Irsching
"Wir haben Angst" - Explosion bei Bayernoil hat tiefe Spuren hinterlassen

11.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:42 Uhr
Der Autor des Brandbriefs: Matthias Kolbe lebt in Irsching und setzt sich dafür ein, dass die Belastungen für die Bürger nicht weiter steigen. −Foto: Meßner

Die Explosion bei Bayernoil am 1. September hat tiefe Spuren hinterlassen - nicht nur äußerlich. Matthias Kolbe aus Irsching hat nun einen "Brandbrief" an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann geschrieben, der die Befindlichkeiten, die Nöte und die Ängste des Dorfes zum Ausdruck bringt. Hier der Brief in leicht gekürzter Version.

Sehr geehrter Herr Innenminister Herrmann,

am Samstag waren Sie zu Besuch bei uns in Vohburg-Irsching, wo laut ersten Pressemeldungen von Bayernoil ein "Ereignis" eingetreten ist. Sie haben mit eigenen Augen das, wenn ich Sie zitieren darf, "erschreckende Ausmaß der Zerstörung auf dem Raffineriegelände" gesehen.

Im Nachhinein stellt sich auch heraus, was für ein Glück man hatte und wie gut die Einsatzkräfte gearbeitet haben, dass das Feuer nicht auf andere Teile der Anlage übergriff und noch weit größere Explosionen nach sich zog.

Dass der Ortsteil Irsching dabei am meisten betroffen war, ging ebenfalls durch alle Medien. Schall und Druckwelle waren über zig Kilometer hör- und spürbar, wir waren wohl genau richtig positioniert, um es voll abzubekommen. Das Haus, in dem ich mit meiner Familie lebe, ist übrigens das nächste, exakt 900 Meter vom Explosionsherd entfernt.

Fast alle Irschinger haben größere oder kleinere Schäden an Haus und Hof, die, wie auch Sie gesagt haben, "schnell und unbürokratisch" von Bayernoil übernommen werden. Da sind wir alle sehr gespannt, aber noch guter Hoffnung.

Die psychischen Schäden, wie etwa die Tatsache, dass viele nachts nicht mehr schlafen aus Angst, dass es wieder kracht, sogar wenn man weiß, dass die Anlage abgeschaltet ist, werden dabei wie erwartet nicht weiter beachtet.

Genauso wenig wird die Tatsache beachtet, dass unsere Grundstücke und Häuser mit Sicherheit einen immensen Wertverlust hinnehmen mussten; ich kann mir nicht vorstellen, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch jemand unser Haus kaufen wollte.

Die Rhetorik des Verursachers zielt natürlich momentan darauf ab, den Vorfall herunterzuspielen, aber für uns Irschinger wird der 1. September 2018 ab sofort ein bedeutendes Datum sein und ich bin mir sicher, dass jeder auch nach Jahren noch problemlos erzählen wird können, wie er sich an diesem Tag um 5.12 Uhr gefühlt und was er gedacht hat. 


Zusammengefasst kann man wohl sagen: Nochmal Glück gehabt oder, mit den Worten unseres stellvertretenden Landrats: "Es grenzt an ein Wunder [?]", wir hatten "viele, viele Schutzengel." Sie haben bei Ihrem Besuch mit Sicherheit auch gesehen, dass die Raffinerie nicht die einzige industrielle Großanlage in Irsching ist, sondern dass in unmittelbarer Nähe auch das 1969 erbaute und seitdem immer wieder (zuletzt 2010) erweiterte Kraftwerk Irsching steht.

Auch in diesem Kraftwerk gab es schon schwere Störfälle: An Silvester 1987 zerbarst ein Turbinenläufer; die Explosion schleuderte Trümmerteile bis in eine Entfernung von 1,3 Kilometern um das Kraftwerk, ein tonnenschweres Teil flog durch das Dach der Anlage über Irsching hinweg in ein Feld, ohne außerhalb des Kraftwerks größeren Schaden anzurichten. 


Glück gehabt.

Am 15. Februar 1992 kam es zu einem weiteren "Zwischenfall", als ein Heizkessel in Block 3 explodierte. Auch hierbei kam in Irsching niemand zu Schaden.

Glück gehabt.

Am 10. Dezember 2005 kam es im zehn Kilometer entfernten Münchsmünster zu einer Explosion und einem tagelangen Großbrand in einem Chemiewerk. Auch dort konnte Schlimmeres verhindert werden.

Glück gehabt.

Da das 2010 errichtete Gaskraftwerk nicht rentabel ist, will die Firma Uniper nun ab 2019 einen eigentlich nicht mehr benötigten Tank als strategische Ölreserve mit 100000 Kubikmetern Gasöl befüllen. Das Landratsamt hat dies bereits genehmigt, die Stadt konnte nach Aussage des Bürgermeisters wohl nichts dagegen machen.

Die Irschinger Bewohner wurden dabei erfolgreich gespalten, weil das Genehmigungsverfahren sich nur auf die Frage bezog, ob die erhebliche Verkehrsbelastung durch die vielen tausend Tanklastwagen (die natürlich ausnahmslos extrem sicher sind) zur Befüllung des Tanks durch die Ortsmitte oder durch den sogenannten Unterzipfel entstehen würde, wo nur die paar Bewohner betroffen sind, die am Samstag auch am nächsten am Explosionsherd waren. Die Verantwortlichen haben sich auf letzteres geeinigt. Bis zu 30 Prozent des Öls könnten im Laufe von fünf Jahren ausgetauscht werden, das heißt regelmäßiger Tanklastverkehr und Be- und Entladevorgänge am Tank. Der Gedanke, dass dieser Tank, der übrigens von unserem Haus exakt halb so weit entfernt ist wie die Raffinerie und noch viel näher am Rest von Irsching, auch eine erhebliche Gefahr darstellen kann, ist auch uns erst im Lichte der Detonation vom Samstag gekommen, dafür aber nun mit Macht. Natürlich wird man sagen, "da kann nix passieren", das Risiko ist verschwindend gering. "Das sind nur 100 Millionen Liter explosiver Brennstoff 450 Meter von Ihrem Wohnhaus, machen Sie sich keine Sorgen."

Genau das hat man bisher auch gehört, vom Kraftwerk. Und von der Raffinerie. Am Samstag ist dort etwas passiert, wie genau wird sich noch herausstellen, aber ich bin mir fast sicher, dass es ebenso eine unglaubliche Verkettung unglücklicher Umstände war wie damals im Kraftwerk, wo es Jahre dauerte, die Ursache herauszufinden.

Ich schreibe Ihnen, weil ich wie viele Irschinger Bürger der Meinung bin, dass es irgendwann reicht. Dass man einem kleinen Ort (der unbestritten früher auch sehr von den Industrieanlagen profitierte und das zum Teil noch heute tut) nicht alles zumuten kann. Dass die Bedenken und Anliegen der kleinen Bürger nicht immer und immer wieder gegen den Profit der Großkonzerne zurückstehen können.

Wir haben Angst vor der Befüllung dieses Tanks. Wir haben Angst, dass wir irgendwann nicht mehr so viel Glück haben, dass unsere Wunder und Schutzengel einmal aufgebraucht sind. Die Befüllung erfolgt rein aus (selbstverständlich durchaus nachvollziehbaren) finanziellen Motiven der Firma Uniper.

Natürlich hoffen viele, dass die Raffinerie selbst so sehr zerstört ist, dass sie nicht mehr aufgebaut wird, dass auch diese Gefahrenquelle Geschichte ist, aber das ist wohl nur Wunschdenken. Diese Raffinerie besteht seit 50 Jahren und wirft viel Geld ab, wie ich zu meiner Überraschung aus der Zeitung erfahren habe auch zu 25 Prozent an Herrn Putin aus Russland (namentlich Rosneft). So ein Gefahrenpotenzial irgendwo anders wieder aufzubauen, wird an vielen Regelungen, Beschränkungen und nicht zuletzt Bürgerbegehren scheitern.

Wo es schon steht, da kann man nichts mehr machen. Also werden die Schäden im Werk von der Versicherung beglichen und die 50 Jahre alte Industrieanlage wird wiederaufgebaut und weiterlaufen, als wäre nichts gewesen. Das Risiko einer Explosion wird weiterhin verschwindend gering sein.

Jetzt wehren wir uns gegen die Erstbefüllung des Tanks der Firma Uniper als strategische Ölreserve und hoffen, Sie mit diesem Schreiben auf unsere Sorgen aufmerksam zu machen. Ich hoffe, Sie nehmen sich die berechtigten Bedenken und Anliegen der Bürger zu Herzen.

Eine Petition mit demselben Anliegen wird parallel zu diesem Schreiben gerade von Irschinger Bürgern gestartet. Dieser Brief geht auch an unseren Landtagsabgeordneten Karl Straub und unseren Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer.

Matthias Kolbe, Irsching
im Namen vieler betroffener und besorgter Bürger