Ingolstadt
Reifeprüfung in der Krise

Wie Ingolstädter Gymnasiasten sich in Zeiten des Coronavirus aufs Abitur vorbereiten

06.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:31 Uhr
Auch die Ungewissheit, wie es weitergeht, macht Michael Brandstetter, der bald sein Abitur machen will, zu schaffen. −Foto: privat

Ingolstadt - Es hätte eine ganz besondere Zeit werden sollen: der Sommer nach dem Abitur.

 

Sie wollten ins Studium starten, eine WG suchen, sie haben Feste organisiert und Reisen geplant. Wie es nach dem Schulabschluss für die Abiturienten weitergehen kann, bleibt in Zeiten der Corona-Krise ungewiss. Dass das Abitur nun doch stattfinden wird, haben die Kultusminister der Länder Ende vergangener Woche entschieden. Das hat für Zustimmung, aber auch für Frust gesorgt. Schüler aus Ingolstadt erzählen, wie es ihnen mit dem Beschluss geht.

Katharina Streller ist 17 Jahre alt und besucht die 12. Klasse des Katharinen-Gymnasiums. Sie findet die Entscheidung, das Abitur stattfinden zu lassen, richtig: "Wenn keine Prüfungen geschrieben werden, würde es mir schwerfallen zu behaupten, dass ich das Abitur geschafft habe. " Es sei für sie eine Frage des Stolzes, die Prüfungen zu absolvieren.

Michael Brandstetter, 18 Jahre alt, vom Reuchlin-Gymnasium, sieht das ähnlich: "Ein Schulende ohne ,richtiges' Abitur würde für mich schon einen gewissen Minuspunkt im Leben darstellen. " Lieber solle das Abi also zu einem verschobenen Zeitpunkt geschrieben werden als gar nicht.

Aber die neuen Termine für das Abi liefern erneut Stoff für Diskussionen. Einige Bundesländer verschieben die Prüfungen, in Bayern vom 30. April auf den 20. Mai. Katharina Streller sieht es kritisch, die Prüfungen um nur drei Wochen nach hinten zu verlegen: "Man ist fünf Wochen nicht in der Schule, muss danach innerhalb von drei Wochen Klausuren nachholen und anschließend Abitur schreiben. " Das sei viel zu wenig Zeit, um auch den selbst erlernten Stoff noch einmal mit Lehrern zu besprechen.

 

Vor allem von Seiten der Schüler wird die Kritik in den sozialen Medien lauter. Die Vorbereitungen auf die Prüfungen litten durch den Schulausfall, unter diesen Umständen könne man gar nicht richtig lernen. Vermehrt kritisieren auch Lehrer den Entschluss. Einige zweifeln an den Sicherheitsvorkehrungen, äußern Bedenken wegen möglicher Ansteckungsgefahr bei den Prüfungen.

Mona Vasiu, 17 Jahre alt, ist in der Oberstufe des Reuchlin-Gymnasiums. Sie sieht die Situation ebenfalls kritisch: "Unter gewöhnlichen Prüfungsbedingungen sind viele Schüler in einer Turnhalle. Das erhöht die Gefahr einer Ansteckung. " Katharina Streller und Michael Brandstetter machen sich wegen der gesundheitlichen Risiken dagegen weniger Sorgen. Sie vertrauen auf die Rahmenbedingungen, wie etwa das Einhalten der Sicherheitsabstände.

In Hamburg haben Abiturienten in einer Onlinepetition ein so genanntes Durchschnittsabitur gefordert, das nur auf Basis der bereits erbrachten Noten vergeben wird. Um die Note zu verbessern, sollen auf Wunsch mündliche Prüfungen - zum Beispiel per Videoanruf - abgelegt werden. Die Petition haben schon mehr als 131 100 Menschen unterzeichnet (Stand: Dienstag).

Auch bei diesem Thema scheiden sich die Geister. Mona Vasiu hält den Vorschlag für eine faire Alternative, zumindest, wenn der Unterricht nach den Osterferien nicht wie geplant weitergehen kann. Michael Brandstetter, der ebenfalls die 12. Klasse des Reuchlin-Gymnasiums besucht, ist anderer Meinung. "Auf ein Durchschnittsabi oder ähnliches zu setzen, halte ich nicht für richtig. " Viele Abiturienten nutzten die verlängerte Vorbereitungszeit nun auch, um produktiv zu lernen. Denn für einige biete die Abiturprüfung die Möglichkeit, den Gesamtnotendurchschnitt noch einmal zu verbessern, sagt Michael Brandstetter.

 

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, steht hinter der gemeinsamen Entscheidung der Länder, auf ein Durchschnittsabitur zu verzichten und die Prüfungen stattfinden zu lassen. In einem Gespräch mit der "Tagesschau" sagt er: "Der Verzicht auf Abiturprüfungen hätte für eine noch größere Ungerechtigkeit gesorgt. " Einige wollten sich mit den Prüfungen verbessern, in der Regel fielen diese aber schlechter aus als die vorher erbrachten Noten. So sind laut Meidinger Abiturienten, die keine Prüfung schreiben müssen, eher im Vorteil - auch den vorherigen Jahrgängen gegenüber. Er sagt: "Wir werden nicht die totale Gerechtigkeit haben, aber jetzt haben wir wenigstens wieder mehr Verlässlichkeit. "

Und so bleibt den Schülern derzeit nichts anderes übrig, als sich in ihrem Homeoffice fleißig vorzubereiten. Die drei Ingolstädter kommen damit gut zurecht, haben aber trotzdem Schwierigkeiten, den Stoff selbst zu erarbeiten. Was ihnen hilft, ist vor allem der Kontakt zu den Lehrern und zu anderen Klassenkameraden. Michael Brandstetter sagt: "Ich finde, dass die Kommunikation einfach am wichtigsten ist. " Neben Lernvideos und Online-Konferenzen mit den Lehrern helfe auch der Austausch mit Freunden: "Man braucht auf jeden Fall auch mal Ablenkung vom Lernen daheim und der ganzen Krisensituation. "

An die Zeit nach den Prüfungen denken die Abiturienten mit gemischten Gefühlen. Mona Vasiu sagt: "Meine Freude, die Schule dann beendet zu haben und den nächsten Schritt zu gehen, ist nach wie vor da. " Trotzdem hat sie auch die Sorge, was aus ihren Plänen und der gemeinsamen Zeit mit Freunden wird. Da ist zum Beispiel der gebuchte Urlaub, der eine Belohnung für die letzten zwölf Jahre sein sollte. "Falls Corona unseren Alltag bis dahin immer noch so bestimmt wie jetzt, fallen diese Pläne wohl ins Wasser. "

Michael Brandstetter hatte vor, im Herbst für einige Monate ins Ausland zu gehen: "Aufgrund der aktuellen Situation weiß ich nicht, ob das möglich sein wird. " Auch sei er ziemlich ratlos, ob ein Studienbeginn im Oktober überhaupt funktionieren könnte. "Dieser Umstand und die damit verbundene Ungewissheit gehen mir jeden Tag durch den Kopf. Auf die Zeit nach dem Abitur freue ich mich aber auf jeden Fall, auch wenn es schwierig wird, das Gymnasium zu verlassen. "

DK

Laura Csapó