Angst in Ingolstadt? Nicht spürbar

Vor der Betriebsversammlung bei Audi: Eine Umfrage am Wochen- und am Christkindlmarkt

08.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:48 Uhr
Haben viel Spaß in ihrer Stadt und sind noch zu klein für existenzielle Sorgen: Enes (7, vorne) und seine Schwester Hanife (10). −Foto: Hammer

Ingolstadt - Angst in Ingolstadt?

Nein. Und wenn doch, ist diese am Samstagvormittag auf den beiden wichtigsten Kommunikations-Börsen der Stadt nicht zu spüren. Auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus und auf dem benachbarten Christkindlmarkt im Schatten des Stadttheaters spielt die Betriebsversammlung bei Audi und die zu erwartenden Aussichten auf eine wie auch immer andere Zukunft kaum eine Rolle. Die Stimmung ist eher gut, trotz des unattraktiven Wetters. Von "Jammern auf hohem Niveau" bis hin zu "Wir haben schon ähnliche Krisen überstanden" reichen die Kommentare der Besucher, die sich trauen, ihre Meinung kundzutun. Doch kaum jemand möchte seinen Namen in der Zeitung lesen. Verständlich - vielleicht dann doch ein kleines Zeichen von Angst.

Ein älterer Herr sagt, "der Verschleiß an Vorständen in der vergangenen Zeit" sei nicht gut. Immer wieder kämen neue Chefs. Da würde doch keiner etwas entscheiden, weil er befürchten müsse, der nächste Chef finde es falsch. Und jetzt, wo der neue Vorstandsvorsitzende im Frühjahr kommt, "wird doch gar nichts mehr entschieden". Ein junger Mann, in der Technischen Entwicklung von Audi angestellt, sagt, nicht alle Abteilungen hätten wegen der Betriebsversammlung ein mulmiges Gefühl. "Wir in der TE haben viel zu tun. " Die derzeit fast ausschließlich Richtung E-Mobilität gehende Entwicklung in der Automobilindustrie hält er zumindest für überdenkenswert. "Ob dies die Technik der Zukunft ist? ", fragt er und meint, vernünftiger wäre es in seinen Augen, mehr in Richtung Wasserstoff zu forschen.

Auf dem Wochenmarkt sind natürlich auch "Nicht-Audianer" unterwegs. Jeder kennt das Thema, jeder erkennt, dass es Veränderungen geben wird und geben muss. Aber für manchen ist es auch ein guter Anlass, das "Jammern auf hohem Niveau" ins Gespräch zu bringen. "Wem geht es finanziell denn so gut wie Audi-Angestellten? ", fragt eine Frau. "Wer von uns hat denn eine so gute Absicherung - zum Beispiel mit der Arbeitsplatzsicherheit? " Viele Menschen müssten mit viel weniger auskommen und könnten trotzdem glücklich und zufrieden sein. "Ein Privileg für uns alle ist doch in den weltweit unruhigen Zeiten, dass wir hier nachts ruhig schlafen können. " "Die Audianer haben schon einen hohen Standard", sagt ein Mann im Vorbeigehen. Er macht aber trotzdem allen Mut: "Wir erinnern uns doch noch an die 90er-Jahre, als Audi auch in eine Krise gerutscht ist. Nachher standen sie besser da als vorher. "

Ein Niederstimmer denkt viel weiter als bis zur Betriebsversammlung am Montag. "Ich habe nie bei Audi gearbeitet, aber immer mitbekommen, dass kleine und mittelständische Betriebe immer wieder ihre besten Kräfte an Audi verlieren, und dass es schwer ist für die Firmen, wieder gute Kräfte zu finden. Vielleicht ist die Krise sogar gut für die Stadt und die Region und eben die kleinen Unternehmen, wenn es Audi nun ein bisschen weniger gut geht und nicht jeder, der irgendwo ausgelernt hat, zu Audi wechselt, weil er da mehr verdient. " Wobei er "Krise" relativiert: "Wir lesen doch nur, was in der Zeitung steht, Background-Wissen, wie es wirklich steht um Audi, haben sehr viele nicht. "

Aus Bad Kreuznach auf einen adventlichen Wochenendbesuch gekommen sind Sabine und Burkhard. "Wie es bei Audi ausschaut, wissen wir natürlich nicht. Wir lesen nur, dass die Automobilindustrie schweren Zeit entgegensteuert. " Burkhard meint, schon vor fünf Jahren hätten die Hersteller reagieren müssen. "Was ist denn aus dem Konsortium großer Energiehersteller geworden - in Sachen Stromgewinnung in Afrika? Eingestellt haben sie es. Die Stromerzeugung in Nordafrika geht nun der marokkanische König an. " Sabine und Burkhard glauben auch, dass es lange Jahre politisch nicht gewollt war und die Hersteller "zu wenig quer denken".

Am Stand von Biohof Mayer ist Birgit Obermeier zufrieden: "Unsere Kunden kommen nach wie vor, sie schätzen die guten Lebensmittel. " Sie sagt aber auch, dass in Ingolstadt besonders viele Menschen leben, die zu wenig Wert auf gesunde und gute Lebensmittel legen. Dennoch: "Einen Umsatzrückgang haben wir bislang nicht gespürt. " Ganz im Gegensatz zum Glühwein-Stüberl: "Wir merken es gewaltig, dass weniger los ist als im vergangenen Jahr. Vor allem während der Woche", sagt Stefan Marx. Es werde gespart, man trinke eben ein, zwei Glühwein weniger am Abend. Ob dies direkt mit der Situation bei Audi zu tun hat, könne er nicht beurteilen. Aber auffällig sei es schon.

Auf dem Viktualienmarkt sitzen die zwei Ingolstädterinnen Teresa und Verena. "Es ist bekannt, dass es Audi zur Zeit schlechter geht. Mein Mann arbeitet auch bei Audi, aber dass die Stimmung schlecht ist, hat er noch nicht gesagt", sagt Verena. Teresa gibt zu bedenken, dass Sparmaßnahmen, die sich auch auf das Gehalt auswirken, Familien - "mit Kindern und vielleicht auch eigenem Haus" - schon treffen und belasten können.

Ein Trio meint, die Stimmung sei in Ingolstadt nach wie vor positiv. Es gebe genügend Städte in Bayern, wo es den Menschen deutlich schlechter geht als den Ingolstädtern. Gut gelaunt war Bernhard, der bei einem Dienstleister für die Automobilindustrie arbeitet: "Wir stellen sogar Leute ein. " Die letzte Mitarbeiterbefragung habe ergeben, dass die Stimmung im Betrieb durchwegs positiv sei. Da zahle sich aus, dass die Firma "vor drei, vier Jahren" rechtzeitig auf die Themen E-Mobilität und autonomes Fahren gesetzt habe.

DK

Oliver Konze