Ballspielen vor der Rückreise

17.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:11 Uhr

−Foto: Eberl

Oberstimm (DK) Tischtennis, Filmabende und Aerobic machen die Zeit in der Immelmann-Kaserne erträglicher. Trotzdem: Für die Bewohner sind es die letzten Tage in Deutschland. Einige wollen nur weg, andere verlieren mit der Abschiebung ihre Heimat.

 

"Schatzi, kannst du später anrufen" Bardhec Qakolli schiebt sein Handy in die Hosentasche. "Ich will heiraten", stellt er klar. "Aber ich bekomme meinen Pass nicht." Der 37-Jährige steht im Haus 24 der Max-Immelmann-Kaserne in Oberstimm bei Ingolstadt. Er versteht die Welt nicht mehr, seit ihn im vergangenen Jahr in seiner Altöttinger Wohnung, die er ganz normal gemietet hatte, ein Brief erreicht hat: Der gebürtige Kosovare sollte "freiwillig" in sein Herkunftsland zurückreisen - das er kaum kennt. Er versteckte sich, die Polizei fasste ihn trotzdem. Um aus dem Abschiebegefängnis zu kommen, stellte er einen Asylantrag. Seit zwei Wochen ist Bardhec Qakolli in der Immelmann-Kaserne untergebracht - einem von zwei bayerischen "Rückführungszentren".

Für die 770 Menschen, die hier leben, führt normalerweise nur ein Weg hinaus: der ins Heimatland. Die eigens eingerichtete Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat seit der Eröffnung noch keinen einzigen positiven Asylbescheid ausgestellt. Seit September gab es 739 "freiwillige Ausreisen" und 306 Abschiebungen.

"Aber was mache ausgerechnet ich hier", fragt Bardhec Qakolli. Sein Fall ist einer der besonders krassen im Balkanlager - eine Ausnahme, aber kein Einzelfall. Der Kosovare ist 1993 mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen und in Geisenfeld zur Schule gegangen. Seitdem ist seine Aufenthaltserlaubnis immer um ein halbes Jahr verlängert worden. Sein Deutsch ist akzentfrei. In den vergangenen vier Jahren hat er als Reinigungskraft in einer Metzgerei im Landkreis Traunstein gearbeitet. Seine dortige Personalchefin hat vergeblich versucht, seine Abschiebung zu verhindern. "Er hat immer zuverlässig und pflichtbewusst bearbeitet", bestätigt Christine Ott-Uhlmann am Telefon. "Die nehmen mir eine Stütze in dieser Abteilung weg." In ihrem völligen Unverständnis ist sie sich mit ihrem ehemaligen Angestellten einig. "Ich habe jahrelang Steuern gezahlt", stellt der Kosovare klar und deutet in der Kaserne um sich, als wollte er sagen: Und dafür nehmen die jetzt mein Geld?

Es ist eine triste Umgebung, in der er steht. Zimmer an Zimmer sind die Menschen an den abgewohnten Kasernenfluren untergebracht. In zwei Sälen mit Biertischen gibt es dreimal täglich Essen vom Caterer. Neben der Kantine sind drei Klassenräume. Hier findet der Unterricht für die schulpflichtigen Kinder statt. An der Tafel ist der Stundenplan aufgelistet: Mathematik, Pause, Kunst, Musik, Englisch. Deutsch steht nicht auf dem Programm - auch wenn es die Unterrichtssprache ist. Angesagt seien die Fächer, die den Kindern auch dann nützen, wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehren, erklärt Regierungsvizepräsidentin Maria Els, die über das Gelände führt.

"Gib' Ball mir", ruft draußen ein Bub, der an der Tischtennisplatte steht. Dutzende Kinder toben auf dem Kasernenhof, spielen Fußball und malen mit Straßenkreide. Deutsch sprechen sie fast alle. Weil ihre Eltern aus Albanien, Bosnien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und der Kosovo kommen, ist es ihre einzige gemeinsame Sprache.

Ein paar Meter weiter umringen Bauzäune ein nagelneues Klettergerüst und eine Schaukel. Daneben stehen Fitnessgeräte, noch in Folie verpackt. Man schaffe gerade mehr Freizeitmöglichkeiten, heißt es bei der Regierung. Geplant sind unter anderem ein großes Schachfeld, eine Torwand und ein Bolzplatz. "Für etwaige Verbesserungen sind wir offen", heißt es in der Mitteilung, die die Regierung eigens für diesen Besichtigungstermin verfasst hat. Das Bemühen, auf die Kritik von Wohlfahrtsverbänden zu reagieren, ist spürbar.

Zwischen den tobenden Kindern steht Ulrike Jenni, Bereichsleiterin Asyl der Firma Fair Price Hostels, die das Balkanzentrum im Regierungsauftrag seit ein paar Monaten betreibt. 84 Firmenmitarbeiter sind in der Immelmann-Kaserne und ihren Ingolstädter Außenstellen im Einsatz, darunter auch Fahr- und Sicherheitsdienste. Rund um die Uhr sind an jedem Standort drei Betreuer für die Bewohner da. Es gibt Kinderbetreuung, Kinoabende, Aerobic und Indoor-Bowling. "Wir geben uns echt Mühe", versichert Ulrike Jenni. Ist es nicht belastend, mit Menschen zu arbeiten, denen die Abschiebung droht? Ganz und gar nicht, sagt die Bereichsleiterin lächelnd. "Wir sehen uns mehr wie ein Hotel. Da gibt es auch Check-in und Check-out."

Wenn es nach dem Albaner Klodian Kapllani ginge, fände sein Check-out so schnell wie möglich statt. Er ist mit seiner Frau vor zehn Monaten auf der Suche nach Arbeit gekommen, seine Töchter sind sieben Monate und drei Jahre alt. "Hier ist ganz scheiße", stellt er klar. Als die Familie vor zwei Wochen in der Immelmann-Kaserne angekommen ist, hat Klodian Kapllani gleich am ersten Tag nach seinen Papieren gefragt: Er will so schnell wie möglich zurück in die Heimat. Dort gäbe es zwar keine Jobs, hier in Deutschland dürfe er aber auch nicht arbeiten.

Nicht alle finden die Immelmann-Kaserne so schlimm wie er. "Bis jetzt bin ich zufrieden", sagt Ismet Tukaj, ebenfalls vor zehn Monaten aus Albanien gekommen. Der 55-Jährige berichtet von seiner Krebserkrankung, bei der ihm deutsche Ärzte das Leben gerettet haben: "In Albanien wäre ich schon tot." Gerade hat Ismet Tukaj eine zweieinhalbstündige Asylanhörung hinter sich gebracht - das Bamf-Gebäude steht mitten zwischen den Unterkünften. Jetzt hofft der Albaner, dass seine Krankheit eine Abschiebung verhindert. "Mein Hobby ist Deutschland, ich liebe dieses Land", sagt er. Er hat die Sprache ganz besonders schnell gelernt. "Ich will kein Geld vom Sozialamt, ich bin kein Invalide", stellt er klar und erzählt, dass er in Bayern als Koch gearbeitet habe.

Ob die Menschen hier immer die Wahrheit sagen, ist schwierig zu beurteilen - für manche ist es am wichtigsten, in Deutschland einen guten Eindruck zu machen. Im Fall von Bardhec Qakolli, der seit 23 Jahren in Deutschland ist, spricht vieles dafür. Die Anwaltskanzlei, die er beauftragt hat, bestätigt, dass sie den Fall bearbeitet. Auch was seine Freundin am Telefon schildert, deckt sich mit den Angaben ihres Verlobten. Xofa Krasniq ist ebenfalls Kosovarin und schon seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland. Ihr Aufenthaltsrecht sei gesichert, sagt sie. Sie arbeitet als Küchenhilfe bei Bosch in Stuttgart. Noch bis Mai seien die Heiratspapiere gültig, die sie sich aus dem Kosovo hat schicken lassen - für 1000 Euro Gebühren. Falls es Bardhec Qakolli bis dahin nicht gelingt, von den Behörden seinen Pass oder zumindest eine Kopie zu bekommen, müsse sie die Papiere neu bezahlen, klagt die 30-Jährige. Wenn ihr Verlobter tatsächlich abgeschoben wird, wollen die beiden im Kosovo heiraten, in der Hoffnung, dass Bardhec Qakolli ein paar Jahre später nach Deutschland zurückkehren könne. Ihm macht die drohende Abschiebung vor allem wegen einer Sache Angst: "Im Kosovo werde ich sein wie ein Fremder."