Berlin/Ingolstadt
Angst um die Patientendaten

Mediziner überreichen Manifest gegen Telematikinfrastruktur für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

28.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:13 Uhr

Drei Vertreter der Initiative "Freiheit für 1%", Michel Dauphin, Nervenarzt aus Ingolstadt, Andreas Meißner, Psychiater aus München, und Gabriela Weischet, Nervenärztin und Psychotherapeutin aus Neuruppin bei Berlin (von links), protestieren anlässlich des jährlichen Psychiatriekongresses, der heute in Berlin eröffnet wurde, gegen die Zwangsinternetvernetzung der Arzt- und Psychotherapiepraxen. Sie haben im Bundesgesundheitsministerium ein Manifest mit bislang 1000 Unterschriften für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn überreicht. -Foto: privat

Berlin/Ingolstadt (DK) Eine gemeinsame Initiative von Ärzten, Psychotherapeuten und Zahnärzten hat am Mittwoch im Bundesgesundheitsministerium in Berlin ein von 1000 Medizinern unterzeichnetes Manifest gegen die Telematikinfrastruktur überreicht. Die Mediziner sehen in einer durch das eHealth-Gesetz vorgeschriebenen permanenten Netz-Anbindung ihrer Praxen den Schutz sensibler Patientendaten gefährdet. Auch viele Ärzte und Therapeuten aus Ingolstadt und der Region haben unterschrieben.

Vorreiter der Initiative sind der Ingolstädter Neurologe und Psychiater Michel Dauphin und der Münchener Psychiater und Psychotherapeut Andreas Meißner. Die beiden wollten das Manifest eigentlich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) anlässlich des jährlichen Psychiaterkongresses in Berlin persönlich übergeben. Doch der Minister hat abgesagt. Die Ärzte fuhren daraufhin beim Gesundheitsministerium vor. "Als Wissenschaftler lassen wir uns keine teure, zeitaufwendige und störungsanfällige technische Aufrüstung aufzwingen, deren klinische Wirkung und Unbedenklichkeit nie nachgewiesen wurde", heißt es in dem Manifest. Die Mediziner fordern Spahn auf: "Setzen Sie das Projekt aus." Sebastian Gülde, Pressesprecher des Gesundheitsministeriums, der das Manifest entgegengenommen hat, stellte der Initiative einen Gesprächstermin mit dem Minister in Aussicht.

Das von Spahns Vorgänger, dem damaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe 2016 auf den Weg gebrachte eHealth-Gesetz regelt die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI). Mittels verschiedener IT-Systeme werden alle Akteure des Gesundheitswesens, also Arzt- und Therapeutenpraxen, Krankenhäuser und Apotheken, miteinander vernetzt. Das soll den elektronischen Austausch von Informationen ermöglichen. Nötig ist dies nicht zuletzt für die Fortführung der Elektronischen Gesundheitskarte, deren Einführung bereits 2006 geplant und immer wieder verschoben worden war. Seit Januar 2015 ist sie Pflicht. Momentan können damit aber nur die Versichertendaten überprüft werden. Ab Juni 2019 soll auf der Karte ein Medikationsplan der Patienten gespeichert sein, der elektronisch zwischen Haus-, Fachärzten oder Krankenhäusern ausgetauscht werden kann, wie Siegfried Jedamzik, Arzt und Geschäftsführer der in Baar-Ebenhausen ansässigen Bayerischen TelemedAllianz, erklärt. Jedamzik war von Beginn an in die Entwicklung der Gesundheitskarte eingebunden. 2019 soll auch der elektronische Arztbrief kommen, 2020 die Testphase für den letzten Schritt der Gesundheitskarte, die Patientenakte, beginnen. Ab 1. Januar 2021 ist diese gesetzlich vorgeschrieben. Damit sollen unter anderem Wechselwirkungen von Medikamenten und Doppeluntersuchungen vermieden werden.

Die Daten sollen in einem geschlossenen Netz, zu dem nur registrierte Nutzer Zugang haben sollen, gespeichert werden. Als Schnittstelle dient ein sogenannter Konnektor, ein Gerät, in etwa vergleichbar mit dem Router bei einem normalen Internetanschluss. Mit diesem und neuen Lesegeräten für die Gesundheitskarte müssen alle Praxen ausgestattet werden. Die Kosten für die technische Aufrüstung - nach Angaben der Mediziner etwa 3000 Euro pro Arbeitsplatz plus Folgekosten pro Quartal - sollen über die Beiträge der Versicherten erstattet werden. Angesichts von mehr als 200000 Arzt- und Psychotherapeutenpraxen in Deutschland sehen Meißner und Dauphin, und mit ihnen viele weiteren Mediziner und Therapeuten, die das Manifest unterzeichnet haben, darin eine "eklatante Verschwendung von Versichertengeldern".

Bis 31. März nächsten Jahres müssen die Praxen die für die TI nötigen Geräte bestellt haben, bis 30 Juni müssen sie installiert werden. Bei Nichteinhaltung droht ein Honorarabzug von einem Prozent. "Freiheit für ein Prozent", ist deshalb die Aktion der Ärzte gegen "die Zwangsinternetvernetzung" überschrieben. Sie nehmen die Honorarkürzung in Kauf und signalisieren in ihrem Manifest die Absicht, den Konnektor nicht zu installieren. "Wenn jemand in meiner Praxis Daten klaut, bricht er ein und nimmt zwei oder drei Ordner mit. Wenn ein Hacker an die zentral gespeicherten Daten rankommt, sind 60 Millionen Patientendaten weg", sagt Neurologe Dauphin.

Die Telematik-Gegner berufen sich auf Hackerangriffe 2018 auf die IT-Infrastuktur der Gesundheitssysteme in Norwegen und Singapur, wo Patientendaten gehackt worden waren. Ein weiterer Vorfall liegt erst wenige Tage zurück: Mitte November hat ein Trojaner Hunderte von Computern am Krankenhaus Fürstenfeldbruck lahmgelegt.

"Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht", bestätigt auch Jedamzik. Deshalb müsse man sehr sorgfältig darauf achten, dass die Sicherheitsstufen so hoch wie möglich gesetzt würden. Jedamzik verweist darauf, dass der Patient bestimmen könne, was gespeichert werde. Überdies sei die Entscheidung noch nicht endgültig gefallen, ob die Daten für die Patientenakte auf einem zentralen Server gespeichert würden oder über ein dezentrales System. Dabei blieben die Daten weiterhin auf dem Praxisverwaltungssystem, könnten aber bei Bedarf mit dem IT-System eines Facharztes oder Krankenhauses zusammengeführt werden. Politisch gewollt sei allerdings die zentrale Datenhaltung, so Jedamzik.

"Gerade die sensiblen Daten psychisch Kranker, aber letztlich aller Patienten sind bei zentraler Serverspeicherung nicht sicher", sagt der Psychiater Andreas Meißner. Ärzte der Fachbereiche Psychiatrie und Psychotherapie, aber auch Kinderärzte, Gynäkologen oder Urologen seien in dem Manifest besonders stark vertreten. "Mein Computer hängt nicht am Netz", sagt die Ingolstädter Gynäkologin Monika Danninger, die den Protest der Ärzte in Ingolstadt mitorganisiert hat. Zu ihren Bedenken in Sachen Datenschutz kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: "Ich sehe mich gegängelt als Arzt." Danninger wird ihre Praxis nicht mit der entsprechenden Technik aufrüsten und kündigt an, im Falle einer Honorarkürzung zu klagen.

Die Erfahrungen der Ärzte, die schon über die neue Technik verfügen, sind durchwachsen. "Es gibt große technische Probleme", sagen die Ingolstädter Gynäkologin Elisabeth Hupfer-Dirksen und Hausarzt Anton Böhm übereinstimmend. Auch die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern habe sich einstimmig gegen die Telematikinfrastruktur ausgesprochen, so Hupfer-Dirksen, die dem Gremium angehört. Sie und Danninger haben nicht nur das Manifest unterschrieben, das an Jens Spahn ging, sondern auch ein zusätzliches regionales Protestschreiben gegen die Telematikinfrastruktur. Hauptprofiteure des TI-Gesetzes seien die privaten Konzerne für Praxisverwaltungssysteme, die den Konnektor installieren, heißt es darin unter anderem. Knapp 50 Ärzte, Psychotherapeuten und Zahnärzte aus Ingolstadt und der Region haben auch dieses Protestschreiben unterzeichnet.

Ruth Stückle