Ingolstadt
Der Aufstieg der Realschule und die Krise der Hauptschule: Rainer Rupp erzählt

25.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:06 Uhr
Rainer Rupp 2016. Hauser −Foto: Hauser, Johannes, Hauser, Johannes, Ing

Ingolstadt - Man kann ohne zu übertreiben sagen: Die sechsstufige Realschule (R6) war vor allem Rainer Rupps Werk.

 

Er selbst würde das freilich nie so formulieren. Zu Unbescheidenheit neigt der langjährige Direktor des Scheiner-Gymnasiums (1984 bis 2004) und Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbandes (1987 bis 2001, seither ist er Ehrenvorsitzender) wirklich nicht. Rupp (Foto) hat als Berufsvertreter der bayerischen Gymnasiallehrer die in den 1990er-Jahren beschlossene Aufwertung der Realschule auf den Weg gebracht. Und sich damit zunächst nur wenige neue Freunde gemacht.

Vor der R6-Reform begann die Realschule mit der siebten Jahrgangsstufe und endete wie heute in der zehnten mit der Mittleren Reife. Die Schüler traten nach der sechsten Klasse der Hauptschule über (wie die Mittelschule bis 2009 hieß). Rupp hat als junger Studienrat am Dillinger Gymnasium und später am Ingolstädter Apian-Gymnasium viel in den fünften Klassen unterrichtet - und die Dramen erlebt, die über Familien kamen, wenn ein Kind gleich im ersten Jahr am Gymnasium zu scheitern drohte. "Da wurden Kinder mit aller Macht von den Eltern aufs Gymnasium gedrängt, selbst wenn die Grundschullehrer ihnen davon abgeraten haben. Ich habe als Lehrer viele häusliche Tragödien miterlebt und miterlitten. "

Kinder, die das Gymnasium früh verlassen mussten, etwa, weil sie in der Unterstufe zwei Mal durchfielen, konnten nur auf die Hauptschule wechseln, da die Realschule erst mit der siebten Klasse begann. "Das war für die Kinder ein Scheitern, das sie sehr belastet hat. Und das hat auch mich sehr belastet. " Auf der Hauptschule unternahmen viele Schüler einen zweiten Versuch, es wieder aufs Gymnasium zu schaffen, der Druck auf die Kinder stieg. Drama folgte auf Drama.

Rupp beschloss damals: "Wir brauchen eine Änderung beim Übergang auf weiterführende Schulen! " Sein Lösungsansatz: Die Realschule soll bereits mit der fünften Klasse beginnen, um die Kluft zwischen Gymnasium und Hauptschule sowie Grundschule zu vermindern und den Druck zu senken.

1991 stellte Rupp als Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbandes ein Papier mit dem Titel "Neuprofilierung des gegliederten Schulwesens in Bayern" vor. Darin: Sein Konzept für eine sechsstufige Realschule. "Die Idee dazu hatte mein Vorgänger Werner Honal. " Rupp setzte sein Ziel durch. "Die sechsstufigen Re-alschulen wurden von Kultusminister Hans Zehetmair nach langen Diskussionen in seiner Partei, der CSU, etwa ab Mitte der 90er versuchsweise an kirchlichen Schulen zugelassen", erzählt Rupp. Ab 2000 wurde die R6 in allen bayerischen Realschulen eingeführt.

Es lief zunächst gar nicht gut. "Ich habe Ärger von allen Seiten bekommen", erinnert sich der heute 80-Jährige. "Auch von meiner eigenen Berufsgruppe bin ich nicht nur gelobt worden. " Die Gymnasien wurden von den jetzt aufgewerteten Realschulen nicht entlastet, wie Rupp gehofft hatte. Die Realschulkollegien und Schüler litten unter dem enormen Personalmangel, und die Krise der Hauptschulen verschärfte sich weiter. Sie verloren viele starke Schüler, die schwächere Klassenkameraden hätten motivieren und mitziehen können, an die Realschulen.

Rupp wollte die Benachteiligung der Hauptschulen von Anfang an verhindern. "Mir war klar: Das ganze Paket funktioniert nur, wenn es ein Äquivalent an den Hauptschulen gibt, um ihre Attraktivität zu erhöhen: eine Mittlere Reife an der Hauptschule. " Der "mittlere Bildungsabschluss", wie er heute heißt, "muss an allen Hauptschulen eingeführt werden - gleichzeitig mit der R6! ", das forderte Rupp vor 20 Jahren vehement. Und scheiterte.

Der Vorsitzende des Realschullehrerverbandes, Peter Peltzer, habe das nicht gewollt, sagt Rupp. Auch Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) "hat die große Chance, die eine Aufwertung der Hauptschulen bietet, zunächst nicht erkannt". Rupp sah betrübt, wie der Ruf der Hauptschule trotz des großen Einsatzes der meisten Lehrkräfte immer schlechter wurde. "Das war schlimm. "

Die Mittlere-Reife-Klassen an den Hauptschulen kamen Jahre später, "viel zu spät", so Rupp. Seit der Mittelschulreform 2009 sind sie Standard.

Die Volksparteien seien ihm damals keine große Hilfe gewesen, erzählt er: "Die CSU hat halbherzig agiert, und die SPD hat immer nur ihrer Gesamtschule hinterhergeweint. "

sic