Ingolstadt - Im Liebfrauenmünster feiert Dekan Bernhard Oswald mit einer kleinen Schar eine Osternacht, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat. Ohne Gläubige – vor leeren Kirchenbänken. Zu Beginn liegt das Gotteshaus in Finsternis, bis die Osterkerze angezündet wird. Erst nach dem „Gloria“ gehen überall im Altarraum die Lichter an, auch die Orgel erklingt und die Glocken läuten. In seiner Predigt sagt der Dekan, Ostern sei eine Siegesfeier.
„Feiern wir diesen Sieg mitten hinein in diese Corona-Zeit!“
Kalt ist es wie in einer Gruft. Finsternis ringsum. Und eine unheimliche Grabesstille. Plötzlich tauchen fünf Gestalten in weißen Gewändern auf, wie Geister. Ihnen folgen mit Abstand ein paar dunkle Wesen. Schweigend durchschreitet die Prozession den leeren Raum, der schier grenzenlos wirkt ohne Licht. Nur das Knarzen und Quietschen der Schuhsohlen scheint irdischer Natur in diesem Moment. Der Karsamstag im Liebfrauenmünster ist wie kein anderer je zuvor. Eine einsame Osternacht, wie sie noch niemand erlebt hat.
Ganz hinten im Kirchenschiff hält die Prozession. Ein Zündholz reißt, eine Hand hält das kleine Feuer an den Docht der Osterkerze. „Lumen Christi“ (das Licht Christi), hallen Stimmen durch die Stille. Durchs Kirchenschiff, an leeren Holzbänken entlang geht es vor zum Altar. „Lumen Christi.“ An der Kanzlei ein drittes Mal: „Lumen Christi.“ Dann zünden alle ihre Kerzen an, und die Dunkelheit weicht ein Stück.
Gesichter sind zu erkennen: Dekan Bernhard Oswald begleiten die Kapläne Wolfgang Hagner und Pater Hubert Gerauer sowie die Diakone Michael Neufanger und Frater Ralph Heiligtag.
Dann sind da noch Gemeindereferentin Elisabeth Handschuh, Kantorin Petra Neufanger, das Mesner-Ehepaar Maria und Wolfgang Geiger, Aushilfsmesner Gerald Schermaul und Pfarrhaushälterin Johanna Adlkofer. Oben an der Orgel sortiert Franz Hauk im Schein einer kleinen Lampe seine Notenblätter. Diese zwölf Menschen sind die einzigen im Gotteshaus, die stellvertretend für alle Gläubigen, die nicht kommen dürfen, die Osternacht feiern – eine Siegesfeier des Lichtes über die Finsternis.
Zum Höhepunkt der Lichtfeier steigt Frater Heiligtag, der Größte von allen, die Holzleiter hoch und stellt die überlange Osterkerze in den silbern schimmernden Apostelleuchter, den der Bildhauer Max Pfaller gestaltet hat. Die feierliche Eröffnung der Osternacht wird erfüllt vom intensiven Duft des Weihrauchs, der in dicken Wolken durch den Altarraum zieht. Es folgt ein Wortgottesdienst mit stark meditative Zügen. Fünf Lesungen zählen dazu, die erste aus dem Buch Genesis. Jeder Lesung folgt ein mehrstimmig gesungener Antwort-Psalm. Die kraftvolle Stimme von Heiligtag dröhnt durchs Gotteshaus: „Lasset die Posaune erschallen.“ Das Echo kreist. Dann jedes Mal ein Gebet, gesprochen von Dekan Oswald.: „Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten zerbrach.“ Von der kostbaren Kerze ist die Rede, „aus dem köstlichen Wachs der Bienen bereitet“.
Der strenge Rhythmus monotoner Wiederholungen verleiht dem Wortgottesdienst eine besondere Andacht und Frömmigkeit. „Meine Seele dürstet alle Zeit nach Gott“, heißt es in der letzten Lesung, wieder gefolgt von Schola und Gebet. Dann wird das „Gloria“ angestimmt – und plötzlich gehen mit einem leisen Klingeln im Liebfrauenmünster die Lichter an, die Scheinwerfer am Hochaltar und am Mittelaltar, die Orgel erhebt ihre mächtige Stimme, und die Glocken beginnen zu läuten. Auch die Kerzen am Altar werden angezündet. Ein packender, erhabener Moment. Die Stimmung in der mächtigen Kirche ändert sich schlagartig.
Dekan Oswald wendet sich an die Brüder, Schwestern und die zwei Gäste von DK. Ostern sei eine Siegesfeier, beginnt er seine Predigt. „Wir feiern den Sieg Jesu Christi! Wir feiern den Sieg der Liebe über den Hass! Wir feiern den Sieg des Guten über das Böse! Wir feiern den Sieg des Lebens über den Tod!“ Aber nicht als unbeteiligte Zuschauer, „sondern zutiefst beteiligt“. „Jesus hat den Ostersieg für uns errungen. Und dieser Ostersieg soll auch unser eigener Sieg werden. Das wird in der Osternacht deutlich.“Und er richtet seinen Aufruf in die kleine Runde: „Feiern wir diesen Sieg mitten hinein in diese Corona-Zeit! Jetzt, hier in der Kirche, aber auch Zuhause.“
Das Wetter sei herrlich, so Oswald, die Bäume und Sträucher werden grün und beginnen zu blühen. „Lassen wir uns die Osterspeisen schmecken, die Ostereier, den Schinken, das Osterbrot und natürlich auch die Schokolade! Genießen wir den Osterbraten und einen guten Schluck! Machen wir uns eine Freude! Auch unseren Lieben und den Nachbarn! Denn es ist Ostern! Jesus lebt! Er hat uns seinen Geist geschenkt! Gott wird alles zu einem guten Ende führen! Deshalb euch alle frohe Ostern! Halleluja!“ Dekan Oswald, sonst ein eher stiller Mensch, ruft es hinaus, als säßen Tausende auf den Bänken.
Es folgt die Tauffeier, bei der das Wasser im Taufbecken geweiht und das Taufversprechen erneuert wird. Wieder klettert Frater Heiligtag auf die Leiter, holt die Osterkerze herab, die der Dekan ins Taufbecken senkt. Die Heiligen werden um Fürsprache gebeten, auch Corona, nach katholischer Betrachtung die Patronin des Geldes, der Fleischer und Schatzgräber. Von der bäuerlichen Bevölkerung soll die Heilige aber auch gegen Viehseuchen angerufen worden sein.
Bei der Eucharistiefeier mit Gabenbereitung, Sanctus und Agnus Dei versammeln sich die Zelebranten um den Altar. Zur Kommunion erklingt wieder die Orgel. Nach dem Schlussgebet lächelt Bernhard Oswald verschmitzt und wünscht sich einen Osterwitz. „Denn an Ostern muss man lachen.“ Mesner Wolfgang Geiger gibt einen zum Besten vom verfressenen Pfarrer aus dem Allgäu. Der fragt im Religionsunterricht einen Buben, der mit seiner Familie gerade neu zugezogen ist, wann denn immer gegessen werde bei ihm daheim. „Um zwölfte, Herr Pfarrer, aber wenn Besuch da ist, dann warten wir, bis er gegangen ist.“ Alle lachen gelöst. Und plötzlich herrscht wieder ein Stück Normalität in dieser Nacht.
Am Schluss segnet der Dekan die Speisen, die Gläubige am Altar zurechtgelegt haben: Kräftig, mit viel Elan schwenkt Oswald den Aspergill, den Weihwasserwedel. Zum Auszug erklingt das letzte feierliche Orgelspiel. Und dann bekommt jeder zum Abschied ein gesegnetes Osterei geschenkt. Alle helfen beim Aufräumen, und in der Sakristei herrscht emsiges Treiben. Auf einem der Tische liegt eine Dornenkrone. Kantorin Petra Neufanger kann ihre Stimmung schwer in Worte fassen: „Außergewöhnlich war dieses Erlebnis – es hatte fast etwas Mystisches“, meint sie. „Aber ich hoffe, dass wir so ein Ostern nur einmal erleben müssen. Mir haben heute die Menschen gefehlt.“
Dekan Oswald wirkt fast ein wenig erschöpft nach diesen zwei Stunden, die einzigartig waren. „Ich bin froh, dass ich diesen Gottesdienst selber feiern durfte. Es war an sich recht schön mit dieser kleinen Gemeinschaft. Aber es hat eine ganz andere Kraft, wenn viele Gläubige mitfeiern.“ Es geht auf Mitternacht zu, als das Licht in der Sakristei gelöscht und die Tür sorgsam verschlossen wird und die kleine Gruppe in die Nacht tritt. Wo sonst an einem Samstag der Lärm von Autos, Feiernden und Partymusik ums Liebfrauenmünster tobt, ist es diesmal ganz still. Corona-Stille in leeren Gassen. Schnell gehen die Frauen und Männer nach einem Abschiedsgruß ihres Weges, ihre Osterkerzen in Laternen vor sich tragend.
Es sieht aus, als schwirren kleine Glühwürmchen durch die laue Nacht. DK
Suzanne Schattenhofer