Ingolstadt
Einer riss den nächsten mit sich

Nach blutigem Messerangriff im Drogenmilieu schnappte die Polizei gleich mehrere Händler

22.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:32 Uhr

Ingolstadt (DK) Vor dem Landgericht wird jetzt wegen eines Mordversuchs verhandelt (DK berichtete gestern), doch die Ermittlungen nach dem beinahe tödlichen Messerangriff auf einen "kleinen" Drogenkurier haben der Polizei im vorigen Sommer auch den Zugriff bei mehreren größeren Fischen aus der örtlichen Szene ermöglicht.

Die Urteile sind bereits rechtskräftig: Zweieinhalb, drei und sieben Jahre Haft gab es in den vergangenen Monaten bei anderen Prozessen am Landgericht für Akteure aus der Ingolstädter Drogenszene, die erst aufgeflogen waren, nachdem es im Juni vorigen Jahres an der Mercystraße zu der jetzt nochmals im Blickpunkt stehenden Bluttat gekommen war.

Es war eine regelrechte Händlerkette, auf die die Polizei im Zuge ihrer Ermittlungen gestoßen war: Einer der jetzt angeklagten jungen Männer hatte immer wieder mal beim späteren Opfer der Messerattacke Cannabis bestellt, dieser Kurier hatte dann offenbar stets bei einem Zwischenhändler bestellt, der seinerzeit an der Mercystraße wohnte, und dieser hatte sich wiederum bei zwei "Grossisten" aus der Szene eingedeckt, die den Stoff offenbar kiloweise gegen satte Beträge abgaben. Alle drei sind nun hinter Gittern.

Der Zwischenhändler wurde beim jetzigen Prozess am Donnerstag aus der Haft als Zeuge vorgeführt. Treuherzig fragte er vor der Richterbank, was das Mordversuchsverfahren denn mit ihm zu tun habe. Dass eine Strafkammer, - zumal als Schwurgericht - bei einer so gewichtigen Anklage auch den Verästelungen des Falles nachspürt und sich ein möglichst rundes Gesamtbild aller Hintergründe verschaffen muss, war ihm offenbar nicht geläufig.

Bei der Fortsetzung des Prozesses am Freitag wurde diese Gründlichkeit bei der Beweissicherung auch noch bei der Anhörung von zwei Sachverständigen deutlich: Ein Toxikologe und ein Ingenieur des Münchner Landeskriminalamtes wurden zu den Eigenschaften der im Zuge dieses Falles sichergestellten Drogen bzw. zu den Datenspuren befragt, die die Angeklagten am Tattag und anderntags bei Mobilfunkkontakten untereinander und mit anderen hinterlassen haben.

Dem Toxikologen zufolge hat es sich bei dem beschlagnahmten Cannabis um "insgesamt sehr gutes Material" gehandelt. Will heißen: Die Wirkstoffmenge (es geht immer um die Komponente TCH) sei als durchaus hoch zu betrachten. Nach den im Prozess gehörten Aussagen von Angeklagten und Opfer hatten die Endpreise für das Gramm stets so um die neun Euro geschwankt. Will man den Angaben der beiden Beschuldigten Glauben schenken, wonach sie zuletzt täglich jeweils bis zu vier Gramm in Rauch aufgehen ließen, so ist nachzuvollziehen, dass das auf Dauer ihre finanziellen Möglichkeiten überstieg.

Die Kammer hörte am Freitag auch noch zwei Kriminalpolizisten der Ingolstädter Inspektion und zwei junge Leute aus dem Umfeld der Angeklagten an. Es geht den Richtern vor allem darum, die psychische Situation der Beschuldigten in den Tagen vor und nach der Tat zu ergründen. Die beiden inzwischen 27-jährigen Männer hatten am ersten Prozesstag über ihre Anwälte, aber auch selber geltend gemacht, infolge ihres Drogenkonsums und privater Probleme völlig durch den Wind gewesen zu sein. Einer will vor dem Überfall vier Tage nicht mehr geschlafen haben, der andere (dem jetzt der Mordversuchsvorwurf gemacht wird) hatte in einer anwaltlichen Erklärung von seinem "Gefühlschaos" und zunehmender Aggressivität berichten lassen.

Derart neben der Spur sind die jungen Männer ihren Bekannten allerdings wohl nicht erschienen. Schon am Donnerstag hatte ein vormaliger Mitbewohner des Messerstechers erzählt, dass dieser eigentlich "immer gut drauf"gewesen, zuletzt vielleicht aber etwas abgelenkt erschienen sei.

Beide Angeklagte waren erst eine gute Woche nach der Bluttat festgenommen worden, da es einige Tage gedauert hatte, bis sich aus den Aussagen und Vermutungen des Opfers zum Überfall ein klareres Bild der Hintergründe ergeben hatte. Der Bosnier, der sich jetzt wegen der Mordversuchs verantworten muss, hatte sich seinerzeit aus seiner Ingolstädter Wohngemeinschaft in seine vormalige eheliche Wohnung in München abgesetzt. Dort wurde er dann von einem Sondereinsatzkommando der Polizei überrascht. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Ein Urteil soll Ende nächster Woche fallen.

Bernd Heimerl