Ingolstadt
Den Neustart in Deutschland verpfuscht

Afghane macht sich sein Leben mit Brandstiftung selber schwer - und bekommt letztlich Bewährung

25.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:33 Uhr

Ingolstadt (DK) Nach elf Monaten Untersuchungshaft konnte ein 20-jähriger Afghane das Ingolstädter Landgericht gestern als freier Mann verlassen. Die 2.Jugendkammer war entgegen anfänglicher Skepsis letztlich doch zu der Überzeugung gelangt, dass dem geduldeten Asylbewerber trotz zweier massiver strafrechtlicher Vorfälle nun Bewährung eingeräumt werden kann.

Das Neuburger Jugendschöffengericht hatte dem jungen Mann im Januar noch zwei Jahre und zwei Monate Haft "aufgebrummt", weil er zunächst im vergangenen Juli in einer Geisenfelder Sammelunterkunft ein Sofa angezündet und damit rund 40 Mitbewohner gefährdet sowie später in der U-Haft einem Mitgefangenen bei einer Überreaktion mit einem Faustschlag einen Kieferbruch beschert hatte. Sowohl der Afghane als auch die Staatsanwaltschaft hatten gegen das Strafmaß Berufung eingelegt, so dass es nun vorm Landgericht nochmals um die Hintergründe der angeklagten Vorfälle ging.

Der Lebenslauf des jungen Afghanen (den ein deutsches Gericht natürlich kaum überprüfen kann) spiegelt die Dinge wider, die auch in den weltpolitischen Nachrichten unserer Tage beständig aufscheinen: Der Vater des 20-Jährigen soll die Familie als Mitglied der Taliban vor einigen Jahren genötigt haben, mit ihm auf Seiten des IS in den Krieg im Nordirak und in Syrien zu ziehen - da sollen sich Ehefrau und Sohn entschlossen haben, in den Iran und später in die Türkei zu fliehen. Der Sohn entschloss sich dann wohl 2015 zu weiterer Flucht über die Balkanroute nach Deutschland, wo er erstaunlich schnell sehr gute deutsche Sprachkenntnisse erwarb, wie gestern auch vom Gericht lobend herausgestellt wurde.
Leider nutzte der Mann vom Hindukusch diese eigentlich idealen Voraussetzungen für einen Start in ein neues Leben nur recht unvollkommen. Als er nach einer ersten Zeit in München im Landkreis Pfaffenhofen angekommen war, lernte er wohl eine junge Frau aus der Kreisstadt kennen, bei der er erstmals und dann angeblich immer drastischer Gelegenheit zum Alkoholkonsum bekommen haben will. Das bekam ihm überhaupt nicht: Häufig will er über den Durst getrunken und dann aggressiv geworden sein. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Freundin, aber auch zu diversen Körperverletzungen und zu einem Diebstahl, was auch zu ersten Verurteilungen führte.

Aus bis heute nicht recht ersichtlichen Gründen hatte der junge Mann dann im vorigen Juli in seiner Unterkunft in Geisenfeld Feuer gelegt und so einen Schaden von rund 20000 Euro verursacht. Er habe einfach "Mist gebaut", erklärte er gestern, ohne weitere Begründungen zu liefern. Weil er unmittelbar darauf in Haft genommen worden war, hatte sich allerdings auch eine einige Monate zuvor aufgenommene Ausbildung zum Pflegeassistenten in einem Altersheim erledigt.

Im Gefängnis kam es dann noch zur oben erwähnten schweren Körperverletzung: Weil er glaubte, dass ein Mithäftling seine Mutter verunglimpft habe, verpasste er diesem einen heftigen Faustschlag, der dem anderen Mann in der Folge zwei Monate daran hinderte, feste Nahrung aufzunehmen. Diese Straftat war vom Jugendschöffengericht in einem Abwasch mit der Brandstiftung abgeurteilt worden.
In der Berufungsverhandlung ging es gestern vor allem um die Frage, ob und wie schnell der Häftling in Freiheit wieder eine Wohnung und Arbeit, möglichst sogar eine Ausbildung findet. Bislang, so hielt ihm Vorsitzender Martin Sokoll vor, habe er allem Anschein nach im Gefängnis noch keine richtigen Zukunftspläne entwickelt.

Zum Glück hat sich allerdings ein Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe inzwischen eingehender mit dem Fall befasst. Der hat dafür gesorgt, dass die Stadt Geisenfeld dem dort gemeldeten Ausländer praktisch ab sofort ein Zimmer in einer Obdachlosenunterkunft bereitstellen will. Verteidiger Jörg Gragert hielt es für vertretbar, seinen Mandanten unter Auflagen wieder in die Freiheit zu entlassen, zumal bei einer Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils sicher auch keine Verbüßung der vollen Strafe zu erwarten wäre - und elf Monate sind ja herum.

Dieser Argumentation mochte sich die Jugendkammer nicht verschließen, auch wenn die Staatsanwältin zweieinhalb Jahre Haft gefordert hatte. Richter Sokoll verkündete nach längerer Beratung ein Urteil, das auf glatte zwei Jahre lautet, die gegen diverse Auflagen zur Bewährung ausgesetzt werden. Unter anderem muss der junge Afghane für die nächsten Jahre alle weiteren Schritte mit einem Bewährungshelfer abstimmen, sich sofort um Arbeit und möglichst schnell auch im eine stationäre Therapie zur Eindämmung seiner Alkoholprobleme bemühen.

Einen Nebenkriegsschauplatz hatte der Vorsitzende bei dieser Verhandlung ebenfalls zu beachten: Die Pfaffenhofener Bekannte des Afghanen hatte sich wohl trotz aller Probleme mit ihrem Freund weiterhin Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft gemacht und ihm viele Briefe und auch Geld in die Haftanstalt geschickt. Das Geld hatte der Inhaftierte gerne genommen, mit der Frau will er allerdings angeblich ansonsten auf keinen Fall mehr etwas zu tun haben.

Gestern war die 31-Jährige als Zeugin geladen, und der Vorsitzende machte es sich zur Aufgabe, der Frau die faktisch längst vollzogene Trennung des Paares wirklich bewusst zu machen. Weil die Zeugin nach Aussage des Angeklagten damit gedroht haben soll, den Afghanen für den Fall eines Beziehungsendes bei dessen inzwischen im Iran lebenden Familie zu kompromittieren, ließ Martin Sokoll in seiner ungewohnten Rolle als Scheidungsrichter auch noch eine Warnung folgen: Wer sich im Zuge eines Rosenkrieges zu Rufschädigungen oder gar Nötigungen hinreißen lasse, so der Strafrichter, der könne sehr schnell auf der Anklagebank landen.

Bernd Heimerl