Ingolstadt
Köche heiß begehrt

Personalmangel in der Gastronomie: Drei Auszubildende berichten über Reiz und Kehrseiten ihres Berufs

18.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:51 Uhr
Alexandra Grimm
Das kleinste Hotel Ingolstadts: Eine Rezeption mit Hotelzimmer dient den angehenden Hotelfachkräften Oktay Bayram und Celine Franke als Lern- und Übungsstätte. Eine Gesprächsrunde im gemütlichen Bistro der Berufsschule bildeten (v . l.) Christina Hammerl, Daniel Spreng (stellvertretender Schulleiter), Barbara Abenath (Fachbetreuerin), Bernd Döllinger, Simon Lütke und Benedikt Grosch. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Nummer 118 steht auf der Tür, die in ein kleines, gemütliches Hotelzimmer führt.

Die Kacheln des Badezimmers versprühen den Charme der 80er-Jahre. Alles ist sauber und top gepflegt. Kurz davor steht eine kleine Rezeption, bestückt mit Computer und Zimmerschlüsseln. Mit einem einzigen Zimmer ist das definitiv das kleinste Hotel Ingolstadts. Hier haben schon Generationen von angehenden Hotelfachkräften unter fast realen Bedingungen peniblen Zimmerservice gelernt. Der Schulleiter Franz Schmidtner führt stolz durch die Unterrichtsräume der Berufsschule 1 in Ingolstadt, die sich unter dem Dach des Zeughauses, ein ehemaliges Militärgebäude, befinden. Dabei zeigt er ein schickes Restaurant, zwei professionell ausgestattete Großküchen und ein schönes Bistro, welches sogar über eine mit Alkoholika gefüllte Bar verfügt. Mit einem süffisanten Lächeln deutet er darauf und sagt: "Die Flaschen sind natürlich längst leer und dienen nur als Dekoration. "

Christina Hammerl (20), Simon Lütke (17) und Benedikt Grosch (29), alle drei angehende Köche im zweiten Lehrjahr, sowie der Fachlehrer Bernd Döllinger (52) sitzen im gemütlichen Bistro beisammen und erzählen über den Reiz ihres Berufes. Kochen habe den drei Jugendlichen schon immer Spaß gemacht. Der 17-jährige Simon erzählt, er sei durch seine Oma auf das Kochen aufmerksam geworden. Seit er sein großes Idol, den berühmten Fernsehkoch Alexander Herrmann, einmal live in der "ZDF-Küchenschlacht" in Hamburg erlebt und persönlich kennengelernt hatte, träumt er von einer eigenen Fernsehkochshow. "Später möchte ich auf Sterne-Niveau in gehobenen Restaurants arbeiten", so Simon. Auch für Christina und Benedikt ist der Beruf des Kochs schon immer ein großer Kindheitstraum gewesen, den sie sich mit dem Beginn ihrer Ausbildung vor zwei Jahren erfüllten. "Ich bin schon immer gern in der Küche gestanden", verrät Benedikt.

Dass der Beruf aber auch mit Stress und körperlicher Anstrengung verbunden ist, darüber sind sich alle einig. "Ich war ziemlich unvorbereitet auf den Stress, aber man gewöhnt sich daran", berichtet die 20-jährige Christina. Besonders kräftezehrend könne es bei Veranstaltungen wie Hochzeiten und Grillbuffets werden. Auch Benedikt kann ein Lied von arbeitsintensiven Tagen singen. Der 29-Jährige war am Wochenende zusammen mit seinen Kollegen auf dem Klassik-Open-Air im Klenzepark im Einsatz: "Da muss man sich auf gut 10000 Gäste für das Wochenende einstellen und alles von Gerätschaften über Zutaten einplanen. Da ist es gut, wenn man vorbereitet ist. " Sein Kollege Simon erzählt, er sei bei einer Hochzeit innerhalb von acht Stunden 25Kilometer gelaufen. Das sind bei seiner Körpergröße umgerechnet 35714 Schritte. "Bei mir waren es 25000 Schritte", wirft Christina lächelnd ein, umgerechnet 15 Kilometer. Die beiden haben eine spezielle Smartphone-App mitlaufen lassen, um sich zu messen. Zumindest spare man sich damit das Fitnessstudio, ergänzt Christina.

Außerdem verändert sich laut dem Fachlehrer Bernd Döllinger die Freizeitgestaltung, wenn man den Beruf des Kochs ergreift. "Aber da Jugendliche eh später fortgehen", könne man sich gleich nach der Arbeit anschließen. "Dafür hat man dann aber keine Erholungsphase vor dem nächsten Arbeitstag. " Der Auszubildende Benedikt bestätigt die Aussage seines Lehrers und sagt: "In einer Arbeitswoche bleibt einiges auf der Strecke. Man holt viel am Wochenende in seiner Freizeit nach. " Beide erklären, man solle auf jeden Fall reinschnuppern. Sie raten zu einem Küchenpraktikum, "um zu schauen, ob man der Typ dafür ist. "

Die Berufsaussichten sind auch sehr gut. Die Unternehmen suchen derzeit händeringend nach neuem Personal. Wie bereits berichtet, kann die Antoniusschwaige ab 1. August montags, mittwochs und donnerstags erst am Abend öffnen, weil das Personal fehlt. Allein in Ingolstadt gibt es laut Jobportal der Agentur für Arbeit 50 offene Stellen im Gastgewerbe. Demnach war es für Benedikt, Simon und Christina nicht schwer, einen Ausbildungsbetrieb zu finden. "Man merkt schon, dass man bei Arbeitgebern gefragt ist", so Christina.

Trotzdem hat sich nach Angaben des Schulleiters Franz Schmidtner die Anzahl der Koch-Azubis in den vergangenen fünf Jahren fast halbiert. "2002/2003 hatten wir zwei bis drei Klassen. Heute nur noch eine bis zwei. " Die Gründe hierfür sind vielfältig. Laut Schmidtner sind die Arbeitszeiten problematisch: "Man arbeitet halt immer, wenn die anderen frei haben. " Bernd Döllinger dagegen sieht den Hauptgrund in der Bezahlung. 3000 Euro brutto, wie so mancher gastronomischer Betrieb einem ausgelernten Koch bereit ist zu zahlen, seien nicht der Durchschnitt. Normal verdiene ein Koch weit weniger. Für unsere drei Köche ist klar, der Teildienst ist mit schuld am Personalmangel in der Gastronomie. Zur Erklärung: Teildienst bedeutet, morgens um 9 Uhr anzufangen, Nachmittags frei zu haben und dann bis 1 oder 2 Uhr nachts zu arbeiten. "Wenn es mehr Personal gäbe, wäre das nicht nötig", meint Christina. Dann würde ein komplettes Team am Vormittag und eines am Abend arbeiten. Die freie Zeit am Tag sei zerrissen, bestätigt der Fachlehrer Döllinger.

Der Schulleiter Franz Schmidtner sieht jedoch keinen Schuldigen für das Personalmangel-Dilemma: "Die Unternehmen wollen positive Arbeitsverhältnisse schaffen, aber müssen auch Geld verdienen. " Man müsse Aufträge annehmen, sonst gehe man unter. Diese würden von den Mitarbeitern gestemmt, nicht vom Chef. "Das sind halt die Voraussetzungen für den Beruf. "

Obwohl die Gastronomie ein hartes Pflaster ist, sind sich alle einig: Sie würden nichts anderes machen wollen. "Man sieht sehr schnell das Ergebnis von der Arbeit, zum Beispiel an der Freude im Gesicht der Menschen", so Benedikt. Außerdem lerne man viele neue Leute kennen, erzählt Christina. Spannend an Berufen in der Gastronomie könnte zudem auch der ständige Wandel der Branche sein. Das Kochen an sich verändert sich laut Döllinger: "Grillen ist zum Beispiel in den letzten zehn Jahren in Fahrt gekommen. Außerdem gibt es neue Technologien, das Produktniveau ist angehoben und die Leute leisten sich mehr. " "Auch die vegane Küche war vor 20 Jahren noch kein Thema", ergänzt der Schulleiter.

Auf die Frage, was sie einem Schüler raten würden, wenn er sie fragte, ob er den Beruf des Kochs ergreifen soll, antwortet Simon: "Ich würde ihm sagen: Mach das! Der Beruf hat mehr gute Seiten als schlechte. "

 

Neue Kräfte aus Fernost

Ingolstadt (sic) Es ist in Ingolstadt nichts Besonderes, wenn in eine Schule Kinder und Jugendliche mit Wurzeln in 25 bis 30 Staaten gehen. Die Staatliche Berufsschule 1 liegt hier aber uneinholbar vorne: Ihre derzeit rund 3200 Schüler (sie ist die größte Berufsschule Oberbayerns) stammen aus 65 Ländern, erzählt Direktor Franz Schmidtner. "Wir decken fast die ganze Welt ab. "

Es kämen auch immer mehr junge Leute aus Fernost. Das sei vor allem eine gute Nachricht für die hiesige Gastronomie, denn sehr viele der Berufsschüler aus Staaten wie Thailand, Indonesien oder Sri Lanka lernten Koch oder Hotelfach. "Das ist ein Trend", sagt Schmidtner. Die jungen Asiaten brächten oft viel Vorwissen mit und seien hoch motiviert. Schmidtner betont auch: "Sie sind keine Konkurrenz für die deutschen Auszubildenden. " Alle geeigneten Bewerber bekämen eine Lehrstelle, denn die Not in der Gastronomie sei groß - "und sie macht erfinderisch".

Alexandra Grimm