Baar-Ebenhausen
Auf alten Rangiergleisen tut sich wieder was

11.05.2010 | Stand 03.12.2020, 4:01 Uhr

Die Natur meldet sich zurück: So sah es in den vergangenen Jahren auf den Rangiergleisen bei Baar-Ebenhausen aus. Damit dürfte es bei zunehmendem Zugbetrieb bald wieder vorbei sein.

Baar-Ebenhausen (DK) Jahrelang waren die Abstellgleise am Reichertshofener Bahnhof kaum noch genutzt worden und deshalb schon auf dem besten Weg zum Biotop. Neuerdings sorgt das neue Vertriebskonzept einer Autospedition wieder für eifrigen Rangierbetrieb.

Dass sich rund um den Bahnhof Reichertshofen in naher Zukunft so einiges verändern wird, ist bereits bekannt. Aber dass seit Ende April immer wieder Hunderte von schmucken Autos auf offenen Güterwaggons die Abstellgleise des Bahngeländes "bevölkern", ist neu. Mitunter reichen die Waggonreihen vom Norden Ebenhausens bis auf Reichertshofener Gemeindegebiet – für den sonst so beschaulichen Bahnhof schon etwas Ungewöhnliches.

Mal stehen die Waggons mit ihrer wertvollen Fracht hier nahe einer Kfz-Werkstätte, mal südlich des Bahnhofs unter der Brücke nach Reichertshofen. Mal sind es zwei, dann drei Zuggarnituren – und plötzlich, über Nacht, sind sie alle wieder verschwunden.

Der Bahnhof Reichertshofen hat auf seine alten Tage noch eine neue Bedeutung gewonnen: Eine Wolnzacher Spedition hat langfristig alle verfügbaren Nebengleise angemietet. Die direkt aus der Audi-Produktion stammenden und auf Waggons geladenen Autos werden ab jetzt am verkehrsgünstigen Bahnhof Reichertshofen sortiert und für den Weitertransport zusammengestellt.

Ein fertig zusammengestellter Zug besteht aus 20 Waggons, die ca. 250 Autos beherbergen und eine stattliche Länge von 700 Metern erreichen. "Das ist nachhaltig umweltverträglich", erklärt Jörn Enderlein, zweiter Geschäftsführer der Spedition, denn "pro Zug sparen wir dadurch 30 Lkw". Diesen Verkehr auf die Schiene zu setzten, bedeute einen "optimierter Fahrzeugumlauf", erklärt der Fachmann weiter.

Zwei Touren täglich

Bisher wurden diese Arbeiten im Raum Münchner durchgeführt. In Reichertshofen stehen dem Logistikunternehmen nun drei bis vier Gleise zur Verfügung, die die Rangierarbeiten neben dem routinemäßigen Bahnbetrieb ermöglichen.

Die Güterzüge verlassen den Bahnhof in beide Richtungen – jeweils einer täglich nach Italien und Österreich und einer nach Bremerhaven zur Verschiffung nach Übersee.

Wohin dann noch die Weiterreise geht, lässt sich durch das gemischte Transportkonzept der Audi AG bereits am Bahnhof in Ebenhausen erahnen: Audis mit Nahziel präsentieren sich mit einen Teilklebeschutz. Die mit "full body cover" ausgestatteten Fahrzeuge haben nach dem Seeweg noch einen Tausende von Kilometer langen Landweg vor sich – sogar bis nach China.

Die Zugzusammenstellung am Bahnhof erfolgt rund um die Uhr – je nach Aufkommen und Kundenwunsch orientiert. Die Abfahrt vom Gelände am Bahnhof läuft zurzeit noch gegen 20 Uhr, aber das kann sich jederzeit aufgrund von Angebot und Nachfrage ändern.

Wie Audi-Sprecher Joachim Cordshagen erklärt, führen die Rangierarbeiten im Gemeindebereich von Baar-Ebenhausen zu keiner Behinderung des laufenden Zugverkehrs. Nur ein inoffizieller Übergang, der die Möglichkeit bot, von der Kolpingstraße aus über ein vereinsamtes Abstellgleis zu kommen und entlang weiterer unbenutzter Gleise die Bahnhofstraße zu erreichen, ist jetzt häufiger durch die wartenden Züge versperrt.

Spaziergänger, Schüler, Radlfahrer und manchmal auch Fernreisende nutzten seit langem schon diese kleine Abkürzung, um den Straßenweg zu umgehen. Der Durchgang ist aber eher wilder Natur und auf keinem offiziellen Gleisplan eingezeichnet.

Die alten Gleisanlagen, die in den vergangenen Jahren nur noch sporadisch genutzt wurden, zogen aber auch noch andere Nutzer an. Das nördliche Bahnhofsgelände hatte sich bereits die Natur zurückerobert. In der reichen "Bahnhofsflora" tummelten sich im Sommer zahlreiche Insekten und Kleintiere. Auch Weinbergschnecken, die nach Regen die sicheren Gleiskörper zur schnellen Fortbewegung nutzen, oder Eidechsen, die sich an Sonnentagen im Schotter wärmten, waren häufig zu beobachten.

Auch die Vielfalt der Schmetterlinge, die die Ökonische für sich entdeckt hatten, war beachtlich: Bläulinge, Schwalbenschwanz und auch der große Feuerfalter hatten sich eingestellt. Leider bietet die neue Nutzung des Geländes keinen Platz mehr für diese leisen Bewohner, deren Mini-Biotop im Zuge der umfangreichen Arbeiten für die neue ICE-Streckenführung aber bald ohnehin verschwinden dürfte.

Nebengleise bleiben

Der alte Bahnhof soll auch nach dem Umbau des Hauptgleises weiterhin als Rangierstation genutzt werden – "bei gleichbleibender Zahl der Nebengleise", wie bei der DB zu erfahren ist. Speditionsfachmann Jörg Enderlein würde dagegen lieber noch drei Rangiergleise mehr am neuen Bahnhof sehen: "Das wär für mich wie Weihnachten."

Die neue Entwicklung am Bahnhof Reichertshofen bringt für viele Beteiligte Vorteile: Es wurden einige Arbeitsstellen für Lokführer, Bahndisponenten und Rangierbegleiter geschaffen. Und speziell für die Ebenhausener entsteht das Bewusstsein, auch ein wenig "Audiland" zu sein.