Ingolstadt
Das Revolutionssofa, das doch keins war

Klaus Wittmann, das Rätsel um sein historisches Möbelstück und die Ausrufung der Räterepublik vor genau hundert Jahren

05.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:16 Uhr
Guter Platz für historische Lektüre: Hausherr Klaus Wittmann auf seinem Sofa in der Oberhaunstädter Villa am Weinberg. Das Etikett auf der Rückseite (unten rechts) brachte ihn auf den Gedanken, dass das Möbelstück aus dem früheren Wittelsbacher Palais (unten links) stammen könnte. −Foto: Eberl, Stadtarchiv

Ingolstadt (DK) Als die Wittelsbacher Monarchie bereits abgedankt hatte, spielten sich vor genau hundert Jahren im Schlafzimmer der letzten Königin Marie Therese dramatische Szenen ab: In der Nacht auf den 7. April 1919 beschloss der revolutionäre Zentralrat unter Führung von Ernst Toller, die Räterepublik in Bayern auszurufen - ein historisches Datum, das für den Ingolstädter Klaus Wittmann eine ganz persönliche Frage aufwirft.

Der vielfach interessierte Eigentümer des landwirtschaftlichen Gutes in Oberhaunstadt und frühere Vorsitzende des Bundes Naturschutz nennt nicht nur eine umfangreiche Bibliothek sein Eigen. In der Villa der Familie am Weinberg finden sich auch etliche Antiquitäten, darunter ein Sofa.

Das Möbelstück, nennen wir es einfach mal das Revolutionssofa, "war schon immer da", erzählt Wittmann. "Ich habe keine Theorie, wie es bei uns ins Haus gekommen ist." Es zählte eben zur großzügigen Ausstattung mit Antiquitäten und einem teils antiquarischen, wertvollen Bücherbestand.

"Vor acht, zehn Jahren wollten wir das Sofa neu überziehen, das war total im Eimer, durchgesessen und von Motten zerfressen." Ein Polsterer holte das schwer sanierungsbedürftige Sitzmöbel ab. Erst bei dieser Gelegenheit fiel dem Hausherrn die eigentümliche Beschriftung auf der Rückseite auf. "Hoppla, Schlafzimmer der Königin"? Den gedanklichen Bezug zum Wittelsbacher Palais in München stellte für Wittmann dann die Lektüre des 2017 erschienenen Buches von Volker Weidermann "Träumer - als die Dichter die Macht übernahmen" her. Dort schildert der Autor ausführlich die schicksalsträchtige Nacht vor hundert Jahren. "Es sind alle da. Vertreter der sozialistischen Parteien, anarchistische Gruppen, Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates, Bauernrat. Nur die Kommunisten fehlen."Sollte das Oberhaunstädter Sofa im Hause Wittmann also damals quasi stummer Zeuge eines historischen Momentes gewesen sein? Denn "im Schlafgemach der ehemaligen bayerischen Königin fällt die Entscheidung für die Räterepublik", wie es die Historikerin Michaela Karl formuliert.

Der neugotische Backsteinbau an der Ecke der Brienner- und Türkenstraße, im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört und später abgebrochen, diente im 19. Jahrhundert als Altersruhesitz von König Ludwig I. Auch das letzte Königspaar, Ludwig III. und Gemahlin Marie Therese, residierte dort bis zu seiner Flucht aus München. Am 8. November 1918 war das Ende der jahrhundertealten Dynastie gekommen, nachdem der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Kurt Eisner, die Monarchie der Wittelsbacher für abgesetzt erklärt hatte.

Die Leitfigur der friedlichen Revolution, ein Schriftsteller und Journalist an der Spitze der Unabhängigen Sozialdemokraten, ist Anfang April 1919 bereits nicht mehr am Leben. Nachdem ein rechtsnationaler Antisemit ihn ermordet hat, fehlt der revolutionären Bewegung eine anerkannte, integrierende Persönlichkeit. Der Konflikt zwischen den Verfechtern der parlamentarischen und der direkten Demokratie in Form von Räten spitzt sich zu.In dieser Situation rufen Linksintellektuelle und Anarchisten wie Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam am 7. April die Rätepublik aus - gegen den Willen der Kommunisten und natürlich auch des gewählten SPD-Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann. "Als ich das Wittelsbacher Palais verlasse", wird Ernst Toller in dem Weidermann-Buch zitiert, "dämmert der Morgen. Die Revolution hat gesiegt. Hat die Revolution gesiegt?"

Hundert Jahre später kennt man die Antwort. Im Vergleich dazu ist die Frage Klaus Wittmanns, ob er denn tatsächlich ein authentisches Revolutionssofa bei sich daheim stehen hat, sicherlich ohne jede historische Bedeutung. Wenn jemand das aus wissenschaftlicher Sicht beurteilen kann, dann ganz bestimmt die Spezialistin Brigitte Langer von der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser und Seen, die dem DK bei der Bewertung zur Seite steht. Nach dem Ende der Monarchie, so erklärt sie, sei Inventar aus den königlichen Schlössern in den zwanziger und dreißiger Jahren veräußert worden. "Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn davon etwas im Kunsthandel auftaucht."

Was das nicht mehr existierende Wittelsbacher Palais angeht, so die Expertin, sei der weitere Verbleib des Mobiliars "noch nicht so richtig erforscht". Langer und ihre Fachkollegen der Schlösserverwaltung sind sich nach Prüfung der Fotos aus der Ingolstädter Villa zumindest einig: "Das ist definitiv ein historisches Etikett." Auf dessen Beschriftung ist zu lesen, dass es sich um die Serie II und den Gegenstand "1 Kanapee" handelt, mit der Inventar-Nummer 444. Als Standort wird "Schlafz(immer). d(er). Königin" angegeben.

Dann folgt allerdings die große Einschränkung aus dem Mund der Fachfrau : "Der Etiketttypus mit der Mäanderrahmung ist mir so in den bayerischen Schlössern noch nicht untergekommen." Sie sei da "eher skeptisch", sagt die Möbelspezialistin. "Es sieht nicht so aus, als ob das aus dem bayerischen Schlösserbereich kommt." Vielleicht aus Baden-Württemberg. Es habe ja bis zum Ende des Ersten Weltkrieges mehr Königshäuser in Deutschland gegeben. Zudem sei das Ingolstädter Sofa "eher ein Biedermeiermöbel", insofern untypisch für die Einrichtung im Wittelsbacher Palais.

Nach Lage der Dinge nutzten also Ernst Toller und seine Genossen vor hundert Jahren andere Sitzgelegenheiten bei ihrer Machtübernahme, die ohnehin nur von sehr kurzer Dauer war. Eine Woche später setzten die Kommunisten eine radikalere Räterepublik durch, und der blutige Gegenschlag der Rechten ließ nicht lange auf sich warten. Am Ende galt München für die Nazis als "Hauptstadt der Bewegung", während die Revolutionäre als "Novemberverbrecher" verunglimpft wurden.

In der Ingolstädter Zeitung erschien die Münchner Räterepublik von Beginn an als ein Schreckgespenst. Bereits am 8. April 1919 stehen auf der Titelseite Aufrufe der Bayerischen Volkspartei und der Deutschen Demokratischen Partei an die "Mitbürger in Stadt und Land". Darin wird vor "unverantwortlichen Elementen" gewarnt. "Müssen und sollen wir wirklich unser Land und Volk den gewalttätigen, freiheitsfeindlichen Plänen einer terroristischen Minderheit preisgeben?"

Die zweite Seite bietet den Lesern echte Kontraste. Oben die kurze Aufmachermeldung "Die Räterepublik in München proklamiert." Unten die 104. Fortsetzung des Romans von Hedwig Courths-Mahler "Wem nie durch Liebe Leid geschah".