Ingolstadt
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Asylbewerber lassen während Presserundgang im Transitzentrum ihrer Frustration freien Lauf

15.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:15 Uhr
Kontaktverbot: Ein Zaun schirmt die Bewohner der ehemaligen Max-Immelmann-Kaserne von den Journalisten ab. Thomas Schmid, der Leiter des Transitzentrums (helles Hemd, Bildmitte) deeskaliert die Situation. Zuvor hatten die Asylbewerber lautstark auf die in ihren Augen untragbaren Zustände in der Einrichtung hingewiesen (rechts unten). Vor der Kaserne demonstrieren derweil Asylbewerber und ihre Unterstützer aus Politik und Gesellschaft gegen die Asylpolitik und die geplanten Anker-Zentren. −Foto: Fotos: Hauser

Ingolstadt/Manching (DK) Die Stimmung im Transitzentrum ist sehr gereizt, Frustration greift mit Macht um sich. Davon bekamen gestern gut 50 Journalisten bei einer geführten Tour durch die einstige Immelmann-Kaserne einen unverblümten Eindruck: Dutzende Asylbewerber nutzten die Präsenz der Reporter, um wütend ihre Lebensumstände zu beklagen. Kurzfristig entglitt den Regierungsvertretern die Kontrolle über den als Paradevorführung gedachten Presserundgang.

Sanftes Bairisch kann eine Lösung sein, wenn es richtig hässlich zu werden droht. Die Stimmung kippt kurz vor elf Uhr, und Thomas Schmid, der Leiter des Transitzentrums, ist der Mann der Stunde. Er geht schlichtend dazwischen, als sich die wütenden Bewohner und die grimmig-abwehrbereit dreinschauenden Männer vom Sicherheitsdienst bedrohlich annähern. Frustration trifft auf Alarmbereitschaft. "We want freedom! We want the peace!", rufen die Asylbewerber in treibendem Rhythmus. Wir wollen Freiheit, wir wollen Frieden. Ein Großaufgebot Security geht in Stellung, versucht, die aufgebrachten Menschen mit einem Metallzaun abzuschirmen - und sie so von den Journalisten zu trennen. Die geraten dutzendfach zwischen die Fronten, werden von Gesandten der Regierung von Oberbayern hektisch auf die andere, staatlich kontrollierte Seite gewunken. Jedoch nicht, weil die Reporter in Gefahr wären - gar nicht -, sondern weil die Demonstranten den Gästen wort- wie gestenreich ihre Frustration schildern wollen. Kritik ist im Ablaufplan der Pressetour nicht vorgesehen.



Kurzfristig scheint die Situation zu entgleiten. Kein Reporter interessiert sich in dem Moment mehr für leere, akkurat aufgeräumte Schlaf-, Spiel und Klassenzimmer samt ihrer medienwirksam drapierten Ausstattung (was sie bisher zu sehen bekommen haben). Die Asylbewerber agieren gleichwohl medienwirksam, lassen sich diese gute Gelegenheit nicht entgehen. Sie wissen, dass zur selben Zeit Dutzende Landsleute aus anderen Ingolstädter Massenunterkünften vor dem Tor der einstigen Max-Immelmann-Kaserne demonstrieren - an der Seite von Deutschen: Politiker (die Grünen zeigen starke Präsenz), ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, dazu parteilose Bürger und Studenten. Ihr Ziel: ein "lagerfreies Bayern".



Hinter den Kasernenzäunen schallt es weiter: "We want freedom! We want the peace!" Die Nigerianer erflehen noch etwas: "Transfer!" Nichts wie raus hier! Ein junger Mann stemmt ein Transparent mit deutschem Text in die Luft: "Wir sind es leid, in diesem Lager zu leben!" Das ist an diesem hochemotionalen Vormittag in nahezu jeder Ecke eindringlich zu spüren.

Tief im Getümmel: Thomas Schmid. Er befriedet die Lage. Die Bewohner vertrauen ihm. Auch wenn die Afrikaner des Bairischen eher nicht mächtig sind, scheint der sonore, mundartgeprägte Ton des Zentrumsleiters viel zur allgemeinen Beruhigung beizutragen.

Die Paradevorführung des Alltags im Transitzentrum kann weitergehen. Die Vertreter der Bezirksregierung und die Mitarbeiter einer mit der Betreuung der Bewohner beauftragten Firma haben großen Aufwand betrieben, um die Unterkunft in bestem Licht zu präsentieren. Die Blumen in den Betongefäßen vor einem zur Besichtigung freigegebenen Gebäude schauen aus wie frisch gepflanzt. Drinnen sehen die Journalisten keine Bewohner, dafür das leere Babyzimmer, in dem noch ein Stuhl, ein Polster und eine Waage stehen. "Aber es findet Betreuung statt!", versichert eine Sprecherin der Regierung. An den Wänden kindliche Malereien, Fotos des Betreuungsteams und Aushänge mit Bekanntmachungen in drei Sprachen: Deutsch, Englisch, Arabisch. An diesem Mittwoch beginnt der Ramadan. Für die fastenden Muslime sind folgende Speisezeiten vorgesehen: 21 bis 22 Uhr Abendessen, 2.30 bis 3.30 Frühstück. Im Speisesaal stapeln sich Plastikgeschirr und Paletten voller Wasserflaschen. "Nachschlag erst ab 14 Uhr", steht auf einem Schild. Es gibt auch vegetarisches Essen.

Aber warum dürfen die Bewohner nicht selber in einer Küche kochen? "Wegen des Brandschutzes", erklärt Daniel Waidelich von der Bezirksregierung (siehe auch den Artikel unten). "Wir verfahren nach dem Sachleistungsprinzip." Das bedeutet: Der Staat stellt Unterkunft, Verpflegung, Kleidung, Heizung, und Körperpflegeartikel, übernimmt die medizinische Versorgung und gibt Taschengeld (60 bis 125 Euro pro Monat), dazu kämen "niederschwellige Angebote für die Kinder".

Die unterliegen ab dem sechsten Lebensjahr der Schulpflicht. Sie dürfen am Unterricht teilnehmen, wenn sie mindestens drei Monate in Deutschland leben, sagt Waidelich. Die Jahrgangsstufen 1 bis 4 sowie 5 bis 9 gehen jeweils in eine Klasse. Wer nicht gut genug Deutsch spricht, um den Lehrern folgen zu können, kommt in eine Übergangsklasse. In der einstigen Luftwaffenkaserne gibt es jedoch keine. "Die Kinder werden an einem anderen Standort unterrichtet."

Die Journalisten dürfen mit den Bewohnern Gespräche führen, wie sie wollen. Kein Aufpasser geht dazwischen. Alle kommen sofort zum Wesentlichen: das Essen; ein gewaltiger Krisenherd. "Es ist mies! Fast jeden Tag gibt es das Gleiche!", sagt Edosa (23) aus Nigeria auf Englisch. "Every day!" Er zeigt Handyfotos: "Das sieht nur aus wie ein Toast, schmeckt aber wie Pappe." Freunde stimmen mit ein. In Gehader vereint. Und immer wieder: "Wieso lässt man uns nicht selber kochen?"

Was die Asylbewerber soeben bei ihrer "spontanen Kundgebung" vorgetragen hätten, sei "erwartbar gewesen", sagt Daniel Waidelich später vor der versammelten Presse. "Die Qualität des Essens ist aber sehr hoch! Klagen gibt es fast nur wegen der mangelnden Abwechslung. Verständlich, dass da Unmut entsteht." Der Regierungsbeamte zählt eine lange Liste mit Leistungen für die Asylbewerber auf. 1100 Menschen leben derzeit im Transitzentrum Ingolstadt, verteilt auf vier Standorte, davon rund 400 in der Immelmann-Kaserne. 1000 Flüchtlinge sind seit September 2015 von hier aus abgeschoben worden, 2500 reisten freiwillig aus. Ob das viel ist oder eher wenig, lässt Waidelich offen. Über das Vorhaben der Bundesregierung, "Ankerzentren" zur beschleunigten Abschiebung einzurichten, wisse man bei der Bezirksregierung bisher nichts Näheres, berichtet er. "Aber wir sind ja auch nur die Vollzugsbehörde."

Kurz nach dem kleinen Tumult sitzt Lutz van der Horst mit ernstem Gesicht auf einem Gehweg und berät sich mit seinem Team. Der Außendienstkomödiant der ZDF-"heute show" findet partout keinen satirischen Zugang zu dem, was er gerade hier erlebt hat. Denn lustig ist an diesem eingezäunten Ort der verzweifelten Hoffnung wirklich gar nichts.

 

Kommentar von Christian Silvester

Natürlich gifteten sie im Internet gleich wieder los, kaum dass gestern der erste Bericht über die Proteste der Bewohner in der Manchinger Abschiebeeinrichtung online gegangen war: „Sollen sie doch daheim bleiben, die Afrikaner, wenn es ihnen bei uns nicht passt!“ Es hagelte Feindseligkeiten dieses Kalibers. Das ist der Sound der Auseinandersetzung in der enthemmten Facebook-Gesellschaft. Wo diffuse Aversion stringenter Argumentation kaum mehr Raum lässt. Dabei gehen Erkenntnisse, welche die Hysterie dämpfen könnten, leider völlig unter.

Die Asylbewerber, die gestern während eines Presserundgangs im Manchinger Transitzentrum laut ihre Lebensumstände beklagten, stellen wahrlich keine hohen Ansprüche. Weder wähnen sie sich auf einer Genusstour, wie AfD-selige Propaganda ätzt, noch erwarten sie das Paradies. Dies ganz gewiss nicht. Ihr Alltag in den Massenunterkünften ist das Gegenteil davon. Die Flüchtlinge verlangen keinen Luxus, sondern Mindeststandards. Sie wollen Milch und Gläschen für ihre Kinder erwärmen, ohne ständig mit herrisch auftretenden Sicherheitsmännern über Wasserkocher streiten zu müssen. Die Bewohner verstehen auch nicht, wieso es ihnen verboten wird, selbst zu kochen. Gerade hier ließe sich auf einfachem Wege − eine Gemeinschaftsküche, die alle Sicherheitsstandards erfüllt − die katastrophale Stimmung in den Unterkünften deutlich verbessern.

Doch hilfreiche Vorschläge sind gar nicht gewollt. Damit offenbart sich die (ziemlich eingeschränkt christlich soziale) Strategie der CSU: Den Fremden soll der Aufenthalt so unangenehm wie möglich gemacht werden. Einst waren in der Immelmann-Kaserne Luftabwehrraketen stationiert, heute darf man dort nicht mal mehr eine Suppe kochen. Angeblich aus Sicherheitsgründen. Solchen Unsinn aufzutischen, ist peinlich.

Christian Silvester