Ingolstadt
Hilfseinsatz an der Hacke

Weil rumänische Arbeiter wegen Corona ausfallen, packen Freiwillige mit an - für viele eine neue Erfahrung

07.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:35 Uhr
  −Foto: Johannes Hauser info@johannes-hauser-fotografie.de, Hauser, Johannes, Hauser, Johannes, Ing

Ingolstadt - Eigentlich sollte Ferdinand Waas gerade in Erbil sein. Er war eingeladen, sich im Norden des Irak mit einer Kunstinstallation an einem Kulturfestival zu beteiligen. Die Planungen liefen seit Oktober, das Visum war ausgestellt. Und nun: "Jetzt stehe ich auf diesem Erdbeerfeld", sagt der 21-Jährige, hebt die Arme und lacht.

 

Er ist freilich nicht der einzige, der angesichts der Corona-Pandemie seine Pläne ändern musste. Viele Landwirte plagt das existenzielle Problem, dass ihre osteuropäischen Erntehelfer nicht zur Verfügung stehen. Dabei lässt sich die Arbeit auf den Feldern nicht einfach aufschieben.

So müssen etwa die Erdbeerfelder des Auenhofs in Hundszell von Unkraut befreit werden. Der Einsatz von Gift ist in dem Biobetrieb freilich tabu und so baten die Landwirte über Aushänge, Soziale Medien und am eigenen Wochenmarkt-Stand um Unterstützung. Das Interesse war enorm. Rund 20 Helfer sind mittlerweile im Einsatz. Einer von ihnen ist Ferdinand Waas. Wenn er schon keine Kunst machen kann, will er wenigstens etwas Sinnvolles tun und nicht nur zu Hause rumsitzen. "Das Hacken macht den Kopf frei", sagt er. Und es eröffnet neue Horizonte. So merke er deutlich, dass die Arbeit an diesem sonnigen Nachmittag deutlich langsamer vorangehe als noch vor ein paar Tagen auf einem anderen Feld. "Der Boden ist zu trocken", erklärt der Student. Es habe zu lange nicht geregnet. Das sei ihm jetzt erst bewusst geworden. "In der Stadt habe ich mir sonst keine Gedanken über den Regen gemacht. "

Einige Schritte weiter - auch auf dem Erdbeerfeld gelten die aktuellen Abstandsregeln - hackt Andrea Harrer routiniert Unkraut. Normalerweise organisiert sie Workshops und Seminare für Unternehmen. "Alles, was man gerade nicht braucht. Ich habe mir gedacht, es kann einfach nicht sein, dass wir das gemeinsam nicht hinkriegen, nur weil keine Erntehelfer kommen", sagt sie. "Allerdings war es mir wichtig, auf einem Biohof mitzuarbeiten. "

Zwei Pflanzenreihen weiter hackt Yvonne Schäfer das Unkraut rund um die Erdbeerpflänzchen heraus. "Es ist eine fast meditative Arbeit", findet auch sie. Ihrem eigentlichen Job als Physiotherapeutin kann sie abgesehen von Notfällen derzeit nicht nachgehen. Zu nah käme sie an den Patienten. Ihre Motivation für die Arbeit auf dem Feld sei weniger die Bezahlung gewesen als der Wunsch, zu helfen. Sie könnte sich vorstellen, später bei der Ernte wieder mit anzupacken. Allerdings nur mit Handschuhen. "Ich bin nämlich allergisch gegen Erdbeeren. "

 

Stetig arbeiten sich die 20 Helfer über das Feld. Langsamer freilich als die Profis, die sonst hier helfen. "Die Leute sind sehr engagiert, aber natürlich geht es bei den rumänischen Helfern schon deutlich schneller", sagt Dorothee Niedzwetzki, die auf dem Auenhof arbeitet. Sie ist froh, dass sich auch einige ältere - sie selbst ist 57 - für die Arbeit gemeldet haben. "Die sind halt vielleicht manchmal doch ein bisschen ausdauernder", hat die gelernte Landschaftsgärtnerin erfahren.

Sie verweist auf Danuta Piatek, die seit Jahren auf dem Auenhof mithilft. Die 65-Jährige war früher Lehrerin und hat einfach "ganz großen Spaß" an der Arbeit auf dem Feld. Es sei doch völlig klar, dass man auch beim professionellen Unkrautjäten erst eine gewisse Routine entwickeln muss. Sie freue sich jedenfalls, dass so viele Leute gekommen sind, um mitzumachen.

Auch eine Österreicherin ist dabei. Vanessa Mariacher stammt aus Kitzbühel in Tirol, bekanntlich einem Corona-Hotspot. Die 23-Jährige studiert Landwirtschaftsarchitektur in Freising. Als das Virus und die Ausgangssperre kamen, entschied sie sich, zu ihrer Kommilitonin nach Ingolstadt in eine Art Quarantäne-WG zu ziehen. Auf der Facebookseite des Auenhofs haben sie den Aufruf zur Feldarbeit gelesen und sich gleich gemeldet. "Es ist schön, etwas Praktisches zu machen", sagt die Studentin. Es sei auch gut, rauszukommen und dabei anderen zu helfen. "Feldarbeit würde ich sonst wohl nie machen. " Normalerweise jobbt sie während ihres Studiums in einem Schwimmbad. Das hat nun freilich auch geschlossen.

Nach der Hälfte des vierstündigen Arbeitseinsatzes gibt es eine Pause. Kaffee und Kuchen werden verteilt, die Feldarbeiter sitzen mit einigem Abstand im Gras und unterhalten sich. "Es ist toll, dass so viele unterschiedliche Leute dabei sind", freut sich Harrer. In Arbeitsklamotten und mit der Hacke in der Hand verschwinden soziale Unterschiede schnell. Das haben auch der BOS-Schüler Simon Bumes und der BWL-Student Leon Drees schnell gemerkt. An der Feldarbeit schätzt Bumes, dass "man sofort sieht, was man geschafft hat". Die Arbeit sei zwar körperlich nicht so anstrengend, aber erst seit er selbst auf dem Feld mitarbeite, sei ihm bewusst, wie viel Pflege und Aufwand alleine in einer kleinen Schale Bio-Erdbeeren stecken, wie sie hier im Sommer wieder verkauft werden, sagt Drees. "Man lernt, das wirklich zu schätzen", sagt er, bevor es für alle wieder zurück aufs Feld geht.

DK