Ingolstadt
Alles unter Kontrolle

4. Chinatag mit spannenden Einblicken in die Chancen, aber auch Risiken der Industrie 4.0

15.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:58 Uhr
Viele chinesische Gäste: In Audis Museum mobile blieb auch Zeit für Erfrischungen und Smalltalk. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Das Thema Industrie 4.0 ist spannend genug. Wenn man es sich aus Sicht der künftigen Wirtschaftsmacht Nummer 1 erläutern lässt, wird die Sache nochmals aufregender. Insofern hat der 4. Bayerische Chinatag in Audis Museum mobile gestern manchem Besucher erst so recht eröffnet, wie rasant bei der industriellen Fertigung in nicht mehr allzu ferner Zukunft die Post abgehen könnte.

Ingolstadt hat sich vor drei Jahren zum Bayerischen Chinazentrum aufgeschwungen, das von hiesigen Entwickler- und Gründerzentrum (EGZ) aus koordiniert wird. Dessen Geschäftsführer Hannes Schleeh freute sich gestern im Audi-Forum über einen gut gefüllten Vortragssaal. Etwa 150 Vertreter aus der Wirtschaft, teils auch aus dem weiteren bayerischen Umland und etwa zur Hälfte aus chinesischen Firmen, die im Freistaat Fuß gefasst haben, wollten sich durch Vorträge bei einem der wichtigsten Zukunftsfelder ins Bild setzen lassen.

Allein im EGZ hat sich die Zahl chinesischer Start-ups und Ableger von Unternehmen aus der Volksrepublik inzwischen auf 18 (von etwa 60 jungen Firmen insgesamt) erhöht. Mancher Beobachter glaubt bereits, dass diese Fördereinrichtung für Existenzgründer angesichts der gegenwärtigen Zurückhaltung unter potenziellen bayerischen Bewerbern ohne die Chinesen längst nicht mehr so tragfähig wäre. Ein zweites Standbein fürs Chinazentrum sind fraglos die gedeihlichen Kontakte mit der Partnerstadt Foshan. Diese Woche hat sich gerade eine rund 20-köpfige Delegation aus der ostchinesischen Metropole mit vielen Unternehmern in Ingolstadt aufgehalten und etliche neue Kontakte geknüpft.

Das Vortragsprogramm im Audi-Forum wurde gestern mit Grußworten des stellvertretenden Generalkonsuls der Volksrepublik in München, Cai Hao, und von Bürgermeister Sepp Mißlbeck eröffnet, der kurzfristig für OB Christian Lösel eingesprungen war. Cai betonte die beständig ausgebauten Handelsbeziehungen Chinas zu Deutschland und speziell zu Bayern, die inzwischen einen Höchststand erreicht und angestammte Verflechtungen mit westlichen Handelspartnern längst übertrumpft haben. Mißlbeck unterstrich vor allem die Chancen, die sich daraus gerade auch für mittelständische heimische Unternehmen ergeben, die aber vor allem einer Gesamtstrategie und der Begleitung durch Wirtschaftsverbände und Politik bedürften: "Eine Herausforderung, die kein Unternehmer allein bewältigen kann."

In den Vorträgen wurde dann gezeigt oder doch zumindest angedeutet, wie Industrie 4.0 in einer wohl nicht mehr weit entfernten Zukunft ausschauen könnte (oder sogar wird). Die Schaubilder, die Professorin Xiumin Fan von der Schanghai Jiao Tong Universität im Rund des Audi-Saales zum Stand ihrer Forschungen auf die Leinwand projizieren ließ, verdeutlichten auch die Mentalität, mit der man in der streng gelenkten Volksrepublik neue Fertigungsstraßen entwickelt: Die Fabrik der Zukunft soll dank vollständig digitalisierter Abläufe nicht nur hocheffektiv und jederzeit für Produktumstellungen bereit sein, sondern sie soll anhand der Auswertung der an allen Ecken und enden auszulesenden Daten auch selbstlernend sein und sich über Big-Data-Analysen quasi fortlaufend optimieren.

Dass die Menschen, die in einem Schaubild immerhin noch als Erfüllungsgehilfen dieser perfekten Maschinenwelt zu erkennen waren, nach chinesischer Lesart ebenfalls einer ständigen Kontrolle und Bewertung durch Datenanalyse unterworfen sind, dürfte manchen einheimischen Betrachter mit Sorge erfüllt haben: Die so gegebene dauerhafte Observierung und Effektivitätsbewertung der Beschäftigten ist ein Faktor, der aus westlicher, zumal aus europäischer Sicht mit Sicherheit sehr viel kritischer betrachtet wird und hiesigen Arbeitsforschern und den Gewerkschaften ja auch bereits Bauchschmerzen bereitet.

Die Veranstaltung war freilich nicht dazu gedacht, die Industrie 4.0 zu verteufeln. Im Gegenteil: Franz Böhnlein, Planungschef für internationale Projekte der Audi AG, zeigte auf, wie der Ingolstädter Automobilhersteller bereits jetzt dabei ist, digitale Technik in der Produktion, aber auch bei der Entwicklung neuer Fertigungskonzepte und künftiger Werksstrukturen einzusetzen und zu vervollkommnen - immer wieder auch zum Wohl der Mitarbeiter, die sich zunehmen auf die Unterstützung durch Roboter bei besonders mühsamen oder monotonen Arbeitsabläufen verlassen können.

Der Themennachmittag klang mit einer Podiumsdiskussion und einem anschließenden Abendessen aus, bei dem die Knüpfung neuer oder Vertiefung bestehender Kontakte zwischen bayerischen und chinesischen Unternehmern angesagt war.

Bernd Heimerl