Ingolstadt
Zweites Konjunkturpaket als Rettung?

Als Folge der Corona-Krise: Gewerkschafter befürchten Kündigungswelle im Herbst und fordern weitere Hilfen

20.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:39 Uhr
  −Foto: Brandl

Ingolstadt - Wie die Gewerkschaften unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt in Ingolstadt und Umgebung einschätzen, diese Frage war Schwerpunktthema einer Zusammenkunft von Gewerkschafts- und Medienvertretern, die der DGB für die Region Oberbayern traditionell im Sommer anberaumt.

 

Dabei glaubt der DGB, dass die Folgen der Viruspandemie erst im Herbst ihre volle Wirkung auf dem Arbeitsmarkt entfalten könnten - wenn es nach der Sommerpause zu einer größeren Kündigungswelle, etwa in der Metallindustrie, käme, wie Bernhard Stiedl, Vorsitzender des DGB-Stadtverbandes es in seinen Ausführungen formulierte. Vor allem am Industriestandort Ingolstadt würden sich die Arbeitnehmervertreter mit zwei großen Herausforderungen konfrontiert sehen, so der Gewerkschafter. Neben der Überwindung der Krise müssten die digitale Transformation sowie der Wandel hin zur Elektromobilität in der Autoindustrie von Unternehmen wie Beschäftigten gleichermaßen bewältigt werden. Schon jetzt verzeichne man in Ingolstadt, Stand Juli 2020, einen Zuwachs bei der Arbeitslosenquote von 1,5 Prozent, so Stiedl. Eine zweite Corona-Welle und ein womöglich drohender erneuter Lockdown würden diese Zahlen weiter dramatisch verändern. "Für diesen Fall fordern wir ein zweites Konjunkturprogramm im Herbst", sagte Stiedl, der zugleich betonte, der Staat habe bisher mit seinen Hilfen richtig gehandelt. Auch die Betriebsräte in den Firmen hätten einen "tollen Job" gemacht, ergänzte er. Lediglich in der Automobilindustrie springe das aufgelegte Konjunkturprogramm zu kurz, fand er. Er halte deshalb eine staatliche Impulsprämie auch für Pkw mit Verbrennungsmotoren für notwendig. Um Beschäftigung langfristig zu sichern, sei Arbeitszeitverkürzung in jeglicher Form der richtige Weg, so Stiedl weiter. Er forderte für die IG Metall in der kommenden Tarifrunde deshalb die Option auf die Vier-Tage-Woche mit einem Teillohnausgleich - eine Forderung, die auch Tamara Hübner, zweite Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt, unterstrich. Die Arbeit würde sich schon jetzt verkürzen, stellte sie fest, hob jedoch zugleich hervor, dass die Beschäftigungssicherung für die Beschäftigten in der IG Metall dank starker Strukturen in den Betrieben durchgesetzt werden konnte.

Auch die anderen Vertreter der einzelnen Gewerkschaften kamen zu Wort. Steffi Kempe, die Bezirksgeschäftsführerin der Dienstleistungsgewerkschaft Ver. di Ingolstadt, hofft auf eine "gute Tarifrunde" im Öffentlichen Dienst, wie sie sagte. Die Umsetzung der Kurzarbeit sei insgesamt differenziert zu betrachten, so Kempe. Probleme bei der Umsetzung habe es im Bereich Speditionen gegeben. Aus dem Öffentlichen Dienst wiederum berichtete sie von positiven Beispielen.

Ähnliches vermeldete Rainer Reißfelder von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Während die Kurzarbeit etwa in Betriebskantinen gut funktioniert habe, sei es "in der Kleingastronomie drunter und drüber gegangen", weil es dort kaum Betriebsräte gebe. Steueroptimierte Bruttolöhne hätten hier zu einem Kurzarbeitergeld geführt, das kein Leben ermöglichen würde, so Reißfelder. Im Bereich Nahrung dagegen habe eine "überdimensionale Arbeitslage" geherrscht. Es habe hier so gut wie keine Kurzarbeit gegeben. Er vermisse hier allerdings "vernünftige Lohnverhandlungen".

 

Positives konnte auch Thomas Ruckdäschel von der IG Bau berichten. Die Baubranche verzeichnet demnach über vier Prozent mehr Beschäftigung. Der Zuwachs werde von den Folgen der Krise auch nicht aufgezehrt, so Ruckdäschel, der nun auf einen erfolgreichen Ausgang der Schlichtungsgespräche bei den Tarifverhandlungen hofft.

Die Turbotransformierung war ein Thema für Markus Hautmann von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Er mahnte mehr Mitbestimmung für die Beschäftigten beim Wandel an.

Gabriele Gabler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ging auf die Verhältnisse in Schulen und Kitas ein. Sie sprach von "teilweise seltsamen Maskenregeln" für das Personal, kritisierte die offenbar zunehmende "Deprofessionalisierung" bei der Einstellung von Assistenzlehrern und erneuerte vor dem Hintergrund der Corona-Krise die Forderung der GEW nach ersten Klassen mit einer Stärke von nicht mehr als 14 Schülern.

Eduard Seitz vom Ortsverband der Eisenbahnergewerkschaft EVB, sagte, die Krise habe die Bahn im Fahrgastbereich schwer getroffen. Im Bereich des Güterverkehrs habe es jedoch aufgrund voller Arbeitszeitkonten keine Kurzarbeit gegeben. Er forderte, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, um den wegen der Krise zunehmenden Pendelverkehr auf den Straßen zu entlasten.

Günter Zellner, Regionalgeschäftsführer des DGB Region Oberbayern, erinnerte in seinem Schlusswort daran, dass das Kurzarbeitergeld quasi eine Versicherungsleistung für Gewerkschaftsmitglieder und keine staatliche Leistung sei. Damit seien Massenentlassungen verhindert worden. Seine Forderung: Vor allem Besserverdienende müssten jetzt ihren Beitrag zur Überwindung der Krise leisten. Außerdem, so Zellner weiter, müssten die Sozialversicherungssysteme ausgebaut werden. In der Krise habe sich gezeigt, wie gut diese funktionierten.

DK

Michael Brandl