Obermässing
Vom Leben ohne Internet

Gäste tragen am bundesweiten Vorlesetag in der Grundschule Obermässing fantasievolle Texte vor

15.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:58 Uhr
"Die kleine Spinne Widerlich" merkt, dass Vorurteile meistens fehl am Platz sind. Silke Holzinger liest aus dem reich illustrierten Buch vor. −Foto: Luff

Obermässing (HK) Das Vorlesen sei "das Startkapital für Grundschulkinder". Das sagt Richard Lutz, Beiratsvorsitzender der Deutsche-Bahn-Stiftung, die den bundesweiten Vorlesetag mit Partnern initiiert hat. Gestern fand er wieder statt, zum 15. Mal. Die Grundschule Obermässing war zum zweiten Mal dabei.

Die meisten Vorleser, die an diesem Tag in die Schule kommen, sind den Kindern bekannt - ob Bürgermeister Manfred Preischl, Marion Metzger, die Vorsitzende des örtlichen Obst- und Gartenbauvereins, die Elternbeiratsvorsitzende Silke Holzinger oder Josef Linsmeier und Daniela Hanel, Mitarbeiter der Bücherei. Einzig Schulrat Alexander Schatz ist nahezu fremd. "Das ist quasi mein Chef", sagt Christian Hobauer, worauf die Kinder große Augen bekommen. Der Schulleiter hat einen Chef?

In der Tat. Und dieser stellt mit seiner Buchauswahl unter Beweis, dass er ganz nah ist am Puls der Zeit, denn mit "Der Tag, an dem die Oma das Internet Internet kaputt gemacht hat", greift er auf den Shooting-Star der deutschen Literaturszene zurück: Marc-Uwe Kling, der Intellektuelle unter den Comedy-Autoren, bekannt vor allem durch seine Reihe mit einem sprechenden Känguru, hat ein Kinderbuch herausgebracht, in das er wiederum herrlich abstruse Situationskomik verpackt. Denn durch ihr wildes Klicken am PC zerstört die Oma das Internet. Nichts geht mehr, weltweit. Luisa kann keine Musik mehr hören, Opa kann nicht mehr fernsehen, Max kann keine Nachrichten mehr verschicken und Mama und Papa können nicht mehr arbeiten. Mit Gratispizza - der Bote hat die richtige Adresse wegen des ausgefallenen Navis nicht gefunden - und einem Kofferradio machen es sich die Familienmitglieder gemütlich. Wie in der guten, alten Zeit.

Als Schatz zum Lesen aufhört, erntet er Protest: "Die Musik hat noch gar nicht angefangen." Sie gibt nämlich das Zeichen für jede der sechs Gruppen, unterteilt in zwei Altersstufen - zum Zimmerwechsel. Doch Schatz gibt den Pädagogen: "Wir wollen noch reden über das Buch."

Manfred Preischl liest wenige Türen weiter Erst- und Zweiklässlern vor. Herausgesucht hat er sich "Ein großer Freund" von Babak Saberi. Darin ist ein Rabenmädchen überglücklich, dass es endlich einen Freund gefunden hat. Die Mutter dagegen kann es nicht fassen: Ausgerechnet ein Elefant! Das kann nicht gut gehen. Doch ihre vorgebrachten Argumente zerpflückt der junge Rabe; dass der Vogel nicht "elefantisch" spricht - egal. Der Größenunterschied? Nur eine Sache der Perspektive. In ruhig-bedächtigem Ton trägt der Bürgermeister vor, zeigt den Kindern immer wieder die fantasievollen Bilder. Und präsentiert den Kleinen kindgerecht Vorbilder für Offenheit, Toleranz und soziale Fantasie.

Eine Botschaft hat auch die Elternbeiratsvorsitzende Silke Holzinger im Gepäck, die "Die kleine Spinne Widerlich" vorträgt. Das süße, liebevoll gezeichnete Wesen will herausfinden, warum die Menschen Angst vor Spinnen haben. Auf ihrer Reise fragt sie viele Freunde und Verwandte um Rat, und jeder hat eine andere Antwort auf ihre Frage. Onkel Langbein etwa - das ist ein Weberknecht, wie ein Junge richtig vermutet - tippt darauf, dass es an den acht Beinen liege, "Menschen stolpern doch schon über ihre zwei". Tante Igitte dagegen hat festgestellt, dass die Menschen sie in Ruhe lassen, wenn sie ihr Netz im Freien spinnt. So nach und nach wird der kleinen Spinne eines klar: Man hat nur Angst vor Dingen, die man nicht kennt und nicht versteht. Und dagegen lässt sich etwas tun.

Tun sollen auch die Kinder etwas, findet Rektor Hobauer. Sich an diesem Tag motivieren lassen, zu Hause nach dem Buch zu greifen und zu lesen. Oder sogar dem kleinen Geschwisterchen vorzulesen. Doch scheint der Weg noch weit zu sein. Denn als Schulleiter Schatz später fragt, was man den unternehmen könne, wenn das Internet ausfällt, haben die Kinder viele Ideen. Gesellschaftsspiele. Fußball. Treffen mit Freunden. Aufs Lesen jedoch kommt an diesem Vorlesetag niemand.

Volker Luff