Ingolstadt
"Noch sehr viel Luft nach oben"

ÖPNV-Regionaltarif: Verkehrsclub kritisiert uneinheitlichen Auftritt und schwaches Marketing

10.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:21 Uhr
  −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Wird beim neuen Regionaltarif für den öffentlichen Nahverkehr im Großraum Ingolstadt der große Wurf verpasst? Am Montagn hat die INVG die ersten 100 Tage des neuen Tarifsystems mit einem Aktionstag im Lokalradio begangen - doch zugleich hat sich der Verkehrsclub Deutschland (VCD) zu diesem Thema zu Wort gemeldet. Seine Bilanz der Startphase fällt durchwachsen aus.

Die Kommunalpolitik, die am Verkehrsverbund lange gestrickt hatte, ist erst mal mit sich zufrieden: Nach Jahrzehnten der Vorbereitung ist öffentlicher Personennahverkehr über Stadt- und Landkreisgrenzen hinweg mit nur einem Fahrschein endlich auch im Großraum Ingolstadt möglich. Die Erfahrungen der Fahrgäste, die um die Neuerung wissen, sind allem Anschein nach auch keineswegs schlecht. Doch genau hier setzt die Kritik des VCD an: "Wer in der Region außerhalb des angestammten INVG-Gebiets an einer Bushaltestelle steht, kann meistens kaum erkennen, dass im ÖPNV der Gemeinschaftstarif Anwendung findet", schreibt der Gaimersheimer Ludwig Hörner, seit Jahren Sprecher der Ingolstädter VCD-Ortsgruppe.

Ein neuer Tarif, der in der Fläche noch gar nicht so recht bekannt ist und für den auch praktisch nicht konzentriert und koordiniert geworben wird? Und das in einer Zeit, in der vor allem über Präsenz in klassischen und sozialen Medien Themen gesetzt werden? Für den VCD-Sprecher zeigt sich hier ein Versäumnis, quasi ein Geburtsfehler, beim neuen Tarifkonstrukt. Ludwig Hörner: "Wenn ich die Fahrgäste jetzt nicht gewinne, dann tue ich es später auch nicht mehr."

Bestes Beispiel dafür, wie uneinheitlich der Regionaltarif von den Beteiligten "verkauft" wird, sind die Onlineauftritte der beteiligten Landkreise und der involvierten Transportunternehmen. Der VCD hat sich die Mühe gemacht, die Homepages der Protagonisten zu sichten und zu vergleichen und hält nun Lob und Tadel zugleich parat. Ludwig Hörner: "Beim Landkreis Neuburg-Schrobenhausen findet man auf der Startseite sofort einen Link auf den ÖPNV, wo man auf die im Kreis verkehrenden Verkehrsunternehmen weitergeleitet wird. Vorbildlich gelöst hat die Firma Spangler, Anbieter der meisten Linien im Kreis, die Tarifinformation für ihre Verbindungen." Auch das Busunternehmen Buchberger zeige auf seiner Homepage, "wie kundenfreundliche Fahrplanmedien aussehen können".

Doch der VCD hat auch Gegenbeispiele parat: "Noch nicht angekommen scheint der VGI-Tarif bei der RBA (Regionalbus Augsburg). Hinweise zu den Tarifen des VGI sucht man vergeblich. Ebenso spärlich sind die Auskünfte zum ÖPNV auf der Homepage des Landkreises Eichstätt."

Selbst bei der INVG, deren Geschäftsführung die Vorbereitung des Gemeinschaftstarifs maßgeblich vorangetrieben hat, ist nach Meinung des VCD Ingolstadt "noch sehr viel Luft nach oben". Hier finde sich im Internetauftritt "nicht einmal ein Verzeichnis der Buslinien, auf denen der VGI-Tarif gilt", so die Kritik. Zudem habe die INVG "auch kundenunfreundliche Tarifregelungen zum VGI-Tarif übertragen". So könne die überwiegende Mehrheit der potenziellen Kunden in der Region "den günstigeren Vorverkaufstarif überhaupt nicht in Anspruch nehmen, da für sie kein Automat oder eine Vorverkaufsstelle an der Haltestelle vorhanden ist, die Karten aber bereits beim Kauf mit Uhrzeit und Datum vorentwertet werden".

Die noch sehr unterschiedliche Präsenz des Gemeinschaftstarifs in der öffentlichen Wahrnehmung ist natürlich auch der sehr heterogenen Struktur der Dienstleister und ihrer Auftraggeber geschuldet: Die Stadt Ingolstadt, drei Landkreise und teils auch noch einzelne Bürgermeister und Gemeinderäte wirken mit unterschiedlicher Intensität und Interessenlagen mit, ebenso straff geführte Kleinunternehmen, in denen sich Neuerungen schnell umsetzen lassen, aber auch Großbetriebe wie die RBA, die mitunter schwerfälliger reagieren. Sie alle beim Entstehen des Tarifs unter einen Hut zu bringen, war schwierig genug. Sie nun bei der Vermarktung des fertigen Produkts in Gleichschritt zu bringen, ist offenbar abermals nicht leicht.

Man sei beim Marketing für den Regionaltarif wohl noch in einer Phase, wo sich einer auf den anderen verlasse und am Schluss womöglich viele auf die INVG blickten, mutmaßt VCD-Sprecher Hörner. Er glaubt sogar, dass die Koordinierung bei der Ingolstädter Gesellschaft gut aufgehoben ist - dazu müsse sie aber auch die nötigen personellen Ressourcen haben. Es sei an der Zeit, dort endlich einen "gelernten Verkehrswissenschaftler" einzusetzen und sämtliche Aktivitäten in Sachen Regionaltarif dort zu bündeln, schlug Ludwig Hörner im Gespräch mit dem DK vor. Gefordert wäre dann erst mal wieder die Politik, die das Budget der Verkehrsgesellschaft entsprechend aufbessern müsste.

Im INVG-Management sind die vom VCD angesprochenen Schwachpunkte nicht unbekannt. Ein Programm zur Aufrüstung der Haltestellen mit Automaten und Anzeigen sei auf dem Weg, beteuerte Geschäftsstellenleiter Hans-Jürgen Binner gestern auf Anfrage. Die Ausweitung der Fahrgastinformationen sei bereits in der kommenden Woche Thema im Beirat der Gesellschaft. Immer aber stehe alles unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit, auch der Zuschussmöglichkeiten seitens des Freistaats. Es gebe die feste Absicht, auf dem Weg zu einem rundum brauchbaren System voran zu kommen, aber keinen verbindlichen Zeitplan. Binner: "Wichtig war erst einmal, dass der Tarif verfügbar ist. Es wird nicht alles an einem Tag perfekt - aber die Dinge sind in Arbeit."

Bernd Heimerl