Ingolstadt
Eine Geschichte des Sports und des Zusammenhalts

ESV Ingolstadt-Ringsee feiert das 100-jährige Bestehen mit einem beeindruckenden Festakt samt rasanter Zeitreise

06.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:32 Uhr
Sportler aus fast allen 20 Abteilungen führten vor großem Publikum ihre Disziplinen vor, so wie hier die Handballer. −Foto: Cornelia Hammer

Ingolstadt (sic) Der ESV Ingolstadt-Ringsee hat am Samstag in der Paul-Wegmann-Halle mit einer großen Gala sein 100-jähriges Bestehen gefeiert. Mehr als 200 Aktive – von Zweijährigen bis zu Senioren über 80 – eröffneten die Show mit einer bejubelten Choreografie. Fast alle Abteilungen führten ihre Sportart vor und zelebrierten dabei eine anschauliche wie lehrreiche Reise durch die bewegte Vereinsgeschichte.

Sie werden immer älter. Als Erste stürmen kleine Kinder  in die Halle,  rennen strahlend in Formation, angefeuert von stampfenden Beats aus den Boxen.   Bald mischen sich Dutzende Jugendliche unter die Läufer, schließen sich den Kindern an. Mehr und mehr.   Sie rennen und rennen. Inmitten der Halle wird es   immer dunkler, denn alle tragen das  schwarze Jubiläums-T-Shirt mit der Aufschrift: „100 Jahre ESV“.  Die Zuschauer  nehmen den Rhythmus auf,    klatschen euphorisch im Takt. 

Nach und nach strömen  erwachsene Sportler  in die Halle und fügen sich in die Menge ein, die kurssicher über die Spiel- und Tanzfläche  trabt. Als Letzte   laufen       Grauhaarträger auf.  Sie winken ins Publikum. Hier ein  junger Athlet in der Lederhose, dort  kleine und größere Judoka  in Kampfmontur.

Schwarze Hakama-Hosenröcke wirbeln ebenfalls mit, denn Aikido betreiben sie beim ESV auch.  
Jetzt erreicht die Massenchoreografie  (monatelang geprobt)    das Finale des Intros:  Die mehr als  200 Aktiven bleiben  stehen, wenden sich wohlsortiert und -koordiniert dem Publikum zu. Sie bilden präzise drei riesige Buchstaben: E, S, V.  Jubel. Dann gehen sie in die Knie. Springen auf, reißen die Arme hoch.  Die  Tennis- und Badmintonspieler halten  ihre Schläger in die Höhe. Die  Jubiläumsshow dauert  noch keine zwei Minuten, und die   Halle  bebt  schon. 

Im Laufe  der Gala gelingt den Sportlern der Balanceakt,  100 Jahre ESV ebenso tempo- wie lehrreich  zu zelebrieren, denn die an Umbrüchen, Neubenennungen, Abspaltungen und Fusionen reiche Vereinsgeschichte erzählt auch viel von der Entwicklung des Freizeitsports in  Deutschland  – und  streift dabei immer wieder die  Ingolstädter Historie seit 1919. Es wird der sportlichste Festakt in diesem ersten Jahrhundert des ESV.


 Heute hat der Eisenbahner-Sportverein Ingolstadt-Ringsee (wie er  erst seit 1953 heißt) fast 1800 Mitglieder, davon sind gut die Hälfte  Kinder und Jugendliche.  Der Tanztrainer Alexander Angermann ist einer der vielen  Ehrenamtlichen, die das Vereinsleben am Pulsieren halten – und er moderiert wie ein Profi. 
19 der 20  Abteilungen treten in der chronologischen Reihenfolge ihrer Gründung auf und führen   ihre Sportart kurz unterhaltsam  vor, während Angermann den historischen Kontext erklärt. Einige Abteilungen sind schon lange Geschichte, dafür sind ESV-ler   in der jungen Disziplin Floor-Ball  „super erfolgreich“, so der Moderator.  Sie räumen  landesweit Titel ab. Die Judoka  kämpfen  ebenfalls weit vorne mit: in der zweiten Bundesliga. Die Judoabteilung gibt es  schon seit 1966. Damit bewies der ESV   nicht das erste Mal  seine Aufgeschlossenheit allem Neuen  gegenüber: Japanische Sportkunst in einer bayerischen Kleinstadt, da kamen die Kämpfer in Weiß besonders exotisch zur Geltung.  Oder  Tennis: seit 1934. Damals ein  elitärer Sport. Aber nicht so beim Ringseer Arbeiterverein.  „Hier waren Männer und Frauen von Anfang an herzlich willkommen“, erzählt Moderator Angermann.

 
Die Vorstellungen der Abteilungen sind ein  Spaß. Die Kegler mimen neun lebende Kegel und lassen sich von einem Kameraden mit einer großen Kugel umnieten. Die Segler ziehen ein Boot in die Halle (in einer Woche  dann auch im  Wasser, da ist   offizielles  Ansegeln). Die jungen Tennisspieler schlagen lächelnd Bälle ins Publikum. Die Stockschützen – eher ältere Herren – demonstrieren ihren Präzisionssport zu dem eher jugendlichen Hit „Ice Ice Baby“.    Die Faustballer, auch  eine Traditionstruppe, spielen zu Altherrenrock: ACDC („Highway to Hell“).  Doch sonst prägen  vor allem Kinder und Jugendliche das Bild. Denn der 100 Jahre alte ESV ist ein sehr junger Verein.

Nach der Show strömen alle beseelt  in den Sonnenschein. „Super war’s!“, heißt es ringsum. Florian „Flocki“ Kaiser hat natürlich der  Beitrag der Skifahrer am besten gefallen, denn da hat er mitgewirkt: im Gewand  eines Ur-Skifahrers des frühen 20. Jahrhunderts. „Wir wollten auch zeigen: Obwohl jeder für sich fährt, ist es  ein Ski-Team!“  Flocki  schätzt den ESV, „wegen der vielen Möglichkeiten , die er bietet,  und dem Zusammenhalt  untereinander“. Anna (19) und Jessica (27), begeisterte Volleyballerinnen, loben abteilungsübergreifend: „Skifahren war witzig, und auch die Tänzer waren alle super!“ Die Sportlerinnen  mögen ihren   ESV. „Denn er ist  wie eine große Familie.“ 

 

4:2 UND WEITERE NOTIZEN ZUR JUBILÄUMSGALA DES ESV

Vor allem eines: Geschichte des Vereins, denn das hat es mal weitgehend weggeschwemmt: Wasserrohrbruch im Keller. Einige nette Anekdoten wurden aber mündlich tradiert. Retzer gibt zwei zum Besten: 1930 spielte der V. f. B. Ingolstadt-Ringsee (wie er seinerzeit hieß) gegen den schon damals mächtigen FC Bayern. Als Gag hatten die Ingolstädter ausgeheckt, dass ein Kunstflieger namens Stöhr beim Anpfiff einen Ball über dem Spielfeld abwirft. Aber der Pilot irrte sich in der Zeit und ließ das Leder erst in der 5. Spielminute aus der Maschine fallen. Vielleicht war es der Irritation der Gäste geschildet, so vermutet Retzer, dass es die Ingolstädter schafften, lang ein 5:5 zu halten. Aber gegen Ende schienen sich die Münchner vom Einwurf aus dem Himmel erholt zu haben. Sie siegten mit 7:5.

Im Krieg wurden Turnhalle und Schwimmbad der Ring-seer zerstört. "Es gab 1945 Pläne, eine neue Halle zu bauen", erzählt Retzer. Das Architektenhonorar fiel nachkriegstypisch aus: eine Glühlampe und zwei Paar Bauernwürste. Doch wegen Geldmangels wurde die Halle nicht gebaut, so Retzer (selbst Architekt), und deshalb wechselten auch Glühbirne und Würstl nicht den Besitzer.

Christian Silvester