Ingolstadt
"Massenflucht" aus der Innenstadt

Salamander, Jeans-Insel, Sisley: Drei Traditionsgeschäfte schließen - zwei wegen mangelnder Frequenz

22.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:32 Uhr
Ein Meer von Jeans umgibt Hedwig Greger in der Jeans-Insel in der Schrannenstraße. Die 65-Jährige geht in Ruhestand und schließt zum Jahresende ihren Laden ? nach 35 Jahren. Auch in der Sisley-Filiale in der Milchstraße (Foto unten rechts) ist derzeit Räumungsverkauf. Grund für die Schließung Ende Juli ist mangelnde Frequenz. Ende September zieht sich auch Salamander aus der Innenstadt zurück. −Foto: Fotos: Hauser

Ingolstadt (DK) Die Innenstadt wird schon bald um drei Traditionsgeschäfte ärmer sein. Neben dem Schuhgeschäft Salamander, das seit 1966 im sogenannten Ickstatt-Haus untergebracht ist, werden auch die Jeans-Insel in der Schrannenstraße, seit 35 Jahren am Ort, und die Filiale von Sisley in der Milchstraße schließen. Die Innenstadt blutet immer mehr aus.

"Räumungsverkauf! Wir schließen!" Derlei Hinweise in unterschiedlichen Größen und Varianten sind an den Schaufenstern alteingesessener Ingolstädter Geschäfte immer öfter zu finden. "Es kommt mir fast vor wie eine Massenflucht", sagt Sabine Stenner, die Leiterin der Sisley-Filiale in der Milchstraße. 22 Jahre hatte das italienische Modeunternehmen einen Laden in Ingolstadt. Erst in der Kupferstraße, dann - zusammen mit Benetton - in der Ludwigstraße und in den vergangenen zehn Jahren in der Milchstraße, wo gerade der Räumungsverkauf läuft. "Es gibt einfach zu wenig Laufkundschaft in der Stadt", klagt Stenner. Um dem entgegenzuwirken, lieferten sich die Geschäfte gegenseitig einen Preiskampf. Aber man könne eben nicht das ganze Jahr über reduziert verkaufen.

Auch das Parken in der Innenstadt sei ein Problem. Und allzu eifrige Parkwächter, die, wie die Filialleiterin oft beobachtet habe, die letzten Kunden vergraulen. Der Grund für die Schließung der einzigen Sisley-Filiale im weiten Umkreis zum 1. August ist die zurückgehende Frequenz. Der Umbruch sei spürbar, "seit der Wagner in der Ludwigstraße zugemacht hat". Dann kam der Westpark, später das Online-Geschäft, das das Modeunternehmen übrigens auch selbst betreibt. Stenner: "Es wird immer uninteressanter in der Stadt." Das höre sie auch oft von Kunden.

Zum Jahresende schließt auch Hedwig Greger, die Inhaberin der Jeans-Insel in der Schrannenstraße, ihren Laden. Dies jedoch hat mit dem Ausbluten der Innenstadt weniger zu tun. Greger ist 65 und geht ganz einfach in den wohlverdienten Ruhestand. Ihre Suche nach jemandem, der die Jeans-Insel übernimmt, war vergeblich. "Die jungen Leute heutzutage wollen nicht, wie ich, sechs Tage in der Woche arbeiten."

Als sie vor 35 Jahren die Jeans-Insel als eines der ersten Jeansgeschäfte der Stadt eröffnete, war sie 30. Jeans waren damals noch aktueller als heute. "Damals hat niemand was anderes angehabt", erinnert sich Greger. Was im Gegensatz zu heute allerdings total anders war: "Man musste die Jeans erst selber runterarbeiten." Heute geschieht dies maschinell.

"Jeans, das ist unser tägliches Brot", sagt die Geschäftsfrau, die in ihrem Laden bei der letzten Inventur etwa 3000 Stück davon gezählt hat. Im hinteren Teil des Geschäfts, wo sich Herren- und Damenjeans in den Regalen stapeln, wird überdeutlich, wie viele verschiedene Arten, Formen und Marken der Kulthose es gibt. "Es ist wichtig, dass die Hose zu den Menschen passt", sagt Greger. Als wenig später eine Kundin kommt, um für ihren vielbeschäftigten Mann eine Jeans der Marke Mustang zu kaufen, folgt die Probe aufs Exempel: "Wie groß ist er, was wiegt er?", will Greger wissen. Und greift ins Regal: "Er trägt bestimmt die Tramper." Weil auch die "Oregon Tapered" infrage kommt, bekommt die Dame mehrere Modelle zur Auswahl mit.

Hedwig Greger hat vor allem Stammkunden. Erzählen könnte sie von ihren 35 Jahren als Jeansverkäuferin so einige Anekdoten. "Ich könnte Bücher schreiben, aber das möchte ich nicht." Das hielte sie ihren Kunden gegenüber für unfair. Dass zwei, die sich zufällig in ihrem Laden getroffen haben, später geheiratet haben, lässt sie dann doch raus. Ohne Namen zu nennen, allerdings. Einer ihrer treuesten Stammkunden sei ihr Vermieter. Auf den die Geschäftsfrau ohnehin nichts kommen lässt. Er habe in 35 Jahren nicht einmal die Miete erhöht - und sei ihr auch sonst immer entgegengekommen.

Günther Bergmeier wiederum hat für seine langjährige Mieterin nur lobende Worte. Den Mietvertrag hätten seinerzeit noch seine Eltern unterschrieben, erzählt er. So kam er zunächst als Kunde in die Jeans-Insel. Nicht nur, weil ein solches Geschäft im Elternhaus praktisch ist, sondern vor allem, "weil die Beratung immer gepasst hat". "Wenn man in den Laden kommt, schaut sie einen an und weiß nicht nur die Größe auf den ersten Blick, sondern hat ein Händchen dafür, etwas Passendes auszusuchen." Etwas, was vor allem Männer schätzen, wie der 70-Jährige sagt. Weil, zumindest für ihn, Kleidung einzukaufen "ein Graus ist". Und in der Jeans-Insel "bekomme ich möglichst schnell genau dass, was ich gesucht habe". Ein besseres Kompliment kann man einer Verkäuferin nicht machen.

Günther Bergmeier ist in dem Haus in der Schrannenstraße geboren und aufgewachsen. Im vorderen Teil des Erdgeschosses, in dem die Jeans-Insel ist, hatte seine Oma früher ein Haushaltswarengeschäft. Sein Opa hat als Feilenhauer alte Feilen aufbereitet. Ein Handwerk, das nicht gerade leise war. "Heute wäre das hier undenkbar." Wer nach dem Auszug der Jeans-Insel zum Jahresende in die Räume einziehen soll, weiß der Vermieter noch nicht.

Noch unklar scheint auch die Zukunft der Ladenfläche im Ickstatthaus, wo Ende September Salamander ausziehen wird. Auch dieses Geschäft hat in Ingolstadt eine lange Tradition. Die Salamander AG hatte das 1730 von dem Gelehrten Johann Adam Freiherr von Ickstatt errichtete Gebäude mit seiner berühmten Rokoko-Fassade 1966 von dem späteren Besitzer, Kaufmann Karl Reuthlinger, erworben. Wegen akuter Einsturzgefahr wurde es später fast komplett abgerissen und in den 1980er-Jahren neu aufgebaut.

Warum sich Salamander nach so vielen Jahren aus der Innenstadt zurückzieht, hätten wir gerne erfahren. Trotz mehrfacher schriftlicher Anfrage war bislang von der Klauser-Schuhgruppe, zu der Salamander gehört, keine Stellungnahme zu erhalten. In einem Immobilienportal ist die Ladenfläche "frei ab 1. Oktober" noch immer ausgeschrieben. Im Laden selbst begründen Verkäuferinnen gegenüber Kunden die Schließung mit mangelnder Frequenz. Die Innenstadt, heißt es, blute eben immer mehr aus. "Aber jetzt kommt ja bald Primark, der die Innenstadt rettet", sagt eine Verkäuferin mit Galgenhumor. Wirklich ernst meint sie das wohl nicht.

Ruth Stückle