Ingolstadt
Kurzarbeit: Segen und Fluch zugleich

IGM und NGG fordern Aufstockung durch Arbeitgeber auf breiter Basis - Noch keine konkreten Zahlen der Agentur

17.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:32 Uhr

Ingolstadt - Sie war bereits in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren der Rettungsanker, und sie soll auch jetzt, zu Corona-Zeiten, ungezählte Arbeitsplätze in der angeschlagenen Wirtschaft erhalten: An die Kurzarbeit und die damit verbundenen Unterstützungsleistungen der Agentur für Arbeit klammern Politik und Unternehmen große Hoffnungen.

Allerdings spüren betroffene Arbeitnehmer nun auch teils deutliche Einschnitte im Portemonnaie.

60 Prozent des letzten Monatsnettoeinkommens (bei Familienanhang bis zu 67 Prozent) sind über die Stütze aus dem Etat der Bundesanstalt für Arbeit maximal drin - da kann es vor allem in Regionen mit hohen Lebenshaltungskosten schon eng werden. Und Ingolstadt und sein Umland sind eine solche Hochpreisregion.

Die örtliche IG Metall und auch die Gewerkschaft NGG für die Hotel- und Gastronomiebranche haben deshalb diese Woche Alarm geschlagen und Aufstockungen des Agenturbetrages durch freiwillige Leistungen der Arbeitgeber auf breiter Front gefordert. In einigen hiesigen Großbetrieben der Metall- und Elektroindustrie, allen voran Audi, sind der IGM über die Betriebsräte bereits solche Vereinbarungen geglückt. Doch in kleineren Unternehmen, in denen der Organisationsgrad der Belegschaften geringer ist, können die Metaller weit weniger Druck aufbauen - und Kurzarbeiter müssen sich dort meistens mit den Leistungen der Arbeitsagentur begnügen.

Das gilt erst recht für andere Branchen, zum Beispiel für weite Teile des Einzelhandels. Dass in inhabergeführten kleineren Läden, die jetzt geschlossen sind, vom Arbeitgeber aufs Kurzarbeitergeld aufgesattelt wird, dürfte die absolute Ausnahme sein. Die zuständige Gewerkschaft Verdi geht jedenfalls nicht von vielen freiwilligen Leistungen aus, wie Bezirksgeschäftsführerin Steffi Kempe erklärt: "Bei den Kleineren wird es sehr schwierig. " Immerhin hat sie davon gehört, dass einzelne größere Handelsketten mit höherem Organisationsgrad mit ihren Betriebsräten Vereinbarungen über Aufstockungen geschlossen haben sollen. Ein genaues Bild zu Filialbetrieben in der Stadt gibt es aber nicht.

Die IG Metall nennt für die Vereinbarungen in den von ihr betreuten Großbetrieben eine durchschnittliche Aufstockung um 24,8 Prozent. Das bedeutet, dass der Eigenanteil der Unternehmen längst nicht in jedem Fall so hoch ist wie bei Audi, wo Aufstockungen bis zu 95 Prozent der ursprünglichen Nettozahlungen erzielt werden konnten. Allerdings gibt es laut IGM auch einen Betrieb, der auf 100 Prozent aufstockt. Teils gelten in den größeren Metallbetrieben aber auch noch ältere Vereinbarungen zur Kurzarbeit, die jetzt also nicht neu verhandelt worden sind.

Zum jetzigen Zeitpunkt konkrete Zahlen zur Kurzarbeitslage in der Stadt zu bekommen, ist praktisch unmöglich. Obwohl die regionale Agentur für Arbeit in ihrem jüngsten Monatsbericht von rund 3000 Anträgen von Unternehmen im Laufe der zweiten Märzhälfte sprach, sind auf Stadt und Landkreise heruntergebrochene aktuelle Werte derzeit nicht zu haben. Wie auf DK-Anfrage aus der Agentur verlautete, gilt dort derzeit die volle Aufmerksamkeit der Abarbeitung der Anträge und (noch) nicht der statistischen Aufbereitung. Die werde mit einigen Wochen Verzug anhand der Abrechnungen in den Einzelfällen erfolgen. Womöglich, so hieß es, könnten Anfang Mai erste verlässliche Fallzahlen für März genannt werden.

Die IG Metall bezifferte die Zahl der Kurzarbeiter in den von ihr betreuten Branchen Metall, Elektro, Textil und Transport jetzt auf rund 20000 - allerdings bezogen auf die gesamte Region (Stadt und umliegende drei Landkreise).

Dass der Arbeitsanfall in der Agentur enorm ist, steht außer Frage. Die mit der Corona-Krise in die Wirtschaft geschwappte Verunsicherung wird seit Wochen auch in den Industrie- und Handelskammern verspürt, wo sich viele Unternehmer jetzt Rat und Hilfe holen. Die Beratertätigkeit im örtlichen Informations- und Servicecenter in Zusammenhang mit Förderanträgen für Hilfsprogramme, aber auch zur Prävention in Sachen Corona sei gewaltig, betont die Leiterin der Ingolstädter IHK-Geschäftsstelle, Elke Christian. Auch die IHK hat aber keine Fallzahlen zur Kurzarbeit in den hiesigen Betrieben zur Hand.

Was Gewerkschaften und Kammer gegenwärtig gleichermaßen etwas Sorge bereitet, das ist der Ausbildungsmarkt. Auch er wird von der Corona-Krise betroffen, denn viele Unternehmen haben auch ihre Lehrlinge nach Hause geschickt, wo sie aber oft bestenfalls ihre Berufsschulaufgaben abarbeiten können. Welche Auswirkungen der Shutdown für die heuer anstehenden Berufsabschlüsse haben wird, ist noch nicht in jedem Fall ersichtlich. "Die Azubis sind für uns ein großes Thema", sagt Tamara Hübner, 2. Bevollmächtigte der Ingolstädter IG Metall. Sie befürchtet, dass gerade kleinere Lehrbetriebe aus einem längeren Durcheinander in der Krise die falschen Schlüsse ziehen könnten: "Da könnten Ausbildungsplätze wegbrechen. "

An solchen Spekulationen möchte sich die IHK nicht beteiligen. Dennoch appelliert Elke Christian an den Weitblick der Unternehmer: "Ausbildung ist immer Investition in die Zukunft. " Sie könne keiner Firma raten, angesichts des schon länger herrschenden Fachkräftemangels ausgerechnet im Lehrbetrieb zu sparen. Ein Neustart nach der Krise biete der Wirtschaft generell die Chance zu einer Neuorientierung und Konsolidierung. Danach werde sich zeigen, welcher Unternehmer strategisch die richtigen Weichenstellungen vorgenommen habe - auch in Sachen Ausbildung.

DK