Abenberg
Sehr locker und unkompliziert

Der sechste Abenberger Turmschreiber Leonhard F. Seidl stellt sich vor - Gemeinsame Lesung mit Vorgängerin Tanja Kinkel

10.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:03 Uhr
Mit Vorgängerin Tanja Kinkel liest Leonhard F. Seidl eine Geschichte mit verteilten Rollen. −Foto: Unterburger

Abenberg - Es ist eine entspannte Eröffnungslesung mit dem sechsten Turmschreiber Leonhard F. Seidl im neuen Abenberger Bürgersaal gewesen, wo die Corona-Abstandsregelung problemlos eingehalten werden konnte.

 

Der 44-Jährige gab einen kleinen Einblick in sein literarisches Werk und plauderte gut gelaunt über sich, über das Schreiben und über die Literatur im Allgemeinen.

"Der neue Turmschreiber ist sehr locker und unkompliziert", verriet Kulturamts-Chef Horst Binder schon im Vorfeld der Lesung im Gespräch mit unserer Zeitung. Diese Einschätzung bewahrheitete sich, als Leonhard F. Seidl von Bürgermeisterin Susanne König willkommen geheißen wurde. "Das Besondere am Abenberger Turmschreiber ist: Er produziert Werke über die Stadt Abenberg und ihre Ortsteile", erklärte die Bürgermeisterin, "so entsteht ein wahrer Schatz an Literatur, die Abenberg in den Mittelpunkt stellt. " Um dem neuen Turmschreiber zuzuhören, waren auch Königs Vorgänger Werner Bäuerlein, der "die Turmschreiberei" mit ins Leben gerufen hatte, sowie die fünfte Turmschreiberin Tanja Kinkel, die vor drei Jahren vier Wochen lang hier wohnte und wirkte, gekommen.

Leonhard F. Seidl klärte das Publikum gleich einmal auf, was das rätselhafte F nach seinem Vornamen Leonhard bedeutet. "Das ist ein Unterscheidungsmerkmal zu meinem Papa, der auch Leonhard heißt und der Theaterstücke schreibt und mit seinen Theaterstücken schon Preise gewonnen hat", erklärte der Autor.

Genüsslich erzählte er von einem Literaturstipendium, das er kürzlich gewonnen hat. Auf einer einsamen Hütte in den österreichischen Bergen, 15 Kilometer von der nächsten asphaltierten Straße, hatte er zwei Wochen ohne Strom und Wasser verbracht: "Und da hatte ich nur den Alpensalamander als Nachbarn. " Dann bot er Kostproben aus seinem zweiten Roman "Genagelt", der in Oberbayern spielt, und aus seinem Roman "Fronten", der 2017 erschien. Im Dezember erscheint sein mittlerweile fünfter Roman "Der falsche Schah". 

Zwischen seinen Lesungen gab Leonhard F. Seidl einige Dinge über sich preis. "Ich schreibe gern über die Natur. Naturbeschreibungen halte ich für die größte literarische Kunst. " Leonhard F. Seidl ist ein durchaus politischer Autor, der mutig gegen "Reichsbürger", Verschwörungstheoretiker und Nazis anschreibt. In manchen seiner Bücher, wie im Roman "Mutterkorn", wird dies sehr deutlich. Es sei ihm auch sehr wichtig, "andere Lebenswelten" darzustellen, lautete ein weiteres Statement von ihm.

Dass er im Mai schon mal in Abenberg war, verriet Leonhard F. Seidl ebenfalls. Er werde im Ostturm der Burg arbeiten und dort auch so etwas wie "Literatursprechstunden" anbieten. "Ich treffe mich gerne mit Ihnen", lud er die zahlreichen Zuhörer ein. Dankbar zeigte sich der Turmschreiber, dass er beim und nach dem Corona-Lockdown viel Solidarität erfahren hatte. Seidl übernachtet im Künstlerhaus seines Schriftsteller-Kollegen Billy Wechsler direkt unter der Burg.

Als um 20 Uhr die Glocken der nahen Jakobskirche laut zu läuten begannen, fragte Leonhard F. Seidl Franz Kornbacher: "Wie lange dauert der Werbe-Jingle? " und hatte damit die Lacher auf seiner Seite. "In einer Minute ist es vorbei", antwortete Kornbacher - und der Turmschreiber war zufrieden.

Grinsend erzählte Seidl, dass auch er über einen Migrationshintergrund verfüge, denn als gebürtiger Oberbayer sei er nach Franken, genauer gesagt nach Fürth, gezogen, fühle sich aber auch hier sehr wohl. Beim Reden merkte man ihm durchaus noch an, dass er aus altbayerischen Gefilden kommt.

Für seinen Kurzkrimi "Drachen" , der in Abenberg spielt, habe er "surrealistische Anleihen" genommen, sagte Seidl. "In der Geschichte verschwimmen Realität und Fiktion. " In diesem Abenberg-Krimi geht es um eine Geschichte in der Geschichte, also um mehrere literarische Ebenen. Es geht um einen Ich-Erzähler, der aus dem Schottenturm tritt, mehrere Menschen mit dem Revolver erschießt und es geht um eine geheimnisvolle Gräfin, "die nach Feuer und Erde riecht".

Besonders angetan hat es dem Autor in der "Drachen-Geschichte" ein kreisrunder blauer Swimming-Pool auf der Burg, den es tatsächlich mal gegeben hat. "Der Drachen spiegelte sich im Pool", heißt es in der Geschichte. Den Swimming-Pool hat der Turmschreiber übrigens auf einer alten Postkarte entdeckt. In seiner Story hat er ihm ein literarisches Denkmal gesetzt. Die Geschichte spielt 1983, als ein Freund von ihm vorübergehend auf der Burg gewohnt hat. Sie ist enthalten in der von ihm herausgegebenen Kurzkrimisammlung "Tatort Fränkisches Seenland", zu der acht weitere Autoren Kurzkrimis beigesteuert haben.

Seit 17 Jahren ist Leonhard F. Seidl als Schriftsteller tätig, erfuhr das Publikum. Ein besonderes Vergnügen für ihn und die Zuhörer war es, als seine Vorgängerin im Ehrenamt der Turmschreiberei, Tanja Kinkel, sich spontan bereit erklärte, eine Geschichte von ihm gemeinsam mit verteilten Rollen zu lesen. Das gab Sonderapplaus für die beiden Literaten.

Am Ende bedankte sich Bürgermeisterin Susanne König für das "kurzweilige Vergnügen". Der Applaus des Publikums signalisierte ihr, dass sie mit dieser Bewertung den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Leonhard F. Seidl mischte sich unter die Zuhörer, hörte sich deren "Gschmarri" an und beantwortete bereitwillig Fragen.

HK

Robert Unterburger