Ingolstadt
Monatelang umsonst gearbeitet

Reisebüros sind beschäftigt mit Stornierungen, Umbuchungen und Kundenbetreuung - aber verdienen nichts

07.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:35 Uhr
So schön könnte es sein, jetzt in Italien oder an Griechenland am Strand zu liegen. Das Reisebüro von Sigrid Mayr in der Dollstraße weckt mit seiner lustigen Schaufenstergestaltung Fernweh. Doch momentan weiß keiner, wann Reisen wieder erlaubt ist. Schwere Zeiten für die Branche. −Foto: Eberl

Ingolstadt - In vielen der insgesamt 21 Ingolstädter Reisebüros herrscht seit Wochen Corona-Stress pur.

 

Zeit für ein Interview? Jetzt nicht. Hinter verschlossenen Türen oder im Home-Office sind Mitarbeiter mit Stornierungen, Rückholung gestrandeter Urlauber und Aufklärung beschäftigt. Viel Arbeit. Aber nichts verdient.

Susanne Fricker weckt normalerweise Reiselust. Die Ingolstädterin arbeitet seit Jahrzehnten in dem Familienunternehmen, das ihre Großeltern 1952 gegründet haben und das jetzt ihr Bruder leitet: das Reisebüro Schuierer in der Sauerstraße. Doch wie lange wird es noch überleben in Zeiten von Corona? Fricker ist inzwischen arbeitslos und ungefähr so mies drauf wie ein Malle-Rentner nach sechs Wochen Dauerregen. In ihrem Frust hat sie einen Brandbrief an den DK geschrieben, um Alarm zu schlagen. "Wir schuften seit Monaten umsonst. Denn wir arbeiten rein auf Provisionsbasis und verdienen nur Geld, wenn der Kunde reist. Aber kann man im Moment guten Gewissens Buchungen vornehmen für Juli? Es gibt keine Antworten. "

Fürchterlich sei die Lage der Reisebüros, sagt die Urlaubsspezialistin. Katastrophen wie 9/11 oder der Tsunami von 2004 hätten partiell Länder betroffen. "Aber so etwas wie jetzt hat es noch nie gegeben. " Fricker schätzt: "60 Prozent der inhabergeführten Reisebüros werden hops gehen. "

Der Umsatzausfall bei den deutschen Reiseveranstaltern und Reisebüros summiert sich nach Hochrechnungen des Deutschen Reiseverbandes (DRV) alleine von Mitte März bis Ende April auf mehr als 4,8 Milliarden Euro. Reisen werden storniert, Veranstalter müssen das Geld an die Kunden zurückzahlen, Kunden zögern mit Neubuchungen.

Das betrifft auch die Reisebüros in Ingolstadt - so wie Stanglmeier Touristik. "Wir haben alles komplett heruntergefahren und unsere Mitarbeiter seit 10. März in Kurzarbeit geschickt", sagt Simone Stanglmeier, Chefin von drei Reisebüros und selbst Reiseveranstalter. Die Hauptbuchungszeiten seien im Winter, im März oder an Ostern starte normalerweise die Reisezeit. "Doch es ist, als hätten wir uns schon vor dem Startschuss zum 100-Meter-Lauf den Fuß verknaxt. Alles, was wir im vergangenen halben Jahr gearbeitet haben, ist weg. Wir arbeiten seit Monaten doppelt so viel, aber völlig umsonst", so Stanglmeier.

Ohnehin sei die Branche krisengeschüttelt nach den Pleiten verschiedener Airlines oder von Thomas Cook. "Unserer Margen sind nicht die höchsten, und es ist ein ständiger Kampf mit den großen Veranstaltern," so Stanglmeier. Die holten sich jetzt die Staatsgelder und die Provisionen zurück von den Reisebüros. "Aber wer kümmert sich weiter um die Kunden? ", fragt die Unternehmerin. "Wir sind für sie da. Aber für nix. "

Auch in dem auf Kreuzfahrten spezialisierten Unternehmen Master Travel gibt es viel zu tun - Stornierungen und Umbuchungen. "Aber unsere Kunden reisen gern", meint Sven Erfurth mit einem Schuss Optimismus. "Wir sind zuversichtlich, dass die Reiselust zurückkehrt. Die Frage ist aber, wann? "

 

Heidi Deppner betreibt ein mobiles Reisebüro von daheim aus. "Auch ich bekomme zurzeit nichts mehr für meine geleistete Arbeit. In erster Linie geht es jetzt darum, die Leute zu beruhigen, damit niemand in Panik gerät. " Zum Beispiel betreue sie eine komplette Hochzeitsgesellschaft - die Feier soll im August in der Türkei stattfinden. "Viele Kunden sind verunsichert. Bis 30. April kann man kostenfrei stornieren, und solange das Auswärtige Amt von Reisen abrät, hat man gute Chancen, sein Geld zurückzukriegen", meint Deppner. "Aber irgendwann wird den Unternehmen auch mal das Geld ausgehen. "

Auch Belgin Tacir vom Atlantis Reisecenter hat schon zwei Leute in Kurzarbeit geschickt. "Was wir für Ostern, Pfingsten und den Sommer gebucht hatten, fällt alles weg. " Viele Veranstalter würden Gutscheine und Umbuchungen anbieten. "Aber damit sind die meisten Kunden nicht einverstanden, weil sie ja nicht planen können. "

Sie selber könne die Lage ja auch nicht einschätzen. "Vielleicht können wir Pfingsten noch retten - ansonsten sehe ich schwarz und kann den Laden zumachen", bangt die Reiseverkehrsfachfrau, die bei Atlantis ihre Ausbildung absolviert und das Reisebüro vor drei Jahren übernommen hat. Immerhin verzichte der Vermieter auf die Hälfte der Miete. "Für Strom, Telefon und andere feste Ausgaben habe ich eine Stundung beantragt. Wie lange die Soforthilfe reicht, weiß ich nicht. "

Susanne Fricker vom Reisebüro Schuierer ärgert sich zudem über ein grundsätzliches Problem: "Wir führen stundenlange Beratungsgespräche - und dann bucht der Kunde seine von uns mühevoll ausgearbeitete Reise schnell mal im Netz. Nur um ein paar Euro zu sparen. "Ist denn unsere Beratung gar nichts mehr wert? "

Die Urlaubsexpertin wünscht sich, dass die Menschen wieder mehr die Schönheit eines Landes, die einzigartigen Menschen und deren Kulturen schätzen, anstatt Schleuderpreise und eine gute Wlan-Verbindung in den Vordergrund zu stellen.

Die Reisebranche werde sich komplett verändern, vermutet Simone Stanglmeier. "Viele Unternehmen werden nicht mehr aus der Krise kommen, denn der Preiskampf war bisher schon immens. " Auch sie hofft auf einen Bewusstseinswandel. "Viele Menschen schätzen ihren Urlaub gar nicht mehr. Aber muss es sein, dass man mit 19 Euro nach Mallorca fliegt? Ist das noch der Sinn des Reisens? Vielleicht wird das Reisen nach der Corona-Krise wieder ein Luxusgut. "

DK