Ingolstadt
Bekenntnis zur großen Schuld

Den Einsatz von KZ-Gefangenen als Arbeitssklaven arbeitet Audi im Museum mit Zeitzeugeninterviews auf

20.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:18 Uhr
  −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Es ist eine tiefe historische Schuld, die sich die Auto Union wie andere Unternehmen in der Nazizeit mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern und ganz besonders KZ-Häftlingen als Arbeitssklaven aufgeladen hat. Um das dunkelste Kapitel der Konzerngeschichte aufzuarbeiten, hat die Audi AG mit Opfern gesprochen. Diese Zeitzeugeninterviews sind jetzt auch im Museum mobile des Autobauers zu sehen und zu hören.

17300 Zwangsarbeiter und 3700 KZ-Häftlinge - knapp die Hälfte der Belegschaft. Das sind die nüchternen Zahlen aus dem Zweiten Weltkrieg, als die Auto Union mit ihren in den vier Ringen vereinten Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer für das NS-Regime Waffen herstellte. "Aus nationaler Pflicht zu rüsten", wie es in einer zentralen Studie aus dem Jahr 2014 zur Beteiligung an den Gräueltaten heißt. Sechs Außenlager betrieb die Auto Union an ihrem Stammsitz in Sachsen, eines später im böhmischen Leitmeritz.

Welche Schicksale die zur Arbeit gezwungenen NS-Opfer unter menschenverachtenden Bedingungen erleiden mussten, das lässt sich nun auch in Ingolstadt aus dem Mund von sieben Zeitzeugen erfahren. Wie schon im (zur Hälfte von Audi getragenen) August-Horch-Museum in Zwickau unmittelbar am Originalschauplatz erfolgt (DK berichtete), bekennt sich Audi als Nachfolger der Auto Union zu der großen Schuld, indem die gesammelten Interviews mit Überlebenden in die Dauerausstellung eingebaut sind.

Zur Eröffnung kam gestern die Holocaust-Überlebende Helga Kinksy aus Wien angereist, die schon im vergangenen Juli in Zwickau ihre bewegende und mit einer großen Botschaft versehene Lebensgeschichte erzählte. "Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der jüngsten Zeit geben Anlass zur Sorge", sagte die bald 89-Jährige. "Ich kann nur warnen. Ausgrenzung, Hass und das Leugnen der Geschichte nehmen wieder zu. Aber es geht nicht mehr um meine Zukunft." Die in "eine unreligöse jüdische Familie" geborene Wienerin überlebte als 14-Jährige das Ghetto Theresienstadt, das Vernichtungslager Auschwitz und Zwangsarbeit für ein Tarnunternehmen der Auto Union in Oederan bei Chemnitz.

Neben Helga Kinsky hat die Abteilung Audi-Tradition als Geschichtswahrer des Konzerns vier weitere Interviews selbst führen können: Heuer erst im Januar bei Hana Drori in Haifa/Israel, davor mit Hana Malka (beide arbeiteten auch in Oederan). Als französischer Fremdarbeiter wurde Henri Bertrand von Citroën gezwungen, bei Horch in Zwickau zu schuften. Alessandro Casagrande kam als italienischer Kriegsgefangener ins DKW-Werk in Berlin-Spandau.

Wie unmenschlich und grausam es auch für sie zuging, das beschrieb Peter Kober von Audi, der die Interviews führte. Der Italiener Casagrande sei im Lager wegen des angeblichen Diebstahls von einer Mullbinde zum Tode verurteilt worden. Der Vorwurf: Er soll eine Apotheke überfallen haben. Das Standgericht tagte am 24. Dezember, Heiligabend. "Offiziere, die am Abend mit ihren Familien feierten, verurteilten einen christlich getauften Menschen", sagte Kober. Die Mullbinde stammte aber aus Wehrmachtsbeständen. Das Urteil wurde in drei Wochen Arbeitslager umgewandelt

Mit Henri Bertrand war Kober sogar in Zwickau gewesen. Ein dort aufgestelltes Mahnmal für die KZ-Häftlinge wollte Bertrand aber partout nicht besuchen. "Ich habe die armen Kerle lebend gesehen, ich muss sie nicht auch noch Tod sehen", war laut Kober die Reaktion des Franzosen. Dem Interviewer wurde dadurch eindrücklich klar, wie er sagte: "Man nötigt altgewordenen Menschen, ihre tief vergrabenen schlimmsten Erlebnisse zu beschreiben."

Die Zeitzeugeninterviews hätten aber nicht nur bei den Handelnden, sondern im ganzen Unternehmen tiefen Eindruck hinterlassen, glaubt Jörg Skriebeleit. "Es sind spürbar nicht nur Betroffenheit und Ergriffenheit, sondern mehr", sagt der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Mit dieser arbeitet Audi intensiv zusammen und finanziert eine Stelle einer wissenschaftliche Mitarbeiterin. Außerdem besuchen dreimal im Jahr 20 Audi-Auszubildende bei einem speziellen Programm das KZ und Zwickau.

Auch wenn es sich Audi-Tradition auf die Fahnen geschrieben habe, weitere Zeitzeugen zu interviewen, wird das kaum mehr möglich sein, ist Skriebeleit überzeugt. "Die Zeit ist vorbei." 2019 jährt sich das Kriegsende zum 75. Mal.

Christian Rehberger