Thalmässing
Thalmässinger Beobachter des Hauptkriegsverbrecherprozesses

Der Maler Erwin Oehl blieb lebenslang ein Kämpfer gegen Rechtsextremismus Nächstes Jahr wird sein 110. Geburtstag gefeiert

06.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:13 Uhr

Diese beiden Bilder von Erwin Oehl sind im Besitz des Landkreises und hängen im Haus des Gastes in Hilpoltstein. Die Entwurfzeichnung für "Apatride" (links, der Titel ist die französische Bezeichnung für internierte Ausländer) wurde 1942 gemacht und befindet sich in der Sammlung von Gerd Gruber, die im Verzeichnis national wertvollen Kulturguts aufgeführt ist. Das rechte Bild stellt Louise Oehl dar. - Fotos: Frank

Thalmässing (HK) Im Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalasts ist vor 70 Jahren Weltgeschichte geschrieben worden. Am 30. September und 1. Oktober wurden dort die Urteile im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges verkündet, es war quasi die Geburtsstunde des Völkerstrafrechts und damit Vorläufer des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Das Militärtribunal gegen führende Köpfe des nationalsozialistischen Deutschlands wie Hermann Göring, Rudolf Heß oder Martin Bormann war seinerzeit auch ein Medienereignis ersten Ranges, unter vielen anderen waren der spätere Bundeskanzler Willy Brandt und die Tochter Tomas Manns, Erika Mann, akkreditiert. Und ein Thalmässinger: Erwin Oehl.

Erwin Christ Nikolaus Oehl (10. Juni 1907 - 22. November 1988) war in Thalmässing geboren und lebte seinerzeit auch wieder hier. Der Kunstmaler und Porträtist hatte Malerei in München, Berlin und Wien studiert und nahm seit seinem Studium zu zeitkritischen Themen Stellung in Bild und auch Wort. Er zeichnete im Prozessverlauf Porträts der Teilnehmer und insbesondere der Verteidiger. Einige der Porträts wurden damals in der Zeitung veröffentlicht.

Erwin Oehl und seine Ehefrau Louise waren zuvor im Nationalsozialismus politisch verfolgt und inhaftiert gewesen. Er hatte wie 1600 Künstler in Deutschland Berufsverbot erhalten. Als "entartet" verfemt, wurde er vom öffentlichen Kunstgeschehen ausgeschlossen. Er sowie seine ebenfalls verfolgte Partnerin emigrierten nach Frankreich. Dort schlossen sie ihre Ehe. Erwin Oehl hat 1937 in Paris an der Weltausstellung im Pavillon des Friedens mitgearbeitet. Als die deutsche Wehrmacht 1940 in die französische Hauptstadt einmarschierte, wurde das Ehepaar Oehl erneut verhaftet und eingesperrt. Oehls Ehefrau Louise war dann bis Kriegsende insgesamt 59 Monate inhaftiert - in München, Stadelheim und im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Erwin Oehl hatte man nach seiner Haftentlassung zum Kriegsdienst an die Front geschickt. Er kam nach seiner Entlassung aus US-amerikanischer Gefangenschaft im Frühsommer 1945 in seinen Heimatort Thalmässing zurück. Hier baute er zunächst einen antifaschistischen Ortsverband auf, der sich bald zu einem antifaschistischen Bezirksausschuss in Hilpoltstein erweiterte. Auf Anordnung der Militärregierung durften ab Ende 1945 Parteien gegründet werden. Die Spaltung der Arbeiterbewegung vor 1933 hatte nach Oehls Meinung das Aufkommen der Nazis erleichtert. Nun sollte eine einheitliche Arbeiterpartei gegründet werden. Aber der Gründungsakt verlief turbulent: Auf ein und derselben Versammlung konstituierten sich schließlich SPD und KPD; Oehl schloss sich der KPD an. Nach dem Entnazifizierungsgesetz wurde er Beisitzer der Spruchkammer Hilpoltstein unter dem Vorsitzenden Richard Stücklen.

Das Ehepaar lebte einige Jahre in Thalmässing, bevor es erneut und endgültig nach München zog. Erwin und seine Ehefrau waren mit ihrer kommunistisch orientierten Meinung die sie bis an ihr Lebensende vertraten, für einige Leute nicht gerade bequem. Erwin Oehl übte zudem auch an Vertretern der neuen Regierung wie am bayerischen Kultusminister Alois Hundhammer Kritik, erneut drohte ihm Verhaftung.

Erst in den Jahren nach seinem Tod wurde über das Leben von Erwin und Louise Oehl in den Medien mehr publiziert. Die Dokumentarfilmerin Katrin Seybold drehte 1998 den Film "Nein! Zeugen des Widerstandes in München 1933-1945", in dem Menschen mit Zivilcourage zu Wort kamen, darunter auch Louise Oehl. Von Mai bis Ende August 2015 gab es in München eine Sonderausstellung mit dem Titel "Das Unsagbare zeigen: Künstler als Warner und Zeugen 1914-1945". Dort hingen auch Exponate von Erwin Oehl. Diese stammten aus der Sammlung von Gerd Gruber aus Wittenberg, die in der Datenbank "national wertvolles Kulturgut" aufgenommen worden ist. In Internationalen Veröffentlichungen wie "Echoes of Exile Moscow Archives and the Arts in Paris 1933-1945", in "The Miracle Years. A Cultural History of West Germany, 1949-1968" wird der Name des Künstlers Erwin Oehl mit Respekt genannt.

Posthum erscheinen Erwin Oehls vor allem zeitkritische Bilder jetzt immer wieder in Ausstellungen und Veröffentlichungen. Zudem war Erwin Oehl Heimatforscher, Mitglied der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg und Sammler. Seine besten Freunde waren die Heimatkundler Franz Xaver Kerl (genannt Dr. Opalinus) und der Pfarrer Walter Grieshammer aus Thalmässing. Exponate des Heimatforschers und Sammlers Erwin Oehl befinden sich übrigens in der Prähistorischen Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums in München. Außerdem gibt es im Museum Schloss Ratibor der Stadt Roth eine sehenswerte Keramik-Sammlung des Erwin Oehl. Der Landkreis Roth besitzt einige Bilder des Malers.