Ingolstadt
Traumatisiert durch Ankerzentren?

Ein Themenabend von Amnesty International informierte über die schwierige Situation von "Frauen im Asyl"

13.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:57 Uhr
Sabine Kaczynski
  −Foto: Hauser, Kaczynski (2)

Ingolstadt (DK) Mehr als 200 Besucher, darunter zahlreiche Vertreter aus Stadtrat und Behörden, fanden sich im Foyer des Stadttheaters zu der Veranstaltung „Frauen im Asyl“ ein, zu der Amnesty International Ingolstadt eingeladen hatte. Die vier Referenten beleuchteten nicht nur die Probleme, Verletzungen und Traumata, die die Frauen während und nach der Flucht durchmachen müssen, sondern es kamen auch die Besorgnis erregenden Bedingungen in den Ankerzentren zur Sprache.

Nach einer kurzen Begrüßung der Anwesenden durch Gudrun Rihl von Amnesty International Ingolstadt ging Anwältin Bettina Nickel auf die Flüchtlingszahlen und die Fluchtgründe von Frauen ein und mahnte die Zuhörer, nicht zu vergessen, dass 1945 unzählige Deutsche selbst auf der Flucht waren: "Von den über 68 Millionen Menschen, die im Jahr 2017 zur Flucht gezwungen waren, sind fast zwei Drittel in der Nähe ihres Herkunftslandes geblieben", erläuterte Nickel, die unter anderem stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros Bayern und in der Härtefallkommission ist. "Die meisten Flüchtlinge stammen aus Syrien, Afghanistan und dem Süd-Sudan. Unter den Aufnahmeländern rangiert Deutschland auf Platz sechs, nach Ländern wie der Türkei, Pakistan und Uganda."

Als Ursachen, warum Frauen flüchten, nannte Nickel politische, religiöse, aber auch sexuelle Gründe: So seien die weiblichen Flüchtlinge Gefahren wie Zwangsheirat, Vergewaltigung und nicht zuletzt häuslicher Gewalt ausgesetzt. Aber auch in den Flüchtlingslagern bestünden für Frauen höhere Risiken als für Männer, meint Nickel, die sich die komplette Abschaffung der Ankerzentren wünscht.

Psychotherapeutin Barbara Abdallah-Steinkopff erläuterte im Anschluss Ursachen und Folgen von Traumatisierung, die bei fast allen geflüchteten Frauen feststellbar ist. "Sie haben großes Misstrauen gegenüber anderen und fühlen sich wertlos", beschreibt Abdallah-Steinkopff. Mehrfachbelastungen wie Angststörungen, Suizidalität und Suchtverhalten seien die Folge.

Der Polizeibeamte Fred Over hat in den Ingolstädter Ankerzentren zwei verschiedene Funktionen: Er ist Präventionsbeamter, aber auch bei Polizeieinsätzen dabei. Er beschrieb seine Aufgabe, den Flüchtlingen den Umgang mit der Polizei und der Bevölkerung näherzubringen und den Versuch, beide Seiten aneinander zu gewöhnen: "Es ist eine sehr schöne Aufgabe, das Leben für die Flüchtlinge einfacher zu machen", meinte er, nannte aber auch Probleme. Durch die zeitliche Beschränkung könne man nicht viel bewirken, dennoch versuche er, die Beziehung zwischen den Ankerzentrenbewohnern und ihren Nachbarn zu verbessern. Sein Wunsch ist es, Räume zu öffnen und mehr Sportanlagen einzurichten.

Sehr deutlich wurde Gabriele Störkle vom Caritas-Zentrum Pfaffenhofen, die mit eindringlichen Worten die Missstände in den Ankerzentren anprangerte. Entfremdung und Unwahrheiten über die Ankerzentren hätten ihren Ursprung in der Tatsache, dass diese völlig abgeschottet seien. Weder Familienangehörige noch Presse dürften sie betreten, selbst ehrenamtlichen Helfern werde der Zugang erschwert. Fehlende Privat- und Intimsphäre, das Sachleistungsprinzip (Essen wird gekocht, Kleidergutscheine und Fahrkarten werden gestellt, dafür wird nur ein geringes Taschengeld für den persönlichen Bedarf bereitgestellt) und der Fakt, dass immer mehr Menschen auf gleichbleibend engem Raum zusammenleben müssen, lasse die Flüchtlinge in den Ankerzentren unzufrieden werden. "Gerade Frauen beklagen, dass die Zimmer nicht abgesperrt werden können oder sie nicht selbst für ihre Kinder kochen dürfen." Auch mangele es an einer Kinderbetreuung, so dass die Mütter oft nicht an Sprachkursen teilnehmen können. "Fehlende Autonomie und Selbstbestimmung können traumatisierend wirken, vor allem, wenn dieser Zustand zu lange dauert. Im Schnitt sind die Bewohner aber mehr als ein Jahr in den Ankerzentren - das verschärft die Problematik", warnt Störkle. "Die Idee der Ankerzentren war ein zügigeres Asylverfahren. Uns ist es inzwischen zu schnell", kritisiert Gabriele Störkle. Es fehle die Beratung vor den Gesprächen, dann werde gegen den Bescheid geklagt, das anschließende Verfahren dauere dann sehr lange. Sie wünscht sich, die Zeit vor der Anhörung wieder auf drei Wochen zu erhöhen und Kitas mit Förderung, Bildung und Erziehung in den Zentren zu etablieren.

Gudrun Rihl von Amnesty International, die den Abend organisiert hatte, freute sich nach der Veranstaltung über die offenen Worte: "Ich wollte die Situation der Frauen in den Ankerzentren in die Öffentlichkeit bringen", beschreibt sie ihre Motivation. "Denn der Grundsatz, dass jeder Mensch die gleiche Würde hat, wird meiner Meinung nach dort verletzt. Es waren heute sehr viele Politiker hier - daraus kann etwas entstehen, wodurch sich die Situation in den Ankerzentren ändert. Zusammenfassend wünsche ich mir mehr Teilhabe für die geflüchteten Frauen." Musikalisch umrahmt wurde der Informationsabend von der Schauspielerin Teresa Trauth.
 

Sabine Kaczynski