Vohburg/Madurai
Analphabetentum kennzeichnet Schulsystem

Wo heute noch das Stöckchen geschwungen wird - Hochschulreife nach zwei Jahren Gymnasium: In Indien geht das

20.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:53 Uhr
Kein Vergleich zu deutschen Schulen: Die Schule von Kombai. −Foto: Bauer/Archiv

Vohburg - Andere Länder, andere Sitten - diesen Spruch kennt jeder.

Besonders gravierend sind diese "anderen Sitten", wenn wir einmal einen Blick auf Indien und sein Schulsystem mit derzeit rund 320 Millionen Schülern und enormen Qualitätsunterschieden werfen. "Schulpolitik ist dort, wie bei uns, Ländersache", weiß der Vohburger Johann Bauer, der Vorsitzende des Vereins "Zukunft für Madurai". Dieser Verein kümmert sich seit zehn Jahren um Schüler und Schülerinnen in Bundesstaat Tamil Nadu ganz im Süden Indiens. "Die Analphabetenquote liegt dort weit unter 10 Prozent, in anderen Bundesstaaten beträgt sie über 40! "

In Indien herrscht staatliche Schulpflicht. Trotzdem sind etwa 25 Prozent der Inder (18 Prozent der Männer, 35 Prozent der Frauen) offizielle Analphabeten. Bauer: "Die Dunkelziffer, vor allem auf dem Lande, dürfte wesentlich höher liegen. " Und alphabetisiert bedeutet noch lange nicht lesen und schreiben nach unseren Maßstäben.

Wie kommt das? Pfarrer George Stephen, vor zehn Jahren Urlaubsvertretung in Vohburg, kommt aus Sinderlacherry, einer 6000-Seelen-Gemeinde ungefähr 130 Kilometer südwestlich von Madurai. Die nächste staatliche Schule dort auf dem Lande liegt rund 70 Kilometer entfernt.

Wie sehen solche Landschulen aus? Bauer: "Nicht selten ist es ein gestampfter Lehmboden (voll mit Ungeziefer). An zwei oder drei Seiten gibt es in Wetterrichtung eine gemauerte Wand, eine davon mit der Tafel. Die anderen Seiten sind etwa 1,5 Meter hohe Pfähle oder Holzboxen mit einem Tor. Ein Lehrer unterrichtet, wenn er überhaupt da ist, die fünf Grundschulklassen. " In Indien wird man mit fünf Jahren zum Ganztagsunterricht eingeschult. Schuluniform ist Pflicht. In der Schule gibt es auch Pausenbrot und Mittagessen mit Getränken. Oft aber können Kinder am Ende der Grundschule weder richtig lesen noch schreiben oder gar rechnen. "Hinzu kommt als Schwierigkeit, dass es in Indien über 500 Sprachen/starke Dialekte gibt. Nach Möglichkeit lernt man Hindi, das ist die häufigste Sprache und Amtssprache des Staates (neben Englisch). Anerkannt sind regional weitere 22 Sprachen. "

Grundschullehrer (ihre Ausbildung besteht im zweijährigen Besuch einer Lehrerausbildungsanstalt), verdienen im Monat zwischen 200 bis 300 Euro. Sie lassen sich oft durch ältere Schüler vertreten und geben teuren Privatunterricht. Ein Gymnasiallehrer kommt auf etwa 500 Euro, erzählt Bauer. Zur Ausstattung eines Lehrers gehört auch das Stöckchen, das nicht selten ("Das habe ich selbst beobachtet") auf den Kopf geschlagen wird. Das "fördert" mit Sicherheit nicht den Lerneifer.

Und in Sinderlacherry? Dort gibt es seit über 100 Jahren eine katholische Grund- und Hauptschule und ein Gymnasium. Die Lehrerinnen für Grund- und Hauptschule werden von der Diözese Madurai bezahlt, die Gymnasiallehrer (sie benötigen ein Bachelorstudium) müssen selbst bezahlt werden. Auch müssen laufende Kosten gedeckt werden. So kostet der Schulbesuch dort in der Grundschule etwa 8 Euro und in der Hauptschule je nach Jahrgang 20 bis 50 Euro - wohlbemerkt im Jahr. Für das Gymnasium zahlt man 80 Euro. English Schools verlangen anderenorts ein Vielfaches. Aber das können sich viele Eltern, vor allem, wenn sie als Hindi in der 4. Kaste oder gar Kastenlose (Parias) sind, bei einem Tagesverdienst einer Frau von rund 3 bis 5 Euro, nicht leisten.

Hat nun ein(e) Schüler(in) die ersten fünf Jahre hinter sich gebracht, kommt das Kind in die Hauptschule, geplant für weitere fünf Jahre. Allerdings werden in diesem Zeitraum viele Kinder von der Schule genommen (teils unter Bestechung des Lehrers). Buben sollen auf den Feldern oder in Steinbrüchen als Billigstarbeitskräfte zum Unterhalt der Familie beitragen, Mädchen werden nicht selten, wenn sie die erste Periode hatten, verheiratet oder zur Prostitution geschickt. In der Hauptschule kann man auch Englisch lernen. Problem Nummer 1: Englisch verwendet ganz andere Buchstaben als etwa Hindi oder Mayalayam. Wird ein Kind in diesen fünf Jahren von der Schule genommen, hat es einen Hauptschulabschluss mit Jahresangabe (beispielsweise "VII Standard"). "Schafft es die fünf Jahre ganz, hat es die Mittlere Reife, wobei diese kein Vergleich zu unserer Mittleren Reife ist. Wer dann ein sehr gutes Zeugnis hat und entsprechende Eltern oder Förderer, der kann jetzt für zwei Jahre ein Gymnasium besuchen, das mit Abitur und damit Hochschulreife endet. Auch dieses Abitur ist mit unserem nicht vergleichbar. Das Niveau entspricht vielleicht unserem M-Zug oder dem Quali. "

Zurück nach Sinderlacherry. Hier, wie auch in ganz Indien, geben Eltern, die es sich leisten können oder deren Kinder einen Paten haben, ihre Kinder bevorzugt in religiöse (christliche oder moslemische) Schulen, denn dort herrscht mehr Lehrbetrieb als in öffentlichen Schulen, und die Lehrkräfte sind besser ausgebildet. Der Staat fördert auch den Bau solcher privater Schulen, um dem Analphabetentum Herr zu werden. Beispiel: Sieben Kilometer von Sinderlacherry entfernt liegt das Dorf Kombai. Bauer: "Von dort mussten die Kinder täglich den Weg in die Schule nach Sinderlacherry gehen. Dann hat die katholische Kirche ein Grundstück zur Verfügung gestellt, Staat und unser Verein haben sich die Kosten 50:50 geteilt. So entstand eine moderne Grundschule (ein großer Unterrichtsraum) mit Stufenaufgang (wegen der Tiere), gefliestem Boden (wegen des Ungeziefers), elektrischer Beleuchtung und separaten Toiletten für Buben und Mädchen. Was uns das gekostet hat? Ganze 3000 Euro! "

Wer ein Kind oder eine Schule unterstützen will, bekommt Information bei Johann Bauer, Starenweg 2, 85088 Vohburg. Infos gibt es auch auf www. Zukunft-für-Madurai. de.

DK

Johann Bauer