Ingolstadt
Rennen gegen die Zeit

OB Lösel und sein Kampf um digitale Leuchtturmprojekte und Fördermittel

20.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:31 Uhr
Die Zukunft ist digital, und sie hat bereits begonnen: Der OB ist wild entschlossen, Ingolstadt im Rennen um die besten Plätze in der neuen Welt weit nach vorne zu führen. Allerdings wollen auch die Bürger bei dieser Entwicklung mitgenommen werden. −Foto: Foto: Getty Images / Montage: Hauser

Ingolstadt (DK) Es ist das komplexeste Thema, das jemals in der Stadtgeschichte angepackt worden ist, und das Rennen läuft bereits. Ingolstadts Platz in der digitalen Zukunft zu sichern, ist die zentrale Aufgabe dieser Tage. Mit einem Bündel von Maßnahmen und Projekten hat die Stadtregierung um OB Christian Lösel diese Herausforderung angenommen. Jetzt hat der Rathauschef im Kreis der IFG-Verwaltungsräte einmal zusammengefasst, warum all das so eilbedürftig ist.

Die Ingolstädter Digitalisierungsoffensive ist das Lieblingsprojekt des Oberbürgermeisters. Nun hat er wie selten bis nie zuvor all das, was ihn auf diesem vermutlich wichtigsten lokalen Politikfeld umtreibt, im IFG-Verwaltungsrat ausgebreitet. Hintergrund: Die städtische Industriefördergsellschaft soll Wege finden, den Ingolstädter Mittelstand in alle Bemühungen einzubinden. Das Thema sollte zunächst hinter verschlossenen Türen behandelt werden, doch nach Intervention von Grünen-Stadträtin Petra Kleine befanden plötzlich alle, dass es in den öffentlichen Teil der Sitzung gehörte.

Anschließend fragten sich nicht wenige Teilnehmer, ob überhaupt alle Bürgervertreter, die sich nicht ständig mit der Stadtentwicklung befassen, noch spannen, worum es gerade rund um die Technische Hochschule, um neue Institute und Firmen, um Digitales Gründerzentrum und die künftige Audi-Denkfabrik IN-Campus geht. Bürgermeister Albert Wittmann verlangte es bereits nach externer Beratung: "Der Stadtrat allein ist überfordert." Dass noch alle Bürger mitkommen, glaubt ohnehin kaum jemand. "Wie nehmen wir die Menschen mit?", fragte BGI-Fraktionschef Christian Lange stellvertretend in die Runde. Es brauche dringend eine umfassende Bürgerbeteiligung in Sachen digitaler Agenda, so klang es auch aus anderer Munde, selbst aus CSU-Reihen.

Die plötzliche Eile bei den Beschlüssen zum großen Anbau ans Kavalier Dalwigk vor einigen Wochen (DK berichtete ausführlich) hat gezeigt: Hier sind starke Interessen im Spiel - sicher seitens der THI, aber eben auch solche der Stadtspitze. OB Lösel ("Ich telefoniere täglich zweimal mit Professor Schober und auch mit MdB Brandl") hat brennenden Ehrgeiz entwickelt, diese Stadt im Rennen um digitale Leuchtturmprojekte und entsprechende Fördertöpfe ganz weit nach vorne zu schießen.

Der OB weiß, dass in einer täglich weiter beschleunigenden Welt schon langsames Traben uneinholbaren Rückstand bedeutet. Deshalb hat er wegen seiner digitalen Agenda und bei den Projekten, die Ingolstadt über die Begleitung durch die Bayerische Staatsregierung zuwachsen, nicht nur schönes Wetter bei auswärtigen Beteiligten, sondern auch Dampf im eigenen Haus gemacht. Nicht immer zur Begeisterung politischer Begleiter oder gar von Skeptikern aus den Oppositionsgruppen.

Eine Aufzählung nur der wichtigsten Entwicklungen, die sich auf dem früheren Gießereigelände bereits realisieren ließen oder die sich zumindest abzeichnen: Verdoppelung der THI-Kapazität, Digitales Gründerzentrum, bayerisches Kompetenzzentrum für digitale Mobilität, Ansiedlung eines Ablegers des Dresdner Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme mit Schwerpunkt digitaler Verkehrslenkung. Möglicherweise klappt es nun auch noch mit einem europäischen Pilotprojekt für Flugtaxis. Hinzu kommt auf jeden Fall (an anderer Stelle) Audis künftiger IN-Campus mit der sogenannten letzten Meile für autonomes Fahren von der Autobahn bis ins neue Entwicklungszentrum auf dem früheren Raffineriegelände. Auf all diesen Hochzeiten tanzt Lösel, tanzt damit eben auch die Stadt begeistert mit. Keine Frage, dass das nach Koordination und Kondition verlangt.

Der OB gab den IFG-Räten zu verstehen, dass die Steuerung all dieser Projekte bislang noch bei ihm und wenigen anderen Führungskräften im Rathaus (zum Beispiel Stadtdirektor Hans Meier und Amtsleiterin Andrea Steinherr vom städtischen Beteiligungsmanagement) zusammenläuft und viel Zeit verlangt. Ziel des Rathauschefs ist die Aufstockung des städtischen Stellenplans, um künftig neue Fachleute für genau diese Aufgaben abstellen zu können. Vor allem staatliche Zuschüsse, die jetzt winken und nur wenig später vielleicht schon von anderen abgegriffen worden sind, wollen mitgenommen werden. Denn: "Dieser Markt hat sich in 18 Monaten verlaufen; wenn ich abwarte, bis die Stellen da sind, kann es schon zu spät sein!"

Ein Rennen gegen die Zeit also, bei dem auch einige Spielregeln der Bürgerbeteiligung (beim Dalwigk zuletzt nur kurz zwischen zwei entscheidenden Sitzungsterminen mit einem flüchtigen Besichtigungsrundgang eingeschoben) auf der Strecke zu bleiben drohen. Christian Lösel weiß wohl, dass er sich mit diesem gestreckten Galopp nicht nur Freunde macht, aber er appelliert an die Stadträte, dieses Tempo zum Wohle der nachkommenden Generationen zumindest für den Moment mitzugehen.

Einige IFG-Räte haben in der Sitzung am Montag vorgeschlagen, dem gesamten Stadtrat möglichst noch vor der Sommerpause das zu vermitteln, was der OB jetzt im kleineren Kreis erläutert hat. Realistischer, so Lösels Einschätzung, wird ein Termin nach den Ferien sein. Wohl im Oktober. "Bis dahin", so der Rathauschef abermals ganz euphorisch, "haben wir auch schon wieder fünf neue Fördertöpfe.
 

Kommentar

Für Christian Lösel ist es das Thema seiner ersten Amtszeit, und wenn er eine weitere anstreben und bekommen sollte, wird es ihm bleiben. Eine Welt ohne digitale Begleitmusik wird es einfach nicht mehr geben. Wahrscheinlicher ist sogar, dass die Sphären der Einsen und Nullen zum Wesenskern unserer Zivilisation werden − mit allem Nutzen, aber auch mit allen Gefahren.

Alle (auch kommunalen) Entscheider mit Weitblick wissen das, und gerade dort, wo sich das tägliche Leben der Menschen abspielt − an ihren Wohnorten und Arbeitsstätten − muss spätestens jetzt die Infrastruktur geschaffen werden, die den Anforderungen einer neuen Zeit gerecht wird.

Demzufolge tut sich derzeit in fast allen größeren Kommunen etwas auf diesem Sektor, doch in Ingolstadt würde man zu kurz springen, wenn man es bei solchen „Basics“ für die „Smart City“ (um einmal im typischen Jargon zu bleiben) bewenden lassen würde. Die Stadt hat als ohnehin technologielastiger Industriestandort eine größere Aufgabe zu schultern: Sie muss die Prosperität der vergangenen Jahrzehnte in die digitale Zukunft retten − gemeinsam mit den großen Arbeitgebern wie Audi und Conti, aber auch gemeinsam mit Start-ups und neuen Ideenschmieden, die heute vielleicht noch gar nicht gegründet sind. Und es gibt noch eine dritte Ebene: Ingolstadt hat die einmalige Chance, dank jetzt anstehender, vom Freistaat wohlwollend begleiteter Investitionen in den Wissenschaftsstandort eine vielleicht sogar (in Europa) einsame Führungsrolle auf dem Feld der digital gesteuerten Mobilität zu übernehmen. Das Fenster für diese Entwicklung steht nur kurze Zeit offen, was die übertrieben anmutende Eile bei kommunalpolitischen Entscheidungen der vergangenen Wochen (Anbau ans Kavalier Dalwigk) erklärt. Die Stadt und ihr Oberbürgermeister täten gut daran, diese Umstände, die zum Teil auch demokratische Mitwirkungsprozesse aushebeln, den Bürgern jetzt sehr bald und ebenso einfach wie eindringlich zu verdeutlichen. Die Schar der Menschen, die die rasante Entwicklung um die womöglich wichtigste lokale Weichenstellung seit Ansiedlung der Auto Union nicht richtig verstehen und einordnen können, ist inzwischen schon recht groß. Es wäre sehr schade, wenn diese Bürger mit weiterer Politikverdrossenheit zurückbleiben würden.

Bernd Heimerl