Irsching
Worte, die Wellen schlagen sollen

Matthias Kolbe hat nach der Explosion bei Bayernoil einen Brandbrief an die Politik geschrieben. Eine Antwort hat er bisher nicht erhalten, aber er würde den Brief trotzdem wieder schreiben. <?MAK TagName="Uni" Vorschub="16dp" SchriftStil="0" SchriftGroesse="8,4dp" EinzugAbsatz="0ru" SchriftArt="ITC Franklin Gothic Book"> Von Markus Meßner<?_MAK> <?ZE>

21.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:37 Uhr
  −Foto: Johannes Hauser info@johannes-hauser-fotografie.de, Hauser, Johannes, Hauser, Johannes, Ing

Irsching (DK) Wenn irgendwo eine Autotür heftig zugeschlagen wird, dann zuckt Matthias Kolbe immer noch zusammen. Es ist schon besser geworden, er hofft, dass dieses Gefühl der Angst irgendwann in den nächsten Wochen wieder verschwindet. Aber dazu ist es heute noch zu früh. Die Explosion bei Bayernoil in Irsching, nur wenige Hundert Meter von seinem Zuhause entfernt, wo er jäh aus dem Schlaf gerissen wurde, ist gerade einmal drei Wochen her. Jedes Mal, wenn sich der Lehrer mit dem Auto seinem Heim nähert, sieht er die schwarzen verkohlten Metalgerippe von Bayernoil vor sich. "Dann läuft es mir kalt den Rücken runter", sagt er.

Kolbe musste etwas dagegen tun, also hat er diesen Brandbrief an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) geschrieben, der durch die Medien gegangen ist. In Kopie ging er auch an den Landtagsabgeordneten Karl Straub (CSU) und den Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer (CSU). Die nüchterne Nachricht vorweg: Er hat nach zwei Wochen noch keine Antwort erhalten. Vor einigen Tagen hat Kolbe zufällig im Bayerischen Fernsehen ein Interview mit Innenminister Herrmann gesehen, in dem er auf jenen Brandbrief angesprochen wurde. "Herrmann machte den Eindruck, als wüsste er gar nicht, über was der Reporter spricht." Kolbe zuckt mit den Schultern. Hat er mit einer Antwort gerechnet? Insgeheim hat er wohl gewusst, dass ein bayerischer Innenminister offenbar Besseres zu tun hat, als sich mit einem Brief aus Irsching auseinanderzusetzen. Aber eine gewisse Hoffnung war doch da. Der Unfall hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und in wenigen Wochen ist Landtagswahl.

Umsonst war der Brandbrief indes sicher nicht. Obwohl von der großen Politik (bisher) keine Antwort gekommen ist, haben die Worte Wellen geschlagen. "Ich habe sehr viel Zuspruch erfahren", erzählt Kolbe. Viele Irschinger seien zu ihm gekommen und hätten gesagt: "Du hast uns aus der Seele gesprochen."

Kolbe ist durchaus bewusst, dass seine ablehnende Haltung ein Stück weit naiv ist. Denn die Raffinerie und das Gaskraftwerk gehören seit Jahrzehnten zum Ortsbild von Irsching. Das Gefahrenpotenzial war immer da. Es hat sich seit dem 1. September nicht verändert. In jener Nacht, um 5.11 Uhr hat es sich aber manifestiert. Und das macht für ihn und viele andere den Unterschied. "Wir hatten die Gefahr nicht auf dem Schirm", sagt er.

Für Kolbe war die Raffinerie immer da. Als der Mittdreißiger geboren wurde, stand sie bereits. "Ich bin damit aufgewachsen." Er erzählt wie selbstverständlich: "Hin und wieder stinkt es, die Fackel nervt und schön ist der Anblick auch nicht." Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Kolbe hat sich daran gewöhnt. Die Raffinerie war immer da, er hat sie aber so gut es eben ging ausgeblendet. "Ich habe keine Gefahr gesehen", stellt er fest. Ein Irrtum, wie er heute weiß.

Auch damals, Mitte der 1960er Jahre, als die Raffinerie errichtet wurde, hat niemand an die Gefahren gedacht. Auf Schwarz-Weiß-Bildern ist zu sehen, wie der damalige bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel und Vohburgs Bürgermeister Alfons Hierhammer mit den Verantwortlichen von BP zur Eröffnung der Raffinerie durch die Vohburger Innenstadt ziehen. Die Donaustraße ist gesäumt mit Menschen. Sie stehen dicht gedrängt in mehreren Reihen am Straßenrand, schwenken BP-Fahnen und jubeln den Verantwortlichen zu. Unter dem Bild ist zu lesen: "Im Triumph durchs Kleine Donautor in Vohburg."

Kolbe betrachtet die Bilder und erkennt sofort: Stolz. Die Bürger waren stolz, dass die Raffinerie bei ihnen gebaut wurde. Gerade in den 1970er Jahren, als das Wirtschaftswunder endete und die Arbeitslosenquote sprunghaft stieg, bedeutete die Raffinerie sichere Arbeitsplätze. Die Großindustrie hat Irsching und damit auch Vohburg reich gemacht. Und ein klein wenig von diesem Stolz ist sicher immer noch vorhanden.

Kolbe kennt das alles, er weiß, wie viel Geld die Industrie nach Irsching gespült hat. Er hat Freunde, die dort arbeiten, er kennt Nachbarn, die ihre Pension von den beiden Großunternehmen beziehen. Mit diesem Geld wurden Häuser gebaut, Familien sichern damit ihre Existenz. Die Arbeitsplätze sind wichtig. Kolbe ist nicht blind. "Ich sehe schon, gegen wen ich da kämpfe." Und er fügt hinzu: "Irsching würde ohne die Raffinerie nicht so aussehen, wie es das heute tut." Kolbe meint das positiv, die gute Infrastruktur im Dorf, auch das Warmbad. Man kann den Satz aber auch anders lesen.

Das Rad der Zeit kann niemand zurückdrehen, aber die Zukunft lässt sich beeinflussen. Das ist es genau, was Kolbe versucht. Wie sind die Sicherheitsstandards beim Wiederaufbau der zerstörten Anlagen? Wird nur das gesetzlich vorgeschriebene Minimum umgesetzt? Oder legt Bayernoil für die Sicherheit der Bürger noch etwas drauf? Auf solche Fragen erwartet sich nicht nur Kolbe eine Antwort von Bayern-oil. Auch die Stadt macht Druck. Bei einer Bürgerversammlung mit den Verantwortlichen der Raffinerie und des Gaskraftwerks am 2. Oktober erhoffen sich die Betroffenen Antworten.

"Die Belastungsgrenze für Irsching ist erreicht", sagt er. Das ist ihm und offenbar noch vielen anderen Anwohnern in Irsching im wahrsten Sinn "explosionsartig klar geworden". Deshalb hat Kolbe eine Petition gestartet. "Stoppen Sie die Einlagerung von 100 Millionen Litern Gasöl als strategische Reserve in Irsching." Wer die Initiative unterstützen will, kann dies online unter openpetition.de tun.

Da das Projekt bereits seit Ende Juli genehmigt ist, rechnet sich Kolbe eher geringe Chancen aus, dass die Einlagerung noch gestoppt werden kann. Aber diesmal will er das Gefahrenpotenzial, das 100 Millionen Liter Gasöl und mehrere Tausend Tankwagen bergen, nicht einfach ausblenden und so weitermachen wie bisher. Fotos: Hauser, Meßner