Ingolstadt
Sound History - die Erforschung der Klänge

Ingolstadts Militärmusiker verfügten einst über ein großes Repertoire - und ihre Konzerte waren gesellschaftliche Ereignisse

23.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:29 Uhr
Mehr als 1600 Mappen mit gedruckten sowie handschriftlichen Kompositionen umfasst der Bestand der Militärmusik im Stadtarchiv, den die Wissenschaftlerin Iris Winkler genauer untersuchen will. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Adolf Scherzer als Komponist des Bayerischen Defiliermarschs ist wohl vielen bekannt. Doch wirkten in Ingolstadt im 19. und 20. Jahrhundert noch etliche weitere Militärmusikmeister. Deren Konzerte waren einst große gesellschaftliche Ereignisse in der Stadt.

Die Wagnerianer unter uns müssen jetzt ganz stark sein. Ehrlich! Denn es könnte sein, dass das, was sie jetzt lesen, nicht so ganz ihren Vorstellungen entspricht. Es geht um einen Bericht über die Beerdigung von Richard Wagner: "Danach setzte sich der Trauerzug zur Villa Wahnfried in Bewegung: einer Abteilung der Turnerfeuerwehr folgten zwei Herolde, darauf das Musikkorps des K.B. (Königlich-Bayerischen) 7. Infanterie-Regiments, das Trauermärsche von Beethoven und Chopin musizierte, dann Kranzträger sowie ein Wagen voller Kränze. Es folgten der Leichenwagen, dahinter die Geistlichkeit, als Vertreter des Königs General Graf von Pappenheim, und die Vertreter der höchsten Behörden sowie das Offizierskorps und die Beamten der Stadt. Dem Musikkorps des K.B. 6. Chevaulegers-Regiments, das Trauermärsche von Georg Friedrich Händel und Johann Simon Mayr intonierte, folgten die Musikvereine Bayreuths sowie die Vertreter der Stadt."

Tatsächlich erklang an diesem 17. Februar 1883 ein Werk des in Mendorf geborenen Ingolstädter Komponisten beim Trauerzug für Wagner. Und die Ingolstädter Musikwissenschaftlerin Iris Winkler hat nicht nur diesen alten Zeitungsbericht ausgegraben, sie ist sich auch sicher, dass Mayr Komposition "Marcia lugubre" gespielt wurde, interpretiert als Militärmusik. Denn diese war im 19. Jahrhundert ein fester Bestandteil des Gesellschafts- und Kulturlebens, so ein Fazit von Winklers Recherchen.

"Gewisse Militärkapellen galten als ausgesucht", so die Wissenschaftlerin, wie auch so manche Militärmusiker durchaus als Virtuosen auf ihrem Instrument galten. Dies wusste beispielsweise auch Wagner, der stets Kontakt zu den Dirigenten und Musikern der in Bayreuth stationierten Regimentskapellen hielt, weil er deren Zuverlässigkeit und Präzision im Spiel der Bläser schätzte. Viele Militärmusiker spielten in Sinfonie- und Opernorchestern, was wiederum zu einer Verbreitung des unterhaltsamen Repertoires führte, und die Grenzen zwischen Militär- und Theatermusik waren fließend. "Sound History" nennt sich dieser noch recht junge Zweig der Geschichtswissenschaft, der den Einfluss von Klängen auf die jeweilige Gesellschaft untersucht - und wo es noch viel zu erforschen gibt.

Auch in der Garnisonsstadt Ingolstadt war das Interesse an Militärmusik groß und die Konzerte der Musikmeister gesellschaftliche Ereignisse. So hieß es beispielsweise im "Ingolstädter Tagblatt" in der Ausgabe vom 25. Februar 1885 über ein Konzert des königlichen Obermusikmeisters Max Schott (1856 - 1934) in Meindl's Colosseum, dass die Stücke "... wirklich mit einer solchen Reinheit und Virtuosität trotz der ungeheuren Schwierigkeiten vorgetragen wurden, dass die Begeisterung eine allgemeine war". Als Schott im Jahr 1919 im Schäffbräukellersaal sein Abschiedskonzert gab, musste dieses wegen der überaus großen Nachfrage wiederholt werden. Das Programm der Militärmusiker des 10. Infanterie-Regiments war dabei durchaus ambitioniert: Ouvertüre zu Richard Wagners Oper "Rienzi", Arrangements über Giacomo Puccinis "La Bohème", einige Teile aus Mendelssohns "Sommernachtstraum" sowie Haydns "Paukenschlag"-Symphonie und Liszts "Ungarische Rhapsodie".

Schott war freilich nicht der einzige bekannte Ingolstädter Musikmeister. Zu nennen wären beispielsweise Rudolf Kropp, Georg Bernklau, Max Seidenspinner, Heinrich Kohn oder Karl Heinz Schömig. Nicht vergessen werden darf natürlich Adolf Scherzer, Musikmeister im 7. Infanterie-Regiment und Komponist des Ingolstädter "Parademarschs", besser bekannt als Bayerischer Defiliermarsch.

Ein Bestand Ingolstädter Militärmusik befindet sich im Kavalier Hepp. Dabei handelt es sich laut Winkler um über 1600 Mappen mit verschiedenen Herkunftsstempeln. Unter diesen Kompositionen (teils gedruckt, teils handschriftlich) finden sich nicht nur Märsche, sondern auch eine Vielzahl von Arrangements, Opern- und Operettenbearbeitungen vom späten 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein. Zwar wird alles in der wissenschaftlichen Bibliothek verwahrt, das Material ist aber laut Winkler noch ungenügend erschlossen. Außerdem existieren noch weitere Militärmusikbestände in der Armeebibliothek sowie in anderen Garnisonsstädten. Winklers Anregung: eine digitale, datenbankmäßig erfasste Zusammenführung sowie eine wissenschaftlich fundierte Erschließung und Dokumentation zur Ingolstädter Militärmusik.
 

Bernhard Pehl