Obereichstätt
Widerstand als Reiz

Es gibt wieder Führungen durch den Alf-Lechner-Skulpturenpark in Obereichstätt und das Museum in Ingolstadt

02.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:15 Uhr
  −Foto: Mayer

Obereichstätt/Ingolstadt - Endlich!

Nach der Covid-19-bedingten Pause gibt es diesen Sonntag wieder eine Führung durch den Skulpturenpark von Alf Lechner in Obereichstätt - in Kombination mit einem Besuch im Lechner-Museum in Ingolstadt. Die Gesundheitsämter in Eichstätt und Ingolstadt haben das Hygienekonzept der Alf-Lechner-Stiftung und des Kulturreferats Ingolstadt bewilligt.

Die Führungen sind strikt auf nur 20 Personen beschränkt, die erste Führung war bereits ausgebucht. Wegen der großen Nachfrage hat Kurator Daniel McLaughlin mit seinem Team jetzt noch eine Reihe weiterer Termine an Fronleichnam, 11. Juni und am Sonntag, 14. Juni, auf die Beine gestellt. Beginn ist jeweils um 14 Uhr in Ingolstadt und um 16 Uhr in Obereichstätt. Die Teilnahme ist coronabedingt nur nach Anmeldung möglich per Telefon im Lechner-Museum unter der Nummer (0841) 305 22 50 oder per Mail an info@alflechner-stiftung. com, auch die Namen der Teilnehmer müssen erfasst werden.

Eigentlich sollten die Führungen im Rahmen der Ausstellung von Rupprecht Geiger und Alf Lechner "Rot trifft Stahl" (Rot X Stahl) seit dem 20. Februar alle vier Wochen stattfinden. Doch nur die eine gab es bisher noch, bevor Corona kam. Ende Februar, an einem Sonntagnachmittag, kurz vor 13 Uhr: Es windet, die Temperaturen an der Null-Grad-Grenze. Maria-Luisa Görge, die seit über 17 Jahren den Besuchern das Werk von Alf Lechner näherbringt, freut sich über die vielen Gäste, die ihr dennoch im Skulpturenpark in Obereichstätt in den folgenden anderthalb Stunden förmlich an den Lippen hängen werden. Ein Lechner-Zitat aus dem Jahre 2016, ein Jahr vor seinem Tod, drängt sich auf: "Kunst kann entstehen, wenn die Neugierde groß ist, wenn sie den Menschen nicht mehr in Ruhe lässt. "

An keinem Ort kann man das vielfältige ?uvre Alf Lechners eindrucksvoller erleben als in Obereichstätt. Der Ort, der ihm und seiner Frau Camilla seit 2001 zur neuen Heimat geworden ist. Hier hat Lechner bekanntlich in einem aufgelassenen alten Steinbruch auf dem Gelände des ehemaligen Königlich-Bayerischen Eisenhüttenwerks einen einzigartigen Skulpturenpark angelegt, der mittlerweile Weltruf genießt.
Das beweist allein schon die Tatsache, dass eine der bedeutendsten deutschsprachigen Wochenzeitungen, Die ZEIT, nun im Frühjahr 2020 eine Sonderbeilage der WELTKUNST unter dem Titel "Kunst aus Stahl" herausgegeben hat. Und man mag beziehungsweise muss der Autorin darin natürlich zustimmen, wenn sie schreibt, dass man es kaum glauben könne, was für einen beeindruckenden Ort Lechner hier aus dem heruntergekommenen Areal gemacht habe.

Wo seit dem Mittelalter Eisenplatten und Kanonenkugeln gegossen, und noch bis 1932 Eisen verhüttet wurde, fügen sich heute Lechners Monumentalwerke wie Bausteine eines Gesamtkunstwerks in die schroffe Naturkulisse des terrassenförmig und übersichtlich angelegten Geländes ein. Entstanden ist ein einzigartiges und aufsehenerregendes Areal, ein Erlebnis-Ort für die ganze Familie.
Ordnung, ein Wort, das sich wie ein roter Faden durch das bewegte Leben von Alf Lechner zieht. 1925 in Schwabing geboren, wuchs Alf Lechner in der Mandlstraße am Englischen Garten in München auf. Lechners Mentor, der Landschafts- und Marinemaler Alf Bachmann, der im gleichen Haus wohnte, hat ihm nicht nur das Malen und Zeichnen beigebracht, sondern auch das Sehen gelehrt, hatte Lechner einmal erzählt. Als er als 20-Jähriger nach Kriegsmarine und Gefangenschaft wieder nach München zurückgekehrt war, zeichnete und malte er als einziger Schüler des bodenständigen Landschaftsmalers bis 1948 weiter. Lechner lernte die Natur in all ihren Stimmungen und vielfältigen Lichtverhältnissen wiederzugeben, der Essenz der Natur nachzuspüren.

Dies war auch die Voraussetzung für sein späteres Werk als Bildhauer, indem er den Werkstoff Stahl in all seinen Formen und Möglichkeiten als Werkstoff und Industrieprodukt bis an die Grenzen des technisch Machbaren erkundet hat. Dabei entwickelte er seine Liebe zu einer besonderen Farbe, dem Rost. "Rost ist eine Farbe, die man nicht von außen aufträgt, sondern die von innen herauswächst. Der Stahl rostet, der Stahl lebt", so Lechner.

Dies kann man als Besucher in Obereichstätt zu den verschiedenen Jahreszeiten und bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen erleben. Die Oberflächen der Skulpturen ändern sich stark, wenn es regnet, sie haben im Sommer ein anderes Gesicht als im Winter. Am Pfingstsonntag wird ein Rundgang daher auch wieder anders wirken als im Februar.

Doch Lechner ging es in seiner Kunst um mehr: "Die Gegenwartskunst reflektiert den Zustand in unserer Gesellschaft. Wenn wir uns mit dieser Kunst nicht auseinandersetzen, kann es passieren, dass wir diesen Zustand nicht erfahren. "

Stahl war für Lechner der spannendste Werkstoff unserer Zeit. Lechner war Stahlbildhauer, sein Medium war Stahl. Eine Verbindung, die sich in gegenseitigem Respekt, ja höchster Verehrung, aber auch in einem nie enden wollenden Dialog und Austausch gegen alle Widerstände zwischen Künstler und Material kundtat, was Lechner einmal so zum Ausdruck gebracht hatte: "Was keinen Widerstand hat, interessiert mich nicht. " Lechner hat mit dem Material in erster Linie experimentiert. So hat er einen massiven Stahlzylinder bei 1500 Grad erhitzt und ihn anschließend in ein Ölbad getaucht. Als "kalkulierten Zufall" hat Lechner diese Vorgehensweise bezeichnet. Sogar die Fachleute waren anfangs irritiert, aber Lechner wusste, dass das Material reißt, bricht. Aber er wusste nicht, was und wie das finale Ergebnis sein würde, dennoch gab er seinem Material Spielraum und testete dabei die Extreme aus. "Mich interessieren Grenzen, und die überschreite ich dann", hat er noch zwei Jahre vor seinem Tod in einem Gespräch gesagt.

Tatsächlich: Von weitem sieht die in einem höchst komplizierten Arbeitsprozess produzierte Skulptur, zu der es die Besuchergruppe im Laufe der Führung drängt, aus wie zwei von einem riesigen Beil gespaltene Holzstücke, eben eine "Poesie des Zufalles". Lechner erlaubte dem Stahl, seine eigene Gestalt mit zu formen. Wenn man im Skulpturenpark in Obereichstätt die Wege zu den oberen Plateaus beschreitet, begegnet einem an einer Wegbiegung eine eher untypische Skulptur für Lechner: eine kleine luftige Stahlskulptur auf einem Steinblock, einer Klaviatur ähnelnd oder doch die Fittiche eines Adlers?

Der Künstler gibt mit seinem Kunstwerk, Leichtigkeit und Schwere symbolisierend, Raum für Vermutungen, Spekulationen. Dann strahlt bereits die Wucht der anderen massiven Skulpturen auf dem Weg zum Glashaus der Besuchergruppe entgegen.

Das weit geöffnete Eingangstor lädt zu einer besonderen Entdeckung ein: "Geteilte Zeitteilung" heißt die Installation, die aus 32 Stelen von knapp zwei Metern Höhe und jeweils einer Tonne Gewicht besteht. Keine der abgeflammten und gesägten Stelen gleicht der andern an diesem Ort, der raumfüllend kontemplative Ruhe und Konzentrierung ausstrahlt. Die wie erstarrter flüssiger Stahl oder fließendes Wasser wirkende Oberfläche steht im starken Gegensatz zur Ordnung der Elemente im Raum. "Die Ordnung ist die Lust der Vernunft, aber die Unordnung ist die Wonne der Fantasie", zitiert Görge passend den französischen Dichter Paul Claudel.
Geplant hat Lechner seine Werke mit Zeichnungen und Modellen. Da er über tausend Modelle geschaffen hat, brauchte er auch ein Modellhaus, das er noch kurz vor seinem Tode fertiggestellt hatte. Nach ersten Zeichnungen entstanden Modelle aus Hartstyropor. Wenn das Ergebnis zufriedenstellend war, fertigte er schließlich ein Stahlmodell an, um den wahren Charakter des neuen Werkes besser erfahren zu können.

Wesentlich und wegweisend waren fortwährend Würfel und Quadrat. "Lechner hat einen Kubus genommen und ihn mit einem Schnitt auseinanderdividiert", so Görge. Damit begann er, neu zu kombinieren, Selbstverständliches neu zu sehen und zu denken. So sagte er beispielsweise selbst: "Trennen und Zusammensetzen scheint ein Widerspruch zu sein. Tatsächlich ist es eine Lebensnotwendigkeit. "
Alles andere als widersprüchlich ist der Skulpturenpark in Obereichstätt, der, nachdem man ihn treppauf von einem oberen Plateau aus betrachtet, nun auf den Besucher wirkt. "Gigantisch! Phänomenal! Beeindruckend! ", hört man es leise murmeln.

Alf Lechner ist besonders bekannt für die fast 80 Skulpturen im öffentlichen Raum in Deutschland: in München am Gasteig, im Westpark, vor der Alten Pinakothek und sein wohl vielleicht berühmtestes am Franz-Josef-Strauß-Airport: "In München starten, in München landen", hat Alf Lechner seine bislang größte Skulptur, aufgestellt nahe des Besucherparks, genannt.
Fast am Ende des Rundgangs steht die Visite im Papierhaus, einem in einen Ausstellungsraum umfunktionierten ehemaligen Kuhstall aus dem 16. Jahrhundert, in dem grafische Werke beider Künstler gezeigt werden. Darunter auch Geburtstagsgeschenke, die Alf Lechner und Rupprecht Geiger für den jeweils anderen gefertigt haben. In Vitrinen sind Originale einiger Künstlerbücher der beiden Großmeister der Abstraktion zu sehen.
Und erst dann folgt der wahre Höhepunkt: Es geht es in die große Ausstellungshalle, die 2013 eröffnet wurde. Sie ist die größte in Privatbesitz befindliche Ausstellungshalle für Skulpturen in Deutschland. Alf Lechner hat sie erbaut, weil seine monumentalen und schwergewichtigen Werke viel Platz benötigen. Die Dimensionen sind gigantisch, der Boden so fest, dass er pro Quadratmeter ein Gewicht von bis zu 100 Tonnen tragen kann. Von den Ausmaßen ist diese Halle, bei der sich das Dach für die allergrößten Kunstwerke öffnen lässt, lediglich mit der Turbinenhalle der "Tate Modern" in London oder dem "Guggenheim Museum" in Bilbao vergleichbar.
Das Lebenswerk von Alf Lechner lebt weiter, nicht nur in Obereichstätt: Nach Einzelausstellungen von Lechner in Burghausen und bei der Galerie Nagel Draxler in Berlin im vergangenen Jahr hat vor wenigen Wochen, bereits im Zeichen der Corona-Krise, sein Sohn Daniel McLaughlin, zugleich Kurator der 1998 gegründeten Alf-Lechner-Stiftung, eine Galerie in Berlin in der Linienstraße 32 mit einer Ausstellung von Rupprecht Geiger und Alf Lechner eröffnet. In Anlehnung an die Jubiläumsausstellung in Ingolstadt und Obereichstätt trägt sie den Titel "Orange X Stahl". Die Ausstellung in Berlin ist noch bis 20. Juni zu sehen.

HK