Ingolstadt
„Da macht dann das Entbinden für uns gar keinen Spaß mehr“

Corona und Geburten: Eine Hebamme berichtet

26.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:07 Uhr
Bundesernährungsministerin Julia Klöckner: „Babys und Kleinkinder benötigen keine gesüßten Getränke.“. −Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Vieles ist im Zuge der weltweiten Corona-Pandemie zumindest zeitweise zum Erliegen gekommen. Die Schulen waren zu, Veranstaltungen abgesagt, Ausgangsbeschränkungen erlassen. Kinder kommen aber nach wie vor auf die Welt. Das wirkt sich nicht nur auf junge Familien aus – sondern hat auch den Arbeitsalltag von Hebammen auf den Kopf gestellt. Eine Ingolstädter Hebamme berichtet von strengen Auflagen, corona-positiven Müttern und Regeln, die auch die Geburtshelferinnen „ganz furchtbar“ finden.

Schon bevor Schulen geschlossen und Ausgangssperren erlassen wurden, hat man sich in der Geburtshilfe im Klinikum Ingolstadt Gedanken gemacht, was im Kreißsaal im Ernstfall passiert, erinnert sich Miriam Hilkowitz. Es sei sofort viel informiert und organisiert worden. Immer wieder Nachrichten in der Hebammen-WhatsApp-Gruppe, wöchentlich Telefonkonferenz mit Ärzten. Drei, vier, wenn nicht sogar fünf Wochen seien sehr intensiv gewesen. Und überall herrschte die Aufregung: Was passiert, wenn es ernst wird? „Wir haben uns alle auf die Welle vorbereitet“, so die Hebamme. Ein Kreißsaal wurde umfunktioniert – für den Fall, dass eine werdende Mutter Corona hat. Was auch passieren sollte. Doch dazu später mehr.

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Auf dem Weg zur Entbindung gab es im Klinikum Ingolstadt für Mütter künftig nur einen Weg: Durch das „Coronazelt“ - und seit einigen Wochen auch für jede werdende Mutter mit einem Corona-Test. Und während gerade in der Region Ingolstadt tausende Menschen in Kurzarbeit gingen, hatten Hebammen gut zu tun. Zwischen dem 15. März und 15. Juli 2020 gab es im Klinikum Ingolstadt 936 Geburten. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum des vergangenen Jahres waren es 891. Teilweise arbeiteten Hebammen auch in ihrem eigentlich geplanten Urlaub, erinnert sich Hilkowitz. Wegfahren konnte man ja eh nicht. „Die Kinder kommen wie sonst auch auf die Welt“, sagt die Hebamme lachend.

Zwölf Stunden FFP2-Maske

Doch die Arbeit der Frauen, die den Kindern auf die Welt helfen, sollte künftig anders aussehen. Die wohl einschneidenste Veränderung – im wörtlichen Sinne: Bei jedem Patienten-Kontakt müssen Hilkowitz und ihre Kolleginnen irgendwann FFP2-Masken tragen. Wenn also in einer Schicht ständig etwas zu tun und eine Frau nach der anderen zu versorgen ist, tragen die Hebammen auch mal zwölf Stunden FFP2-Maske. Im Pausenraum, wenn gegessen oder getrunken wird, nehmen die Hebammen und Ärzte die Masken natürlich ab Die FFP2-Maske sei deutlich unbequemer als ein „normaler“ Mund-Nase-Schutz: „Wenn Corona vorbei ist, haben wir alle eingedrückte Nasen und abstehende Ohren“, scherzt die Hebamme. Und: „Manche dieser Masken sind wirklich furchtbar: Sie stinken und ziehen an den Ohren.“

Die werdenden Mütter dürfen den Mundschutz - „normale“ Behelfsmasken - im Klinikum abnehmen, sobald die Wehen einsetzen, berichtet Hilkowitz. Die Männer müssen ihn aufbehalten. Mit Maske entbinden? In den Augen der Hebamme „nicht machbar“. Es sei schon für das Personal belastend.

Plötzlich war Corona ganz nah

Doch es geht noch unbequemer: Wenn tatsächlich eine Patientin positiv getestet wurde, Symptome hat oder aus einem Risikogebiet kommt, wächst die Schutzausrüstung um einige Teile an: Kittel, Brille, Kopfbedeckung, doppelt Handschuhe… „Da macht dann das Entbinden für uns gar keinen Spaß mehr.“ Man bekomme nicht nur keine Luft, sondern „hätte besser einen Bikini drunter“, weil man so schwitze.

Doch auch all diese Maßnahmen können nicht verhindern, dass sich Patienten und das Personal anstecken. Vor gut sechs Wochen erfuhr Hilkowitz, dass sie tags zuvor eine Patientin behandelt hatte, die positiv war - was zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war. Eine Erfahrung, die sie auch zum Nachdenken gebracht hat. Symptome entwickelte Hilkowitz zum Glück nie. Regelmäßig getestet wurden die Hebammen am Klinikum Ingolstadt auch nie - nur, wenn sie Symptome hatten. Ähnlich, wie es von anderen Mitarbeitern des Klinikums noch zu Beginn der Pandemie zu hören war.

Eine Corona-Regel "auch danach beibehalten"

Um das Infektionsrisiko zumindest einzudämmen, sind die Besuchsregelungen in den Krankenhäusern immer noch sehr streng. So auch in Ingolstadt. Aktuell darf die Mutter am Tag 30 Minuten Besuch von einer Person bekommen. Das sieht Hilkowitz zwiespältig. Einerseits fänden es viele Mütter schade, dass der Vater nicht so lange bei Mutter und Kind sein darf. Auf der anderen Seite bleiben alle anderen Besucher ganz weg. „Das ist für alle Beteiligten – auch das Personal - deutlich ruhiger und somit ganz positiv.“ Man habe mehr Zeit, das neue Familienmitglied kennenzulernen. „Diesen Teil müssten sie in meinen Augen auch danach beibehalten“, findet Hilkowitz. Und bekomme das auch von mehreren Seiten als Rückmeldung.

Auch vor dem Hintergrund, mehr Zeit mit dem Papa zu haben, würden sich jetzt etwas mehr Frauen für eine ambulante Geburt entscheiden, beobachtet sie. Das bedeutet, dass die Mütter einige Stunden nach der Entbindung entlassen werden. Vorteil: So viel Zeit mit dem Vater, wie man will. Nachteil: Man muss schon am Folgetag mit dem Kind für eine Untersuchung (U2) zum Arzt – wo man natürlich auf andere Menschen trifft, im Zweifelsfall Kranke. Familienzimmer funktionieren dank Corona im Ingolstädter Klinikum aktuell nicht, bis auf wenige Ausnahmen.

"Das war für uns ganz furchtbar"

Doch nicht nur die Zeit mit dem Vater ist begrenzt. Wenn die Frauen bereits Kinder haben, können Sie die oft gar nicht sehen, da nur eine Besuchsperson pro Tag erlaubt ist - und die ist oft der Vater. Einige Schwangere müssen auch in Ingolstadt vor der Entbindung bereits wochenlang im Krankenhaus liegen. Und sehen dann – zum Beispiel fünf Wochen lang – ihre „großen“ Kinder nicht. „Da bleibt nur Facetime“, sagt Hilkowitz, „das empfanden die Mütter als zusätzliche Belastung.“ Die Hebammen hätten versucht, Ausnahmeregelungen zu schaffen, doch das habe nicht funktioniert. „Das war für uns – als Hebammen aber auch als Mütter – ganz furchtbar.“

Sophie Schmidt