Ingolstadt
"Bunt und laut, trotz Krise"

Über 400 Menschen demonstrieren am zweiten Christopher Street Day friedlich für sexuelle Toleranz

13.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:07 Uhr
Über 400 Menschen versammelten sich am Sonntagnachmittag trotz Hitze auf dem Theaterplatz, um den zweiten Christopher Street Day in Ingolstadt zu feiern. −Foto: Stephan

Ingolstadt - Die über 400 Menschen am Theaterplatz waren am Sonntagnachmittag vor allem eines: bunt.

Und zwar nicht nur angesichts ihrer Regenbogenfahnen, sondern auch in ihrer sexuellen Orientierung. Sie demonstrierten am zweiten Christopher Street Day (CSD) in Ingolstadt friedlich für Toleranz und Selbstbestimmung.

Ein Wort fällt auffällig oft: Sichtbarkeit. "Es geht ganz klar darum, auch in Corona-Zeiten sichtbar zu bleiben", erklärt beispielsweise Manuela Häusler, Vorstandsvorsitzende des veranstaltenden Vereins Queer Ingolstadt, warum der CSD heuer trotz der Pandemie stattfindet. "Es kommt nicht darauf an, ob 100 oder 1000 Menschen gekommen sind", bestätigt der Schirmherr, Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD).

"Sie setzen ein Zeichen und werden sichtbar. " Und die Besucherinnen Simone und Brigitte Alt finden es als homosexuelles Paar wichtig, "uns als Betroffene sichtbar zu machen", sagen sie. Normalerweise gehe die queere Gemeinschaft in Ingolstadt etwas unter.

Am CSD dagegen überhaupt nicht - und damit haben die über 400 vor allem jungen Menschen trotz der Hitze ihr Ziel erreicht: "Bunt und laut, trotz Krise", steht auf einem Banner hinter der kleinen Bühne, auf der am Sonntag zahlreiche Redner diverser Gruppen und Parteien für die Rechte der "Regenbogen-Community" kämpfen, nachdem tags zuvor bereits eine Warm-up-Party im Klenzepark stattgefunden hat.

Da ist zum Beispiel Steffi Kürten (Grüne), die als homosexuelle Frau ihren Einzug in den Stadtrat als Erfolg bezeichnet. Gleichzeitig ärgert sie sich aber, dass sie ihren eigenen Sohn adoptieren musste, um als Mutter anerkannt zu werden. Der OB erhält Applaus für seine Aussage, dass jeder - egal welcher Hautfarbe oder welcher sexuellen Orientierung - willkommen sei. "Die Stadt wird erst bunt durch die Menschen, die in ihr leben! " Eine Vertreterin der Fridays-for-Future-Bewegung merkt aber auch an: "Es ist erschütternd, dass es im 21. Jahrhundert immer noch Demonstrationen für freie Liebe geben muss. "

Es geht also um Erfolge und Niederlagen. Um das Recht homosexueller Menschen, in Deutschland endlich heiraten zu dürfen, und die Wut, als "Regenbogenseuche" bezeichnet zu werden. Um rechtliche Anerkennung und das Verbot für homosexuelle Männer, Blut spenden zu dürfen. Um die Abschaffung der Konversionstherapie oder darum, wie lange queere Menschen - darunter homo-, bi- und transsexuelle Menschen, inter- und asexuelle Personen, Transgender und jene mit weiteren Geschlechtsidentitäten - auf Beförderungen warten müssen.

An dieser Stelle hakt das Queer@Audi-Team ein. "Wir wollen Flagge zeigen, auch für unser Unternehmen", sagt Diversity-Managerin Antonia Wadé im Gespräch mit dem DK. Als einer der größten Arbeitgeber in Ingolstadt sei es wichtig, das Thema Vielfältigkeit unvoreingenommen anzugehen: "Im Arbeitsumfeld sind viele immer noch ungeoutet. " Der Bühnenbeitrag mehrerer Mitglieder des Teams wird später mit großem Jubel honoriert.

Die Regenbogenfarben sind nicht nur auf Dutzenden Fahnen zu sehen, sondern auch auf Socken und Hosenträgern, Sonnenbrillen und Fächern, Mund-Nasen-Masken und auf den Arm gemalt. Eine Flagge haben einige Freundinnen aus Ingolstadt und Vohburg bei sich, die während einer Showeinlage von Dragqueen Shirin Thunder fröhlich tanzen. "Ich bin noch nicht geoutet", sagt eine der jungen Frauen selbstbewusst. "Aber ich würde sagen, dass ich auf Frauen stehe. " Sie kämpfe heute für Gleichberechtigung. Die Anwesenheit des OB zeige, dass sie politisch gesehen in der richtigen Stadt dafür lebt. "Ich bin froh, so frei sein zu dürfen. "

In anderen Ländern ist das beileibe nicht so. Oft wird an diesem Tag die Situation in Osteuropa angesprochen, wo queere Menschen häufig strafrechtlich verfolgt werden. Auch in Deutschland verschärfe sich die Situation wieder durch die Hetze von Populisten. Einer der Redner nennt die Ingolstädter AfD-Stadträte in diesem Zusammenhang namentlich. "Unsere Gesellschaft darf solche Strömungen nicht hinnehmen", ruft zuvor auch OB Scharpf und fordert: "Wir müssen uns gegen Gewalt und Intoleranz einsetzen. "

Einer, der das im grauen Rüschenmantel an diesem Tag ganz offen macht, ist der Nürnberger Grünen-Stadtrat Uwe Scherzer, der als queere Aktivistin und Dragqueen Uschi Unsinn auftritt. Oder die Grünen-Landtagsabgeordnete Tessa Ganserer als erste Abgeordnete in Deutschland, die sich öffentlich als Transgender-Person geoutet hat. Aber auch die 17-jährige Ingolstädterin Alexa Boinski, die gekommen ist, "um zu zeigen, wie viele der Community eigentlich angehören". Sie ist der Meinung, "dass jeder in der Gesellschaft akzeptiert werden sollte, egal, welcher Sexualität er angehört". Sie ist damit nicht alleine auf dem Theaterplatz.

DK

Tanja Stephan