DIE MEDIZINERIN

24.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:21 Uhr
Frankenstein-Souveniers: Badenten und diverse Literatur im Shop des Medizinhistorischen Museums. −Foto: Fotos: Hauser

Marion Ruisinger ist Medizinerin, Medizinhistorikerin und seit 2008 Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums.

Sie ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik.



Frau Prof. Ruisinger, wo ist für Sie der grusligste Ort Ingolstadts?
Marion Ruisinger: Pfiffige Frage! Ich bin erst seit 2008 in Ingolstadt. Also habe ich keine Kindheitserinnerungen oder so etwas. Aber wo es mir mal ein bisschen unheimlich wurde, romantisch unheimlich, das war, als ich mal von der Arbeit nach Hause bin. Ich arbeite oft sehr lange, also irgendwann kurz vor Mitternacht, und das war eine von den furchtbaren Nebelnächten, da bin ich am Kreuztor vorbei, links in die Gasse bei dem kleinen Spielzeugladen. Wenn dann der Nebel da drin hängt und mit den alten Mauern. . . Ich habe keine Angst gehabt, aber ein bisschen gruslig war's schon.

Victor Frankenstein hat in Mary Shelleys Geschichte Gott gespielt und versucht, über Leben und Tod zu entscheiden. Finden Sie es moralisch vertretbar, dass Menschen über Leben und Tod von anderen bestimmen können?
Ruisinger: Klares Nein! Einfach NEIN! Es ist nicht moralisch vertretbar, da gibt's auch keine Ausnahmen. Das ist ein klares Nein ohne Fußnote. Sobald man anfängt zu diskutieren, dass es Fälle geben könnte, wo es dann so ist, wird die Tür geöffnet zum Missbrauch dieser Macht. Wir hatten Menschenversuche im "Dritten Reich", das ist das beste Beispiel, wo diese Tür geöffnet wurde, wo es möglich wurde, Forschung an Menschen zu betreiben ohne diese Grenzen einzuhalten. Die Geschichte hat gezeigt, wie stark das ausgenutzt wurde. Deshalb ein klares Nein!

Wurde früher versucht, tote Menschen wiederzubeleben?
Ruisinger: Das war typisch für die Medizin im 18. Jahrhundert. Einmal die Angst, lebend begraben zu werden, also die Scheintot-Diskussion. Das war eine ganz große Angst bis zum speziellen Equipment für Särge, wo man klingeln konnte, wenn man wieder aufgewacht ist. Auch das Aufbahren mehrere Tage im Leichenschauhaus hatte nicht nur die Zukunft der Pathologie erleichtert, sondern eben auch, dass man nicht scheintot begraben wird. Heute kann man das EKG (Elektrokardiogramm, d. Red. ) ableiten oder Gehirnströme, das konnte man früher nicht. Und dann hat man in der Mitte des 18 Jahrhunderts die Elektrizität als neue Größe kennengelernt. Aber man hat sie noch nicht erklären können, man hat sie nur als Phänomen beobachten können. Man hat sie in unterschiedlichen Weisen an Lebenden ausgetestet.

Zum Beispiel?

Ruisinger: Kennt Ihr die elektrische Jungfrau? Da hat man mit einer Elektrisiermaschine eine hübsche junge Frau unter Strom gesetzt - also nicht, dass ihr etwas passierte! -, dann hat man einem Herren gesagt, er soll die Frau küssen. Dann hat er einen Schlag gekriegt. Aber auch in der Medizin wurde mit Strom geforscht, etwa mit Fröschen. Man wollte sehen: Funktioniert das an Menschen? Kann man Muskeln zum Zucken bringen bei einem Toten? Dann gab es eben die Experimente an Hingerichteten. Das ist dann auch ganz intensiv diskutiert worden - und das alles kannte Mary Shelley.

Denken Sie, dass es in der Zukunft möglich sein wird, Menschen wiederzubeleben, oder dass sie nicht mehr sterben?
Ruisinger: Wiederbeleben machen wir in einer gewissen Weise jetzt schon, durch die Defibrillation zum Beispiel. Durch Einsatz von Strom wird jemandem, der sonst sterben würde, das Leben wiedergegeben. Wir können uns das jetzt aber wissenschaftlich erklären, das hat nichts mit Magie zu tun. Mit einem Stromstoß bringt man einfach die Herzmuskelzellen wieder dazu, im Takt zu marschieren - und man lebt wieder. Aber ohne Defibrillator würde die Person sterben, insofern gehen wir schon in diese Richtung. Früher hätte man das auch nie gedacht. Ich denke da ganz pragmatisch: Sobald der Zersetzungsprozess angefangen hat, dann ist es aus.

Es gibt Menschen, die sich einfrieren lassen. Kann man sie irgendwann wiederbeleben?
Ruisinger: Es gibt genug Menschen, die es glauben, sonst würde es niemand machen. Glauben heißt nicht wissen, sagt man immer. Also im Moment weiß man noch nicht, wie es gehen soll. Aber man hat die Erfahrung gemacht, dass vieles möglich geworden ist, was man sich nicht hätte vorstellen können. Also will ich es nicht ausschließen.

Würden Sie es selbst machen?
Ruisinger: Nein, auf keinen Fall. Es ist moralisch eine Kategorie, bei der jeder für sich selbst entscheiden muss. Ich persönlich finde das unnatürlich und empfinde das auch als ein Armutszeugnis, wenn man so am Leben klammert. Wir sind ein Prozess von Werden und Vergehen und damit Teil der Natur.

Das Gespräch führten Felix Unterholzner, Philipp Eberle, Johannes Frey, Sascha Depner und Daniel Schmidl.