünsche erfüllen."

Programm für den Tag

Am Vorabend wird immer das Programm für den nächsten Tag gemacht. Heute stehen zum Beispiel 40 Salzkaisersemmeln und 39 Schrotkipferl auf dem Produktionsplan, der alles in allem 41 Positionen umfasst. Und weil der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt, greift der Bäckermeister zwischendurch zu seiner Thermoskanne und stärkt sich mit einem Haferl Kaffee. Brotzeit gibt’s erst um acht.

Kurz vor vier ist der Teig für die Brotlaiberl so weit. Der Altstadtbeck streut Roggenmehl auf einen langen Holztisch, nimmt einen gelben Schaber, teilt damit routiniert die Portionen ein und legt sie auf die Waage – "immer 20 Prozent mehr Gewicht wegen des Backverlustes". So schnell kann man gar nicht schauen, wie Martin Wöhrl – jeweils parallel mit beiden Händen – zwei Pfundlaibe formt und klopft und aufs Backblech legt.

Neben dem Backofen, der bis auf 280 Grad aufgeheizt ist, wird dem Betrachter gleich warm ums Herz. Die Bitte um das tägliche Brot ist eben doch etwas ganz anderes als die Bestellung eines Pausensnacks an der nächsten Imbissbude – da muss man gar nicht regelmäßig das Vaterunser beten.