Ingolstadt
"Ein blanker Fleck der Firmengeschichte"

KZ-Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit über die historische Schuld des Airbus-Vorgängers Messerschmitt

10.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:13 Uhr
In der musealen Willy Messerschmitt-Halle auf dem Manchinger Flughafen ist auch eine Me109, das zentrale Jagdflugzeug des Zweiten Weltkriegs, ausgestellt. Die Maschinen wurden im weiteren Kriegsverlauf auch von Tausenden Arbeitssklaven im KZ Flossenbürg mit gefertigt, wohin das große Regensburger Werk des Airbus-Vorgängerbetriebs Messerschmitt verlegt worden ist. −Foto: Heimerl/Archiv, KZ Flossenbürg

Ingolstadt/Manching (DK) Mit einer Studie, Zeitzeugeninterviews und einem Engagement in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg hat Audi - wie jüngst berichtet - das dunkelste Kapitel der Firmengeschichte aufgearbeitet: den Einsatz von KZ-Häftlingen als Arbeitssklaven im Zweiten Weltkrieg für die Vorgängerfirma Auto Union.

Für Messerschmitt, das als MBB und heute Airbus mit eigener Willy-Messerschmitt-Halle am Manchinger Flugplatz fest verwurzelt war und ist, steht dieser Schritt aus. Warum das so ist, erklärt der Flossenbürger KZ-Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit (Foto) im Interview.

Herr Skriebeleit, warum interessiert sich Ihre KZ-Gedenkstätte für Messerschmitt?


Jörg Skriebeleit: Die Geschichte des großen Luftrüstungskonzerns Messerschmitt AG ist bis heute nicht geschrieben. Damit kann sie auch nicht breiter in das öffentliche Bewusstsein treten. Es gibt Bücherregale voller Werke zu den Flugzeugen von Messerschmitt, aber kaum ein Werk, das die große Zwangsarbeit für die Firma in den Konzentrationslagern Flossenbürg und Mauthausen erwähnt.

Warum nicht?


Skriebeleit: Das Komplizierte ist, dass die Messerschmitt AG seit vielen Jahren nicht mehr existiert, sondern nach vielen Fusionen und Übernahmen heute unter dem Dach von Airbus ist. Zwischendrin war es Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), dann bei DASA, dann EADS. Es gibt keine Unternehmenskontinuität wie im regionalen Vergleichsfall bei Audi, das aus der Auto Union in Sachsen hervorging. Dort hatte die Verstaatlichung der Konzerne nach dem Krieg dazu geführt, dass auch alles Schriftgut verstaatlicht worden ist. Und nach der Wende ist das Bestandteil der Staatsarchive geworden. So konnte die erste große Studie über Zwangsarbeit bei der Auto Union entstehen. Bei Messerschmitt ist das ganz anders. Historiker vermuten und erwarten auch, dass noch einiges aus dem Unternehmensarchiv vorhanden ist. Aber wo das angesiedelt ist, wissen wir nicht. Da Messerschmitt immer ein bayerischer Betrieb war, also von Augsburg ausgehend, mit dem großen Zweigwerk in Regensburg, das dann in die beiden Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz und Mauthausen in Österreich verlagert wurde, ist davon auszugehen, dass sich Teile des Messerschmitt-Archivs bei Airbus befinden oder in irgendwelchen Zwischenarchiven. Allerdings hat sich das Unternehmen bisher nicht nur auf Anfragen unserer Gedenkstätte, sondern auch bei anderen historischen und wissenschaftlichen Anfragen als hermetisch gezeigt. Es gibt also keine Information, nur Vermutungen, was noch alles vorhanden ist. Unsere Vermutung ist eben, dass noch sehr viel vorliegt zum Rüstungskonzern Messerschmitt AG in den Jahren 1933 bis 1945. Und das ist eine bayerische Frage mit europäischer Bedeutung.

Welche Initiativen haben Sie gestartet?


Skriebeleit: Mit einem befreundeten Historiker und Professor für Zeitgeschichte an der Uni Wien, Bertrand Perz, dem Mauthausen-Forscher schlechthin, sind wir seit einigen Jahren dran, ein Forschungsprojekt zu Messerschmitt zu initiieren. Wir haben auch schon nachgefragt für unsere erste Dauerausstellung 2007, ob es Schriftgut gibt. Wir haben damals an EADS und auch die Messerschmitt-Stiftung - ich weiß natürlich, dass die sich als Denkmalstiftung anders engagiert - Fragen gestellt. Die Antworten waren immer einsilbig: Sie hätten nichts, seien nicht zuständig, wüssten nichts über das Firmenarchiv, es gebe also nichts. Und das kann nicht sein!
Welche Bedeutung hatte die Messerschmitt AG damals generell und in Bezug auf die Ausbeutung von Zwangsarbeitern?
Skriebeleit: Das große Werk Regensburg wurde von Augsburg aus gegründet und stellt gewissermaßen die Industrialisierung Regensburgs dar. Ein ganzer Stadtteil entsteht mit Zuzug und wird zu einem riesigen Flugzeugwerk, das den Jagdflieger Me109, das zentrale Jagdflugzeug des Zweiten Weltkriegs, herstellt. Dieses Regensburger Werk wird schon ab 1942 bewusst in die Konzentrationslager Mauthausen und Flossenbürg verlegt. Und das noch vor dem Bombenangriff auf Regensburg, das ist wichtig. Die Messerschmitt AG plant massiv und als eines der ersten Unternehmen den großen Einsatz von KZ-Häftlingen und verlagert dazu komplette Fertigungsstraßen ins Konzentrationslager. Der Flossenbürger Lagersteinbruch wird vollständig auf Luftrüstung umgestellt und gilt, diese Akten haben wir, als Musterbetrieb aus Sicht des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes. Es gibt Berichte an Heinrich Himmler, was das für ein Vorzeigebetrieb ist. Bei Mauthausen ist das KZ-Außenlager Gusen ausschließlich Messerschmitt. Aus der Perspektive der KZ-Forschung ist das alles vollkommen klar. Die Akten mit der SS-Perspektive, was den Häftlingseinsatz betrifft, liegen vor. Wir sprechen von mehreren Zehntausend Gefangenen, die für Messerschmitt alleine im Flossenbürg-Kontext arbeiteten, im Zwei-Schicht-, stellenweise Drei-Schicht-Betrieb am Tag zwischen 3500 und 5000 Gefangene. Und dann kommen noch die Außenlager dazu. Und im Mauthausen-Kontext schaut es mindestens genauso aus. Eine extrem hohe Anzahl.

Es handelt sich also um die zentrale Geschichte des Konzentrationslagers?


Skriebeleit: Ja, es geht hier um die relativ gut dokumentierte Geschichte Flossenbürgs bei einem der Zentralunternehmen, das die SS eben selbst als Pilotprojekt mit dem massiven Einsatz von KZ-Häftlingen in der Luftrüstung definiert hat. Und das ist nicht so, Messerschmitt leiht Häftlinge aus, sondern die verlagern eben die gesamte Produktion ins KZ. Dazu gibt es viele Fragen: Ab wann gibt es Überlegungen? Wer ist involviert? Mit wem verhandeln die? Welche Überlegungen bestimmen die Standorte? Und das kannst du nur aus Firmenperspektive mit Firmenschriftgut klären. Und da glaube ich einfach trotz der ganzen Fusionen nicht, dass es diese Firmenakten nicht mehr gibt. Also für uns ist das wichtig. Und das ist es vielleicht auch für die Firma, die heute anders heißt und Airbus ist, da es ein wesentlicher, aber blanker Fleck der eigenen Unternehmensgeschichte ist.

Wie kann und soll es aus Ihrer Sicht nun weitergehen?


Skriebeleit: Die Universität Regensburg und die Universität Wien stünden in einem internationalen Projekt bereit, diese Geschichte wissenschaftlich zu erforschen - nicht tendenziös, nicht anklagend, sondern nach den besten Regeln der historischen Kunst auf fachwissenschaftlicher Ebene.

Das Gespräch führte

Christian Rehberger
.