Ingolstadt
Der Denkmalstürmer

Neu im Reduit Tilly: 1,9-Tonnen-Skulptur eines Soldaten mit Handgranate erzählt viel über Gedenkkultur

14.07.2020 | Stand 02.12.2020, 10:59 Uhr
Tonnenschwerer Neuzugang: Dieter Storz (l.), Historiker im Bayerischen Armeemuseum, und dessen Leiter Ansgar Reiß (r.) nahmen am Dienstag im Museum des Ersten Weltkriegs die in den 1920er-Jahren geschaffene Skulptur eines Soldaten in Empfang. Ein Trupp der Bundeswehr hatte sie aus Sonthofen nach Ingolstadt gebracht und mit einem Kran im Hof des Reduits Tilly aufgestellt. −Foto: Silvester, Storz

Ingolstadt Der Infanterist hat den Zünder seiner Stielhandgranate gezogen, vier Sekunden noch, dann detoniert sie. Nichts wie weg mit ihr.

Gleich wird der Soldat mit der Rechten ausholen und den Sprengsatz werfen, das hagere Gesicht angespannt, den Blick geradeaus auf das zu vernichtende Ziel gerichtet, der aufrechte, durchgestreckte Körper in Angriffshaltung. 2,60 Meter groß. 1,9 Tonnen martialische Entschlossenheit, in Kalksandstein gemeißelt. Und jetzt im Museum des Ersten Weltkriegs im Reduit Tilly zu sehen.

Ein Trupp der Gebirgsjäger aus Sonthofen brachte das Monstrum von Kriegerdenkmal am Dienstag nach Ingolstadt und hievte es mit einem Kran in den Hof des Reduits. Bald soll es im Inneren des Museums einen Platz bekommen. Denn im öffentlichen Raum kann man solche heroisierende Kunst der 1920er-Jahre heute nicht mehr aufstellen, zumindest nicht unkommentiert, sagt Ansgar Reiß, der Leiter des Armeemuseums. Es handelt sich um ein Werk des Münchner Bildhauers Franz Baur, er lebte von 1881 bis 1968. Der Soldat mit der Handgranate war Teil eines Kriegerdenkmals, das einst im ehemaligen Hofgarten von Immenstadt stand und mit Tafeln an Tote des Ersten Weltkriegs erinnerte. Wer damals Baurs Auftraggeber war, recherchiert das Museum gerade mit Unterstützung des Stadtarchivs Immenstadt.

Eines steht für die Ingolstädter Militärhistoriker schon jetzt fest: "Diese Skulptur ist bedeutend, denn sie nimmt in der Denkmallandschaft eine extreme Position ein", sagt Reiß. Sein Kollege Dieter Storz fügt an: "Dieses Kriegerdenkmal ist völlig untypisch, vor allem für den bayerischen Raum."

Das Ungewöhnliche beginnt schon beim Künstler: "Baur hat viel für die katholische und die evangelische Kirche gearbeitet, Kriegerdenkmäler sind bei ihm ganz selten", erzählt Reiß. Der Sturmsoldat hat rein gar nichts Christliches, die Formensprache ist "neuheidnisch", sagt Storz und erläutert den Kontext: Kriegerdenkmäler, die nach der Katastrophe der Jahre 1914 bis 1918, als mehr als zwei Millionen deutsche Soldaten an den Fronten starben, der Bewältigung dienten, waren in ihrer überwiegenden Mehrheit stilistisch an Grabmäler angelehnt. "Hier kommt Trauer zum Ausdruck", sagt Storz. Die Denkmäler, die in den 1920ern Tausendfach im ganzen Reich geschaffen wurden, waren meist Orte der Meditation, die sich vor allem an die Familien und Freunde der Gefallenen richteten: "Jeder, der davor steht, soll sich seine eigenen Gedanken machen. Die Männer, deren Namen wir lesen, haben schließlich nicht gelebt, um irgendwo einen gewaltsamen und zumeist elenden Tod zu sterben."

Der die Handgranate werfende Infanterist aus Franz Baurs Werkstatt drückt das Gegenteil aus: Der Kampf geht weiter. "Es geht um Wehrhaftigkeit. Wir sehen hier einen Sturmsoldaten, der in die Zukunft blickt", sagt Reiß. "Dieses figurale Denkmal ist in seiner relativ extrem dargestellten Kampfaktion selten."

Dieter Storz hat auf weiten Touren durch Bayern etliche Kriegerdenkmäler besichtigt und fotografiert. Er gewann den Eindruck: "Je größer eine Stadt, desto größer die Denkmäler." Deshalb ragte das 1,9-Tonnen-Trumm im beschaulichen Immenstadt gewaltig heraus. "Es passt nicht in den ländlich-katholischen bayerischen Raum."

Dass es jetzt im Reduit Tilly steht, ist einem Soldaten-Traditionsverband in Sonthofen im Oberallgäu zu verdanken: Er hat eine "hochwertige Sammlung" (Storz) zur Geschichte der Gebirgsjäger - vom bayerischen Königreich bis zur Bundeswehr - zusammengetragen. Die war jahrzehntelang in der Sonthofener Grüntenkaserne zu sehen, musste aber jetzt raus. Da in der Nähe keine geeigneten Räume zur Verfügung stehen, überlässt der Eigentümer die rund 1300 Exponate dem Bayerischen Armeemuseum, das sich über diese Gabe freut. "Genügend Platz für die Sammlung haben wir auch", sagt Storz. "Es war dem Eigentümer wichtig, dass sie nicht zerstreut wird, sondern beisammen bleibt", sagt Reiß.

Dass der aus Kalksandstein gemeißelte Soldat kein Gebirgsjäger ist, sondern ein Grenadier, erkennt man etwa an seinen Schaftstiefeln. "Sonst würde er Bergstiefel tragen." Die heroische Darstellung ähnelt laut Reiß einem Foto aus dem Ersten Weltkrieg: "Der Sturmsoldat" wurde in den 1920ern geradezu ikonographisch rezipiert. Auch die Nationalsozialisten schätzten diese Ästhetik.

Dass die Skulptur 1,9 Tonnen wiegt, hat das Armeemuseum seit Dienstag amtlich: Der Kranführer der Bundeswehr ermittelte das Gewicht, als der Soldat an der Seilwinde hing.

DK