Ingolstadt
Aktenzeichen XY ungelöst

Wer hat im Fall Lehmann Unterlagen gestohlen? Verwaltung klärt viele Fragen - bis auf die entscheidende

11.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:36 Uhr
Sie sind einander unübersehbar in gegenseitiger Aversion verbunden: OB Christian Lösel (l.) am Donnerstag im Ingolstädter Stadtrat Auge in Auge mit BGI-Chef Christian Lange. Die Auseinandersetzung über den Fragenkatalog der BGI zu den verschwundenen Unterlagen im Fall Lehmann fiel entsprechend heftig aus. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) In der Stadtratssitzung war am Donnerstag Aufklärungsarbeit zu erleben, die phasenweise kriminalistisch anmutete. In einem Büro des Klinikums im Hollis-Center sowie im Archiv der Stadttochter IFG sind Unterlagen verschwunden, die vermutlich für das Landgerichtsverfahren gegen Alt-OB Alfred Lehmann relevant sind. Stadtverwaltung, Klinikum und IFG haben die Fragen der Bürgergemeinschaft (BGI) zu diesen Vorfällen gründlich beantwortet, doch zwei zentrale blieben offen: Wie konnte das passieren? Und wer ist es gewesen?

Wer der Szene mit geschlossenen Augen lauscht, mag sich an ein Hörspiel im Radio erinnert fühlen. Zwei Frauen und zwei Männer sprechen abwechselnd. Alle sehr ernst und getragen. Mal länger und mal kürzer tragen sie ihre ausformulierten Texte vor. Ringsum: gespanntes Schweigen. Denn der Inhalt der im Sitzungssaal rezitierten Sätze geizt nicht mit kriminell-dramaturgischer Anmutung, was den Unterhaltungswert des Tagesordnungspunkts 1 steigert, obgleich der Anlass ein überaus heikler ist. Das Drehbuch hat, wenn man so will, die BGI verfasst. An deren langem Fragenkatalog müssen sich die vier Vortragenden nun abarbeiten.

Es lesen: Monika Röther (Geschäftsführerin des Klinikums), Andrea Steinherr (Beteiligungsmanagerin der Stadt), IFG-Chef Norbert Forster und Kulturreferent Gabriel Engert, denn die Frage, wie das Stadtarchiv mit Akten verfährt und sie sichert, hat die BGI auch auf dem Zettel.

Stadträte und Publikum erfahren dabei, dass man bei der IFG E-Mails ausdruckt und abheftet. Die Korrespondenz zum Verkauf des Krankenhausareals sei aus einem Aktenordner im Archiv der Gesellschaft herausgenommen worden und ward nicht mehr gesehen, was 2017 aufgefallen ist. Die Verwaltung könne zum Archiv der Tochtergesellschaft keine Aussage treffen, sagt Steinherr. Sie bemerkt grundsätzlich: Bei aller pflichtbewussten Sicherung, lässt sich "Aktenverlust durch kriminelle Energie nicht verhindern".

Der Ordner, der im Klinikum gestohlen wurde, enthielt (vermutlich) die Angebote zweier Bauträger für das Gelände des einstigen städtischen Krankenhauses in der Altstadt. Er verschwand irgendwann 2016 aus einem Büro des Klinikums im Hollis-Center. Es wurde zusätzlich ein elektronischer Ordner angelegt, den jemand unerlaubt gelöscht hat. Diese Datensätze wurden aber inzwischen auf einem alten Server entdeckt und rekonstruiert. Monika Röther betont: "Die Angebotsunterlagen wurden nicht im Archiv der Klinikums entwendet!" Das sei streng gesichert (Patientenakten sind höchst sensibel). Besagter Ordner befand sich in einem "normalen" Büroraum im Erdgeschoss des Hollis-Centers. "Eine Archivierung dieser Unterlagen war noch nicht erfolgt, da der Vorgang ,Verkauf Krankenhausareal' noch nicht gänzlich abgeschlossen war". Röther versicherte, dass der Zugang zu den Büroräumen "stets verschlossen ist". Jedoch: Der Raum, in dem sich der Ordner befand, "war nicht zusätzlich verschlossen"; inzwischen ist er es, eine Lehre aus dem Vorfall.

"Einen Schlüssel zu den Räumen hatten und haben nur Mitarbeiter, die dort ihren Arbeitsplatz haben, und die Geschäftsführung des Klinikums." Aber ganz sicher keine Bürgermeister, Altoberbürgermeister oder Referenten. Die hätten auch keinen Generalschlüssel - so einen besitze allein die Geschäftsführung des Klinikums. Alle anderen Schlüssel seien limitiert und namentlich zuzuordnen.

Erste Schlussfolgerung: Der Aktenordnerdieb war zugangsberechtigt, denn er hatte einen Schlüssel für das Büro. "Es gab keinen Einbruch, es wurde keine Sicherung umgangen", stellt Stadtrat Hans Süßbauer (CSU), Kriminalhauptkommissar im Ruhestand, fest. "Das ist sehr bedauerlich, aber gegen kriminelle Energie ist man nie gefeit."

Damit leitet Süßbauer zum nächsten Drama über. Jetzt ohne Drehbuch. Die CSU-Fraktion trägt ihren Angriff auf BGI-Chef Christian Lange frei formulierend vor. Der von der BGI veröffentlichte Fragenkatalog hätte "nur dazu gedient, den Oberbürgermeister vorzuführen, aber er ist für die kriminelle Energie anderer nicht zuständig!", schimpft Süßbauer ziemlich aufgebracht. Patricia Klein, CSU-Fraktionvorsitzende und Rechtspflegerin von Beruf, ist richtig sauer: "Sie fügen der Stadt Schaden zu!", lässt sie Lange wissen. "Sie dürfen Dingen, die sie nicht sicher wissen, nicht als Fakten deklarieren! Als Anwalt sollten Sie das eigentlich wissen." Dann hält Klein dem BGI-Fraktionschef mehrere "Fehler" in dessen Pressemitteilung zum Fragenkatalog vor. Lange, klagt sie, "betreibt Wahlkampf auf dem Rücken der Verwaltung, der Stadttöchter und des OB, die alle ihre Pflichten erfüllt haben." Lange "haut auf Unschuldige drauf - das ist populistisch und unanständig!"

Christina Hofmann (CSU) sieht einen "politischen Offenbarungseid" der BGI. Lange habe schon 2017 in der Zweckverbandsversammlung des Klinikums erfahren, dass Akten fehlen, aber erst jetzt gebe er den großen Aufklärer. "Das kann ich einfach nicht verstehen."

Anton Böhm (SPD)versucht einen deeskalierenden Einwurf: "Wir sollten keine politische Geschichte daraus machen. Die Bürger müssen wissen: Es läuft alles korrekt!" Albert Wittmann (CSU) stellt fest: "Nirgendwo ist geschlampt worden! Man darf nicht den Eindruck erwecken, als würden bei uns ständig Akten verschwinden." Mitnichten. Lange "gießt Öl ins Feuer".

Der wehrt sich: "Dass Ihnen mein Stil nicht gefällt, ist nichts Neues und damit kann ich auch leben." Es sei gut, dass die BGI die Fragen gestellt habe. "Denn wir müssen den Bürgern klar machen, dass der Stadtrat alles im Griff hat, dass seine Kontrolle funktioniert. Das haben wir jetzt gemacht!" An der Sitzung der Klinikum-Verbandsversammlung 2017, in der die fehlende Akte erwähnt wurde, habe er einmalig als Stellvertreter teilgenommen, sagt Lange. Was dort gesprochen wird, muss geheim bleiben. "Ich konnte nicht wissen, wie es im Klinikum weitergegangen ist." Doch damit vermag er all jene Stadtratskollegen, die ihn grimmig ansehen, nicht wirklich zu überzeugen

Christian Silvester