Ingolstadt
"Chaos ist fruchtbarer Boden"

TV-Journalistin Antonia Rados spricht beim Sparkassen-Wirtschaftsforum über den Nahen Osten

14.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:13 Uhr
Antonia Rados sprach im Festsaal über die aktuelle und vergangene Konflikte. −Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Die Welt heizt sich auf. Damit ist ausnahmsweise nicht die Erderwärmung gemeint. Vielmehr befeuern die Krisenherde weltweit bei vielen das Klima der gefühlten Sicherheit. Themen wie Umbrüche und Unordnung, ausgelöst durch Kriege und Terror, charakterisieren derzeit stark das globale Geschehen.

"Viele sind beunruhigt darüber", sagte die Fernsehjournalistin und promovierte Politologin Antonia Rados am Montagabend in Ingolstadt. Rados, vielen Fernsehzuschauern vor allem durch ihre Berichterstattung 2003 vom Irakkrieg in Erinnerung, war zu Gast beim Wirtschaftsforum der Sparkasse Ingolstadt-Eichstätt und warf dabei im Festsaal des Stadttheaters einen differenzierten und besonnenen Blick auf die für Außenstehende kaum noch zu durchschauenden globalen Krisenszenarien. Sie fragte: "Ist das Chaos die neue Weltordnung?"

Alles halb so schlimm, könnte man meinen, wenn die gebürtige Klagenfurterin tief in die Geschichte eintaucht und den schweizerischen Kulturhistoriker Jacob Burckhardt zitiert. Der habe geäußert, dass im Italien der Renaissance immer wieder Kriege geführt worden seien, es aber zugleich die Epoche großer italienischer Künstler wie Michelangelo sowie von Entwicklungen wie dem Bankensystem gewesen sei. "Unruhe ist also nicht immer etwas Schlechtes", stellte sie fest. Das Chaos sei vielmehr ein "fruchtbarer Boden".

Burckhardts Gesetz gilt laut Rados auch im Nahen Osten, dem "Schlüssel zur Weltgeschichte": Seit Tausenden Jahren werde dort alles entschieden. "Auch die Zukunft in groben Zügen", so die Journalistin. Jene Zukunft würde sich für Länder wie den Iran und die Türkei aber auch Saudi Arabien und Israel demnach wahrscheinlich nicht dem Westen hin zugewandt fortsetzen, sondern mit Blick auf Asien und die Weltmacht China, die dabei sei, sich dort wirtschaftlich festzusetzen. Einen Grund hierfür sah Rados im zunehmenden Desinteresse des Westens am Nahen Osten, beispielsweise als wichtiger Öllieferant. Auch die kriegsmüden USA würden sich zusehends abwenden von ihrer Rolle als Polizist unter einem Präsidenten Trump, der nicht als Führer einer freien Welt auftrete, weil ihm dazu die Qualität fehle, sagte Rados.

Zuvor schaute sie in die Historie des arabischen Raums, nahm dabei den ultrakonservativen Befürwortern eines wiederauferstehenden islamischen Weltreichs den Wind aus den Segeln, in dem sie ihren Zuhörern vor Augen führte, wie unregierbar die riesige Region schon immer gewesen sei und letztlich - trotz ihres Expansionsdranges und ihrer Errungenschaften, zu denen die ersten Universitäten zählen - unter der Invasion der Mongolen im 13. Jahrhundert zugrunde gegangen ist. Eine Konsequenz daraus sei, dass der Machtanspruch in der arabischen Welt bis heute unbeantwortet bliebe. Sunniten und Schiiten führten einen Konflikt über die Kontrolle. Auch Gruppen wie den IS hätte es schon immer gegeben. Der größte Konflikt vor Ort sei aber gesetzt worden, als die Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg sich die Gebiete aufteilten, ohne die einzelnen Stammesgebiete dabei zu berücksichtigen, so Rados.

Heute sieht sie im Nahen Osten die Rückkehr des Islams zu den Traditionen und die völlige Abwesenheit von Regierungen und Staatseinrichtungen. Der Westen habe sich einlullen lassen von Herrschern wie Gaddafi, die nach außen für Stabilität gesorgt hätten. Im Inneren habe es aber gebrodelt, es hätte an Bildung, Ordnung und Demokratie gefehlt. Daran hätte sich auch nach dem Arabischen Frühling, der von der mehrheitlichen Generation der unter 30-Jährigen ausging, nichts geändert.

Nur kurz beschäftigte sich Rados mit dem türkischen Staatschef Erdogan, den sie 2016 - einige Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch in Ankara - interviewte. Er spricht nach ihrer Auffassung längst nicht mehr zu Europa, sondern versuche sich in einer neuen Rolle als Partner Russlands und des Iran, den man als zweite Macht im Auge behalten müsse. Sie habe neun Stunden gewartet, bis er sie empfangen habe. "So wichtig und herrschaftlich ist der Präsident. Daher muss man ihn auch bei uns besonders ernst nehmen", sagte sie.