Ingolstadt
Eine Nacht - oder ein Leben lang

Auf dem Campingplatz am Auwaldsee treffen Touristen auf der Durchreise auf jahrzehntelange Dauercamper

12.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:22 Uhr
In einem Campingfass sind Wolfgang und Claudia Bruns (links) untergekommen ? sie verbringen einen zweitägigen Kurzurlaub auf dem Campingplatz. −Foto: Fotos: Eberl

Ingolstadt (DK) Sonntagmorgen, kurz vor 11 Uhr. Einen idyllischeren Platz für ihr Frühstück hätten sich Wolfgang und Claudia Bruns wohl nicht aussuchen können. Sie mussten nur aus ihrer gemütlichen Koje in dem kleinen runden Holzhaus unter den Bäumen herausklettern, jetzt genießen sie ein paar Meter weiter Kaffee und ein Frühstücksei am Tisch im Grünen. Weit und breit ist niemand zu sehen. Über ihnen rauscht der Wind durch die Baumspitzen, sonst ist es still. "Ich habe lange nicht mehr so gut geschlafen wie hier", sagt Wolfgang Bruns sichtlich entspannt.

Aus Dorfen bei Erding kamen sie für einen spontanen zweitägigen Kurzurlaub an den Auwaldsee. Das dritte Mal schon haben sie sich dafür das gleiche Campingfass mit der Nummer fünf ausgesucht - dessen Name ganz wörtlich zu verstehen ist. Ein bisschen erinnert es an die Filme aus dem Auenland, wenn zwischen Bäumen plötzlich eine kleine runde Holzhütte auftaucht, in der gut und gerne früher auch Wein gegärt haben könnte. Seit drei Jahren kann der Campingplatz am Auwaldsee mit dieser Attraktion aufwarten, erzählt Pächter Norbert Kratz. Und die Nachfrage ist groß: "Die sind zur Zeit täglich ausgebucht." In diesem Jahr kamen noch die sogenannten Family Pods dazu, die aussehen wie ein Zelt auf Stelzen - unten ist Platz, um Fahrräder abzustellen. "Viele möchten die spontan auf der Durchreise mieten - doch es ist meist alles voll", sagt der Betreiber. Die Hitze spielt dem Campingplatzbetreiber in diesem Jahr in die Karten, viele zieht es bei über 30 Grad nicht nach Italien sondern nach Ingolstadt.

Eine so märchenhafte Unterkunft wie die Bruns hat auf dem Campingplatz am Auwaldsee freilich nicht jeder. Doch zumindest die meisten scheinen es sich genau so eingerichtet zu haben, wie es ihnen passt. Dagmar Kißling verbringt seit 21 Jahren als Dauercamperin mit ihrem Mann den Sommer auf diesem Platz. Normalerweise, erzählt die 76-Jährige, wohnt das Paar in einem achtstöckigen Mehrparteienhaus ohne Garten. Hier aber, wo rund um ihre Terrasse vor ihrer Hütte weit und breit nichts ist als Natur, da würden sie nun viel lieber die warmen Tage verbringen. "Ich habe alles hier", sagt die Rentnerin, "Backofen, Herd und Kühlschrank." Und am Wochenende, da treffen sie sich mit den anderen Dauercampern im "Partyzelt", wie Kißling sagt, und spielen Karten, ratschen und trinken zusammen. Eine Gemeinschaft, wie sie unter Nachbarn selten geworden ist - bei den Dauercampern gibt es sie - noch.

Von all dem ahnen die Freundinnen Ulrike Peppmüller und Helga Zahn freilich noch nichts. Heute morgen erst sind sie angekommen, jetzt gibt es im Schatten unter der Markise erst mal etwas zu essen. Der 80. Geburtstag einer Verwandten aus Ingolstadt hat die beiden Frauen aus dem Landkreis Görlitz an den Auwaldsee geführt. Doch nun, wo sie die Ruhe genießen können und die Aussicht auf ein Bad im See haben - da überlegen sich die beiden Frauen, noch ein paar Tage zu bleiben. "Das ist wirklich eine der schöneren Anlagen", sagt Poppmüller, "der Baumbestand, der Schatten, der Badesee - alles nicht selbstverständlich." Das einzige, was den beiden fehlt, das sind Leih-Fahrräder, um mal eben in die Stadt zu fahren und den Camper stehen lassen zu können. "Dann wäre es perfekt", sagt Zahn.

Da sind ihnen ihre Nachbarn einige hundert Meter weiter um einiges voraus. Kate und Robin Morgan sind aus der Nähe von Brighton in England nach Ingolstadt gekommen. An ihrem modernen Wohnmobil lehnen zwei sportliche Fahrräder. Davor: Campingstühle, ein Klapptisch. Man merkt, hier sind Profis am Werk. Insgesamt einen Monat reist das Paar durch Europa, das Ziel ist Kroatien. Drei Nächte bleiben sie am Auwaldsee. Sehr schön sei es hier, den beiden gefällt sowohl die Stadt als auch die Natur, erzählt Robin Morgan. Heute morgen war das Paar schon für eine kleine Sporteinheit am Wasser, jetzt geht es zum Schwimmen.

Entspannter lassen es da Kathleen und Wolfgang Grosche angehen. Klar, sie haben auch mehr Zeit - und kennen die Umgebung gut. Im elften Jahr sind sie Dauercamper am Auwaldsee. Sie arbeitet in Ingolstadt und ist oft die ganze Woche auf dem Campingplatz, er kommt meist am Wochenende dazu. Dass die beiden nicht erst seit gestern auf dem Platz sind, merkt man auch ihrer Unterkunft an: Zahlreiche Büsche und Sträucher markieren die "Grundstücksgrenze", dazwischen steht mehr Dekoration als in manchem Vorgarten - alles akribisch gepflegt. Zwischen dem Paar auf dem Gartenstuhl schläft Katze Netti, die sich auf dem Camingplatz frei bewegen kann. Die zweite Samtpfote der Grosches ist zwischen Wohnwägen und Zelten streunern.

Ihre Besitzer fühlen sich sichtlich wohl in ihrem kleinen Garten, Kathleen Grosche liest, während ihr Mann einfach die Ruhe genießt. Aber: "Die große Zeit der Dauercamper", erzählt Kathleen Grosche, "ist vorbei." Nacheinander zeigt sie auf die Nachbarunterkünfte, deren ehemalige Besitzer das Paar alle gut kennt - oder kannte. Viele sind gestorben oder haben dieParzellen aufgelöst. Vor zwei oder drei Jahren habe diese Entwicklung angefangen, jetzt seien nur noch wenige Dauercamper übrig.

Einst waren es mal 400, schätzt Grosche. Heute, sagt Betreiber Kratz, sind noch 120 Dauercamper auf dem Platz. Auf 60 Prozent Reisende, die höchstens zwei Nächte bleiben, kämen etwa 40 Prozent, die einen längeren Urlaub auf dem Platz verbringen - oder Dauercamper sind. Diesen Schnitt würde Kratz gerne beibehalten - obwohl die Nachfrage nach Dauercamperplätzen sehr wohl da sei. Er führt die Logistik ins Feld. Doch mit den Dauercampern gehe auch das Gemeinschaftsgefühl von einst, sagen die Grosches. Das Paar hingegen wird bleiben - zumindest, bis Kathleen Grosche in Rente geht.
 

Sophie Schmidt