Manching
"Ihr helft, wo Not am Mann ist"

Bayernoil-Katastrophe dominiert Tagung Feuerwehrkommandanten des Landkreises Pfaffenhofen

14.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:38 Uhr
Ehrung für verdiente Feuerwehrleute: Bürgermeister Herbert Nerb (von links) freute sich mit den Feuerwehrleuten Franz Xaver Schmidl, Christian Walter, Christian Nitschke, Benedikt Stuber und Armin Kappen über die hohen Auszeichnungen, die ihnen Landrat Martin Wolf und Kreisbrandrat Armin Wiesbeck ans Revers geheftet hatten. −Foto: Schmidtner

Manching (DK) Der Brand bei Bayernoil beherrschte die Frühjahrsdienstversammlung der Feuerwehrkommandanten des Landkreises Pfaffenhofen. Weitere Themen waren die Aufteilung der Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung und das Projekt BOS-Drohne.

"Ihr helft, wo Not am Mann ist", rief Armin Wiesbeck den Kommandanten zu, die sich am vergangenen Samstag in Manching versammelt hatten. Unter den rund 170 Teilnehmern begrüßte der Kreisbrandrat freilich nicht nur die Leiter der Freiwilligen Feuerwehren, sondern auch die Chefs der Werksfeuerwehren und die Vertreter von Technischem Hilfswerk, Rotem Kreuz und Landratsamt.

"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es", unter dieses Zitat von Erich Kästner stellte Hausherr Herbert Nerb sein Grußwort. "Ihr tut Gutes das ganze Jahr über und das ehrenamtlich und - obwohl es nicht Euer Beruf ist - professionell", sagte der Bürgermeister und verwies auf das Bild vom "Inferno beim Bayernoil-Brand", das gleich neben dem Eingang zur Fahrzeughalle hängt. Wegen der der Vielzahl der Einsätze, Aus- und Fortbildungen stießen die ehrenamtlichen Feuerwehren an ihre Grenzen, meinte Nerb und belegte seine Auffassung mit Zahlen der Manchinger Wehr: "207 Einsätze an 365 Tagen nur, weil du zufällig ein Stückl Autobahn hast- da muss man schon die Frage stellen, ob das noch richtig ist!"

Die Bedeutung der Feuerwehren erkenne man schon daran, dass rund ein Drittel der Bürgermeister des Landkreises anwesend sei, sagte Landrat Martin Wolf. Er lobte die Feuerwehren und ihre Partnerorganisationen dafür, dass sie nahtlos ineinander und nicht gegeneinander arbeiteten, und nannte als Paradebeispiel den Bayernoilbrand. Angesichts der größten Herausforderungen im Jahr 2018 - Tanklastunfall auf der A9, Platzregen im Juli, Waldbrand im August und Katastrophenfall in Irsching im September - betonte Wolf: "Jede Übung macht Sinn". Der Landkreis unterstütze die Rettungskräfte mit Technik wie einem Versorgungs-Lkw für Hochwassereinsätze, einer Kameradrohne und einem großen Notstromaggregat.

Wichtiger als das Material sei, dass genügend Jugendliche nachwachsen für dieses sehr spezielle Ehrenamt Freiwillige Feuerwehr, das nicht planbar und verbunden mit Gefahr für Leib und Leben sei. Im "Wettbewerb um die Jugendlichen" hält Wolf die Kinderfeuerwehren für wichtig. Sie könnten "die Herzen öffnen für diese wichtige Sache". Ein weiterer wertvoller Ansatz sei es auch, wenn Menschen sagten: "Wir machen das für uns".

Fünf Feuerwehrleuten verlieh der Kreisbrandrat Auszeichnungen für ihr "persönliches Engagement für die gemeinsame Sache zum Schutz der Bevölkerung": Armin Kappen, der Leiter der Werksfeuerwehr von Bayernoil, erhielt das Deutsche Feuerwehrehrenkreuz in Silber für "seine hervorragende Leistung unter höchster Gefahr", aber auch für die Unterstützung der Freiwilligen Feuerwehren bei Einsätzen und Schulungen. Die Ehrung sei auch als Auszeichnung für Kappens Mannschaft zu verstehen, betonte Wiesbeck. Das Bayerische Feuerwehr-Ehrenkreuz in Silber wurde vier Personen verliehen: den Kreisbrandinspektoren Christian Nitschke und Benedikt Stuber sowie den Kreisbrandmeistern Christian Walter und Franz Xaver Schmidl.

Im Rahmen des Berichts über den Katastrophenschutz im Landkreis stellte Kreisbrandinspektor Nitschke die Aufteilung der Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung (UG ÖEL) in die Bereiche Nord und Süd vor. Zum Bereich Nord unter der Leitung von Holger Reichart gehören die Wehren Reichertshofen, Winden/Aign, Baar, Oberstimm und Hohenwart. Für den Bereich Nord am Standort Baar-Ebenhausen sei ein neues Fahrzeug in der Ausschreibung. Zum Bereich Süd unter Leitung von Andreas Englbrecht gehören das THW Pfaffenhofen und die Wehren von Reichertshausen und Hettenshausen. "Im Norden bleibt alles gleich, im Süden ändert sich alles", sagte Englbrecht. Er stellte das Projekt "BOS-Drohne" vor, mit dem das THW Pfaffenhofen die Einsatzmöglichkeiten von ferngesteuerten Multicoptern für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) testet. Als Nachfolger für einen Quadrocopter sei inzwischen sei ein 1,20 Meter großer und zehn Kilo schwerer Octocopter gekauft worden, der hochauflösende Videos und Bilder liefern und eine Wärmebildkamera tragen könne. Acht Piloten seien bereits ausgebildet, aber der Einsatz scheitere noch an einem fehlenden Versicherungsschein. Zudem beteilige sich die Region 10 derzeit an einem bundesweiten Pilotprojekt, das sicherstellen soll, dass der Luftraum nicht durch Drohnen gefährdet wird. Geklärt werden soll damit, wie sich die unterschiedlichen Fluggeräte gegenseitig sehen.

Kreisbrandmeister Christian Walter berichtete, dass die Kapazitäten der Atemschutzausbildung von 60 auf 96 Teilnehmer ausgeweitet worden sei. 619 Atemschutzgeräteträger haben an 28 Belastungsübungen teilgenommen. Mittlerweile laufe die Ausbildung an 76 Tagen im Jahr. Wiesbeck appellierte deshalb, geeignete Ausbilder zu nennen. Zudem sind 13 neue Träger von Chemikalienschutzanzügen (CSA) ausgebildet worden.

Kreisjugendwart Christian Sirl kündigte an, dass der Kreisjugendfeuerwehrtag 2019 vom Vorjahressieger Reichertshofen ausgerichtet wird.

Zu den vier Grundaufgaben der Feuerwehren - Retten, Löschen, Bergen, Schützen - gehört laut Angelika Stolz inzwischen auch die psychische Ersthilfe. Bis zum Eintreffen des Kriseninterventionsdienstes oder anderer Fachleute müssten die Feuerwehrleute auch denjenigen, die nicht unmittelbar von einem Unfall betroffen sind, in ihrer seelischen Not beistehen. "Die Hilfe wird dankbar angenommen und wirft ein positives Licht auf die Feuerwehren", so die Erfahrung der Fachberaterin für Feuerwehrseelsorge.

Kreisbrandmeister Klaus Reiter scherzte, dass die Leistungsprüfungen Wasser wohl wegen des trockenen Sommers von 332 auf 191 gesunken seien. Die Technische Hilfeleistungen seien aber von 113 auf 184 gewachsen. Um Schiedsrichterkapazitäten zu sparen, riet er zu gemeinsamen Abnahmen mit Nachbarwehren.

„Der Himmel brennt“ – ein Protokoll

Den mit  Spannung erwarteten Bericht über die Bayernoil-Detonation aus Sicht des Katastrophenschutzes von Kreisbrandinspektor Christian Nitschke verfolgten die Kommandanten so aufmerksam, dass man die sprichwörtliche  Stecknadel hätte fallen hören.  Er präsentierte die Ereignisse von der Detonation um 5.11 Uhr bis  zur Rückübergabe der Einsatzleitung der Werkfeuerwehr  um 18 Uhr, um den Hintergrund darzustellen und mit Gerüchten aufzuräumen.  
Als eine Minute nach dem großen Knall der erste Notruf bei der Integrierten Leitstelle (ILS) eingeht, lautet der: „Das Kraftwerk Irsching ist explodiert – der Himmel brennt“. In den folgenden 45 Minuten kommen    weitere 260 Notrufe, von denen personell bedingt   jedoch nur 160 angenommen werden können.  Aber es seien eben nicht 500 weggedrückt worden, wie teilweise kolportiert wurde. Um 5.18 Uhr dann   das erste dramatische Gespräch mit  den Mitarbeitern von Bayernoil.
Im ersten Funkkontakt zwischen ILS Ingolstadt und Werkfeuerwehr Bayernoil heißt es: „Es gab eine Explosion, Gebäudeteile sind eingestürzt, kein Kontakt zu den Kollegen möglich, es gibt mehrere Schwerverletzte.  Um 5.23 Uhr trifft  Kreisbrandmeister Schmidl vor Ort ein.  Schnell ist klar: „Keiner fährt zu Bayernoil,  die Brandbekämpfung vor Ort ist Sache der Werkfeuerwehr“, die über das entsprechende Equipement verfügt. „Ein HLF ist da ein Kinderspielzeug“, stellte Nitschke klar.  Die Freiwilligen Wehren sollen sich um Wasserversorgung und eventuell um die Vermisstensuche kümmern. Um 5.48 Uhr und damit „sehr, sehr schnell“ nimmt die „Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung“ ihre  die Arbeit auf. 
Und das erste Video, aufgenommen von einem Rettungshubschauber aus Regensburg, kommt über welchen Kanal?  „Richtig, Whatsapp“, bestätigte der Kreisbrandinspektor Nitschke  die vielstimmige Vermutung seiner Kameraden. 
Um 6.07 Uhr die Ansage der  Sicherheitsingenieure von Bayernoil Neustadt: „Passieren kann alles – vom Brand einer unterirdischen Pipeline bis zum Ausfall der Berieselungsanlage.“ Entsprechend dramatisch ist die Lagemeldung an die Führungsgruppe: „Unklare Anzahl von verletzten und vermissten Personen. Etwa  1000 Kubikmeter Benzin und Raffinierieprodukte in unkontrolliertem Abbrand; mehrere Gebäude zerstört; Austritt von gefährlichen Stoffen und Rauchgasen; Explosionsgefahr; Schadstoffwolke zieht Richtung Westen über Irsching, Ernsgaden, Manching, Baar-Ebenhausen, Reichertshofen, Karlskron und südlichem Stadtbereich Ingolstadt. Es besteht höchste Gefahr für Leben und Gesundheit“. Um 6.30 Uhr   sind     Großhubschrauber  und Betten für 25 Schwerbrandverletzte in ganz Deutschland und in den Nachbarländern angefordert. Um 7.15 Uhr wird dann  eine amtliche Gefahrendurchsage im Radio veranlasst.
 Um 7.45 Uhr ruft  Vizelandrat Anton Westner den Katastrophenfall aus.  Um 8.35 Uhr läuft die Evakuierung von 2200 Menschen an. Entgegen anderen Meldungen  mussten nur 245 in einer Turnhalle untergebracht werden. Alle anderen kamen bei Verwandten und Freunden unter, stellt der KBI klar. Um 8.38  Uhr heißt es: „Brand eingekesselt, keine Gefahr für Tanklager; keine größere Evakuierung als bereits angestoßen notwendig.“ Die erste Entzerrung  „nach zweieinhalb Stunden psychischer Hölle“, so Nitschke. Aber erst um 10 Uhr, pünktlich zum Eintreffen des Innenministers, kommt die Meldung „Feuer unter Kontrolle“.   Ohne entsprechende Stabsübung kurz zuvor bei Regens-Wagner hätte die „Großlage“ nicht so professionell und effizient abgearbeitet werden können, lautet das Resümee des erfahrenen Kreisbrandinspektors. Dass die Katastrophe von Vohburg ohne Tote und mit nur 24 Verletzten endete,  sei für ihn „das Wunder von Vohburg.“ 

 

KREISFEUERWEHREN PFAFFENHOFEN IN ZAHLEN

Einsatzkräfte
Aktive insgesamt: 3.313
davon weiblich: 318 (9,6%)
Atemschutz: 764 (23,1%)

Passive Mitglieder
Insgesamt: 7913
Passive: 6725
Förderer: 927
Ehrenmitglieder: 261

Jugendfeuerwehr
Jugendgruppen: 50 (2017: 62)
Anwärter insgesamt: 456 (573)
davon weiblich: 146 (158)

„Feuerwehrfamilie“ 
Insgesamt: 11 682 (9,9%)
Aktive: 3313 (2,8%)
Jugend: 456
Passive: 7913
 (Prozentzahlen bezogen auf 119 000 Einwohner)

Einsätze im 2018 
insgesamt 3053 (2.447) 
• Brand: 705 ( 671)
• THL: 1708 (1.344)
• ABC-Gefahrstoffe: 99 ( 2)
• Sicherheitswache: 84 ( 81)
• Sonstige Tätigkeit: 457 ( 349)

 

Sebastian Kügel