"Beginn einer wunderbaren Freundschaft"?

CSU und Freie Wähler stimmten für Antrag von AfD-Stadtrat Bannert - Opposition reagiert empört

06.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:47 Uhr
Kontroverse Debatte am Donnerstag im Stadtrat: (v.l.) Hans Stachel (FW), Karl Ettinger (FDP), Ulrich Bannert (AfD), Hans Süßbauer und Patricia Klein (CSU) −Foto: Hammer

Ingolstadt - Jürgen Siebicke ist seit 2016 Stadtrat der Bürgergemeinschaft (BGI), allerdings mit exponiert-linker Vergangenheit.

Dass ausgerechnet er eines Tages einem CSU-Ministerpräsidenten zustimmen würde, hätte er sich nie träumen lassen. "Markus Söder hat vor Kurzem gesagt: Die Grünen sind unsere politischen Gegner, aber die AfD ist unser Feind. " Siebicke sieht das genauso: Der Feind steht rechts. "Und das ist die AfD. "

Der BGI-Stadtrat (kleines Foto) verfolgt mit wachsendem Zorn, dass sich die CSU im Stadtrat und in deren Gefolge die Freien Wähler aus seiner Sicht "Schritt für Schritt" Ulrich Bannert annähern; der gehört dem Stadtrat seit 1990 an. 2018 wechselte er von den Republikanern zur AfD. Bannert hat in der Haushaltsdebatte am Donnerstag einen Antrag gestellt, der mit seiner sowie den Stimmen von CSU und FW - beide haben zusammen keine Mehrheit mehr - angenommen wurde. Alle anderen Stadträte stimmten dagegen.

Dies könnte der Beginn einer langen Konfrontation gewesen sein, die an Schärfe zu gewinnen droht, sollte die AfD bei der Kommunalwahl 2020 mehr Mandate erobern. Was zu erwarten ist.

"Es war ein inhaltlich völlig harmloser Antrag. Aber genau das ist die Taktik", sagte Siebicke am Freitag dem DK. "Die CSU will die AfD möglichst harmlos erscheinen lassen, um ihr nach und nach die Tür zu öffnen, damit es bald kein Tabu mehr ist, mit ihr zusammenzuarbeiten. " Genau das strebe die CSU an, findet Siebicke: Kooperation mit der AfD, was Markus Söder vehement ausschließe.

Der Anlass für die Empörung der Opposition kam in der Tat unscheinbar daher: Die UDI-Fraktion hat beantragt, in Ringsee ein "Haus der Vereine" als Ortsmittelpunkt zu schaffen. Bannert lehnte das in einem Ergänzungsantrag ab. Seine Begründung: Wenn, dann müsste man in jedem Stadtteil den Vereinen ein Heim zur Verfügung stellen, das erfordere die Gleichbehandlung. Der AfD-Stadtrat schlägt eine erprobte Option für Vereinshäuser vor, das Brunnenreuther Modell. Dem stimmten er, die CSU (mit OB Christian Lösel) und die FW zu. "Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft", bemerkte Robert Bechstädt (SPD) bitteren Blicks während der Sitzung.

Siebicke kommentiert diese Zusammenarbeit aufgebracht: "Man kann der AfD nicht zustimmen. Ich werde denen niemals zustimmen! Wenn die AfD morgen schönes Wetter beantragt, werde ich eine flammende Rede für Regen halten! " Von wegen harmlos. "In der AfD sind nicht die netten Nazis von nebenan. Die bedrohen Menschen und ganz konkret meine Familie! ", sagt Siebicke. Seine Frau Maggy stammt aus Nairobi in Kenia. "Sie hat Angst vor rassistischen Beleidigungen, sie ist schon öfter in Ingolstädter Geschäften nicht bedient worden, weil die dort wohl denken, die könne sich das eh nicht leisten. Erst vor drei Wochen ist ein Bus an meiner Frau vorbeigefahren, als sie alleine an der Haltestelle stand", erzählt er. "Ich habe das im Ausländerbeirat vorgebracht. Da hieß es: ,So geht's in Ingolstadt vielen. '"

Siebicke fordert eine klare Front. BGI-Chef Christian Lange sei der einzige Fraktionsvorsitzende gewesen, der sich in seiner Haushaltsrede am Donnerstag eindeutig von der AfD distanziert habe. Siebicke erkennt erfreut an, dass auch SPD, Grüne, ÖDP und UDI sowie die Einzelstadträte Karl Ettinger (FDP) und Henry Okorafor (Grün-Links) den AfD-Antrag abgelehnt hätten, obgleich er in der Sache durchaus diskussionswürdig gewesen wäre. Er wiederholt seinen Vorwurf: "Diese Harmlosigkeit ist die Taktik der CSU, um die AfD salonfähig zu machen. "

"Es ist grausam, was da läuft, dieses Bauchpinseln der AfD", klagte am Freitag SPD-Stadträtin Veronika Peters. "Bei dieser Abstimmung hätten wir wirklich einen Oberstbürgermeister gebraucht! " Sie spielt auf Thomas Thönes Spitze gegen Bürgermeister Albert Wittmann (CSU, Oberstleutnant a. D. ) an, mit der sich der ÖDP-Stadtrat am Donnerstag wie berichtet einen Ordnungsruf des OB eingehandelt hatte. "Stattdessen lässt die CSU das einfach laufen! "

Robert Bechstädt hat bei der Abstimmung über den AfD-Antrag eine Merkwürdigkeit beobachtet: "Als der OB gefragt hat, wer für den Antrag ist, sind bei CSU und FW die Hände nur zaghaft hochgegangen. Als dann die Gegenstimmen angezeigt wurden, hat Lösel festgestellt, dass der Antrag mehrheitlich angenommen worden ist. Da habe ich protestiert und gesagt: Die Gegenstimmen waren doch mehr! Dann sind noch mal die Hände gehoben worden - und diesmal haben CSU und Freie Wähler geschlossen mit Bannert gestimmt. " Er befürchtet: "Da kommt was auf uns zu. " Bechstädt ist froh, die Stadtpolitik ab nächstem Jahr "von der Tribüne aus verfolgen zu können"; er kandidiert nicht mehr.

Karl Ettinger (FDP) sitzt im Stadtrat neben Ulrich Bannert. Ihm fällt auf: "Er hat offenbar Narrenfreiheit. Er kann das Wort ergreifen, wann er will, sogar wenn schon abgestimmt wurde. Er darf sich vieles rausnehmen, was man anderen Stadträten nicht durchgehen ließe. " Ettinger nimmt auch atmosphärisch eine "Sonderstellung" des AfD-Stadtrats wahr: "Die CSU bemüht sich sehr um den ,lieben Ulli' - das ist schon ein geflügeltes Wort. Man geht zu ihm, klopft ihm auf die Schulter, lobt ihn. " Auch das, sagt der FDP-Politiker, "ist sehr, sehr auffällig".

Ulrich Bannert kann die Aufregung nicht verstehen - und die Kritik auch nicht. "Ich sehe das nicht als Problem", sagte er am Freitag auf Nachfrage. "Wer das kritisiert, hat ein anderes Demokratieverständnis. Ich bin seit 30 Jahren Stadtrat und ich habe immer Anträgen zugestimmt, wenn sie mich inhaltlich überzeugen - egal, wo die herkamen. Auch Anträgen von UDI oder BGI habe ich schon zugestimmt, und so werde ich es auch weiterhin machen. "

Bannert dementiert Gerüchte, es gebe eine Vereinbarung mit der CSU, und die AfD habe deshalb keinen OB-Kandidaten aufgestellt. Unsinn, sagt er. "Wir haben basisdemokratisch die Vor- und Nachteile abgewogen und sind zu der Überzeugung gekommen, dass es besser ist, keinen Kandidaten aufzustellen. " Er könne wegen seines Alters nicht mehr als OB kandidieren.

Bannert will sich "auf so eine Spaltungsdiskussion gar nicht erst einlassen", sagte er. "Wenn CSU und FW meinen Antrag gut finden, ist das doch schön! Das ist Demokratie. Da lege ich großen Wert drauf. " Er verweist auf eine Pressemitteilung des AfDKreisverbands, in der steht: "Im Ingolstädter Stadtrat werden wir mit allen politischen Parteien die sachliche Zusammenarbeit suchen, sofern es dem Wohle Ingolstadts dient. "

Wie steht die CSU zur Zusammenarbeit mit der AfD? Patricia Klein, die Fraktionsvorsitzende, antwortete auf DK-Nachfrage: "Wenn es um eine inhaltlich gute Sache geht, die dem Wohl unserer Stadt dient, werden wir dem zustimmen, und da ist es zweitrangig, wer der Antragsteller ist. " Über diese grundsätzliche Haltung zur AfD gebe es innerhalb der Ingolstädter CSU "keine Diskussion". Bannerts Antrag zu den Vereinsheimen sei eine "richtige und sinnvolle Sache", sagt Klein. "Wir haben uns bei den Vorberatungen einen ähnlichen Vorschlag vorgestellt, und deshalb haben wir im Stadtrat guten Gewissens dafür gestimmt. " Der Vorwurf, die CSU bahne eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit der AfD an, sei "ein Riesenquatsch".

Bürger befremde es oft, "dass gute Anträge nur deshalb abgelehnt werden, weil sie von einer bestimmten Partei kommen", sagt Patricia Klein. Diesem Eindruck müsse man entgegenwirken. "Andere Parteien fordern doch immer, dass der Stadtrat ein Kollegialorgan sein soll. " So verstehe das auch die CSU: Kollegialität statt Parteipolitik.

DK


 

Christian Silvester