Ingolstadt
Ingolstadt soll coronafreie Stadt werden

Versorgungsarzt: Gut durchgeplant, könnten im Orbansaal täglich mehrere Hundert geimpft werden - Kritik an Ministeriums-Prämie

30.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:45 Uhr
Viele Ingolstädter sollen im neuen Impfzentrum im Orbansaal gegen SARS CoV-2 immunisiert werden. −Foto: dpa-Bildfunk

Ingolstadt - Die Diskussion um das ab 15. Dezember zur Verfügung stehende städtische Impfzentrum ist in vollem Gange. Ist der 220 Quadratmeter große Orbansaal im Canisius-Konvikt der richtige Ort, um möglichst viele Ingolstädter gegen SARS CoV-2 zu immunisieren?

 

Will man tatsächlich "nur" 250 Menschen pro Tag impfen, wie von der Stadt am Freitag als eine erste Größenordnung angegeben? Wer wird überhaupt geimpft? Ab wann? Von wem? Und kommt vielleicht am Ende doch die Impfpflicht? Fragen über Fragen beschäftigen die Ingolstädter zu dem Thema nicht nur in den sozialen Netzwerken.

Ex-Stadtrat Robert Bechstädt übt sich in Mathematik. "Geht man davon aus, dass sich 100000 der fast 140000 Ingolstädter, also gut 70 Prozent, gegen Corona impfen lassen wollen, so würde man bei einer Impfkapazität im Orbansaal von 250 Impfungen am Tag, ausgehend von zwei Impfterminen pro Patienten, mehr als drei Jahre brauchen, bis die 100000 Ingolstädter den Impfschutz gegen Corona erhalten hätten", schreibt er als "Leserbrief" an den DK. Ingolstadt, meint er, brauche ein Impfzentrum, an dem 2000 Impfungen pro Tag zu schaffen wären. Dann wären, wenn man ab Mitte Dezember beginnt, bis Ende Mai nächsten Jahres 100000 Ingolstädter geimpft. "Das wäre ein erstrebenswertes Ziel", sagt der ehemalige SPD-Stadtrat, der sich als Standorte für ein solches Impfzentrum die Saturn-Arena, den Audi-Sportpark oder den Veranstaltungsraum in der Halle B von Audi im GVZ vorstellen kann.

Wohl von ähnlichen Rechnungen im Netz alarmiert, hat Stadtsprecher Michael Klarner am Montag seine Aussagen zum Impfzentrum vom Freitag konkretisiert. "Selbstverständlich könnte, abhängig von der Verfügbarkeit des Impfstoffs, die Kapazität des örtlichen Impfzentrums kurzfristig und flexibel über weitere Impfteams erhöht werden", teilt er am Montagvormittag mit. Die Kapazitäten seien abhängig von der Verfügbarkeit des Impfstoffs, eine Erhöhung bei Bedarf jederzeit möglich, so Klarner. Nach der nationalen Impfstrategie sei die Impfung der Bevölkerung in zwei Phasen vorgesehen: In der ersten könnten sich Risikogruppen und exponierte Teile der Bevölkerung wie Krankenhauspersonal impfen lassen. Diese Impfungen werden in den Impfzentren durchgeführt. In der zweiten Phase stehe die Impfung der Gesamtbevölkerung offen. Geimpft werde dann, sobald ein oder mehrere Impfstoffe großflächig verfügbar seien, über die niedergelassenen Ärzte. "Es sollen nicht alle im Orbansaal geimpft werden", stellt Klarner klar.

Der Impfstoff wird zentral über den Freistaat zur Verfügung gestellt. Auch, wenn noch nicht klar ist, wann er einsatzbereit sein wird, laufen bayernweit die Vorbereitungen für die örtlichen Impfzentren. Für Ingolstadt ist, wie berichtet, der Kreisverband des BRK von der Stadt als Dienstleister mit dem Aufbau des Impfzentrums beauftragt. Am 15. Dezember sollen Impfzentrum und mobile Teams einsatzbereit sein.

Ob der Orbansaal der optimale Standort fürs Impfzentrum ist, lässt Siegfried Jedamzik, Versorgungsarzt der Kassenärztlichen Vereinigung für Ingolstadt, im DK-Gespräch offen. "Bauchweh" bereite ihm die zum Saal führende Treppe, ein Problem für Gehbehinderte. Ein Aufzug sei zwar da, dürfe wegen Corona aber nur von einer Person genutzt werden. Grundsätzlich sei der Saal aber für diesen Zweck geeignet. Gut durchgeplant könne man hier täglich mehrere hundert Menschen durchschleusen. Und wenn eine größere Zahl an Impfungen erforderlich sei, könne man einen zweiten Standort dazunehmen. Etwa 20 bis 30 Ärzte hätten sich bereits für den Dienst gemeldet. Um weitere Mediziner fürs Impfzentrum und die mobilen Teams zu gewinnen, haben Jedamzik und der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes Ingolstadt-Eichstätt, Carsten Helbig, über den Verband die Ärzte angeschrieben. In Seniorenheimen könnten Ärzte impfen, die die Bewohner auch sonst versorgen, betont Hausarzt Anton Böhm.

"So wie es jetzt läuft, kann es nicht weitergehen", sagt Jedamzik. Man müsse die Infektionszahlen herunterkriegen. Sein Ziel: "Ingolstadt als coronafreie Stadt". In den Impfzentren sei am wichtigsten die Vorbereitung. Und die richtige IT. Eine digitale Anamnese etwa würde Zeit sparen und sei nötig, um Vorerkrankungen schnell abzuklären. Die Impfung ist freiwillig. Die Corona-Warn-App dagegen sollte nach Meinung Jedamziks zwingend sein. Damit diese etwas bringe, müssten positive Befunde anonym direkt vom Labor in die App hochgeladen werden. Der Datenschutz dürfe nicht vor dem Gesundheitsschutz stehen.

Ein anderes heikles Thema hat den Arzt Anton Böhm veranlasst, zum wiederholten Mal einen Beschwerdebrief an die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml zu schreiben. Die Mitarbeiter ihres Ministeriums sollen im Dezember eine Extra-Corona-Zulage von 500 Euro für die große Arbeitsbelastung erhalten. Für die "an der Front" stehenden medizinischen Fachangestellten (MFA) in der hausärztlichen Versorgung, denen eine solche Zulage verweigert werde, "obwohl dort mindestens 80 Prozent der Covid-Positiven versorgt werden", sei dies "ein Hohn".

DK

 

 

Ruth Stückle