Emetzheim
Mit scharfer Klinge

Die Sensenwanderung als ungewöhnliche Form der Walz sorgt bei ihren Teilnehmern für bleibende Erinnerungen

20.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:31 Uhr
  −Foto: Leykamm

Emetzheim - Das Wandern muss nicht immer nur des Müllers Lust sein.

Sie kann auch den Sensenmann befallen. Nein, nicht den, den keiner sehen will. Sondern den, der sich auf das ökologischen Mähen der Wiesen mit scharfer Klinge versteht. Wie jene fünf Herren dies tun, die in diesem Sommer mit ihren Mähgerätschaften gemeinsam auf die Walz gingen und vielen mit ihrer Tätigkeit Freude bereiteten. Und sie selbst haben davon fürs Leben profitiert.

Wie zum Beispiel Werner Kleemann aus Emetzheim bei Weißenburg, seit 2017 ein offizieller Sensenlehrer. Als solcher weiß er, dass das Interesse an dieser seit Menschengedenken bewährten Art, Gras zu kürzen, wieder steigt. Lässt sich mit ihr doch punktgenau arbeiten, so dass kleine Blühflächen zum Beispiel unberührt bleiben können. Was mit dem gestiegenen Naturschutzbewusstsein heutiger Zeitgenossen doch sehr gut korrespondiert.

Warum einigen von ihnen mit dem eigenen Tun nicht mal etwas Gutes tun? "Außerdem wollten wir herausfinden, ob es möglich ist, ohne einen Cent durchs Land zu ziehen und uns dabei Brotzeit und Übernachtung allein durch die Sense zu erarbeiten", sagt Kleemann als Initiator der Aktion. Ob es geklappt hat? Ja, hat es!

Los geht es in Unterammergau - und das aus einem bestimmten Grund, steht dort doch ein Wetzsteinmuseum. Und so ein Wetzstein ist unabdingbar für jedermann, der sich aufs Mähen mit scharfer Klinge versteht. Die muss nicht nur des Öfteren gewetzt, sondern im Vorfeld auch gedengelt werden. Mit einem Dengelhammer gilt es, sie über verschiedene Hülsen auf einem Amboss zu bearbeiten, bis die gewünschte Schärfe erreicht ist.

Das machen die fünf denn auch einen Abend lang, bevor tags drauf am Startort eifrig gemäht wird. Musikalische Motivation gibt es während der weiteren Walz gleich auf zweierlei Art. So reist nicht nur ein Akkordeon mit, sondern mit Nikolas Pfannkuch aus Penzberg auch ein waschechter Opernsänger. Über den Tenor kommt der Kontakt zum Kloster Benediktbeuern zustande, wo er heuer bereits einmal aufgetreten ist. Und so machen sich die Herren nun dorthin auf.

"Da haben wir dann zwei Tage logiert", so Kleemann. Die sind natürlich voll mit Arbeit gespickt, die für die Könner ihres Faches aber eher Leidenschaft ist, wenn nicht gar eine Form der Meditation, wie der Emetzheimer andeutet.

Über die nächste Station braucht man gar nicht lange sinnieren. Es ereilt sie der Ruf in den Landkreis Miesbach, aus dem mit Georg Hahn auch einer der Sensenwanderer stammt. Dort machen sie sich mit ihren Sensen über eine Bergwiese her, genießen eine Brotzeit als Belohnung und kostenlose Unterkunft dazu, bevor die fünftägige Walz der fünf Herren (die Runde komplettiert haben dabei Christof Lorenz aus dem Raum Aschaffenburg und Arnold Palmer aus Baden) sich dem Ende zuneigt.

"Das hat sich einfach gut angefühlt", sagt Kleemann sichtlich zufrieden. Für ihn aber nur ein Anfang. "Ziel ist es, auf diese Weise einmal durch ganz Deutschland zu ziehen. " Doch wie sich das Projekt wirklich entwickelt, sei derzeit noch völlig offen. "Vielleicht werden wir bald noch mehr Wanderer oder wir schrumpfen auf ein Duo zusammen - das weiß noch keiner. " Seiner Sensenlehrertätigkeit aber will er auf jeden Fall treu bleiben.

Auch der neunjährige Sohn Mika ist schon mit Feuereifer dabei. Gemeinsam demonstrieren sie beim Pressetermin das "Schlagdengeln für Einsteiger" als einfachste Form ebenso wie das "österreichische Dengeln" als schwierigste. Die passenden Dengelhocker hat Werner Kleemann selbst gezimmert. Zu jeder Variante gibt es das entsprechende Möbel. Zum Einsatz kommt die Sense unter anderem auf einer Streuobstwiese, das Gras bekommen Schäfer.

Zum Dengeln und Sensenmähen wurde der im Maschinenbau tätige Schlosser durch seinen Vater inspiriert. Heute beherrscht der Sohn alle Techniken und vermittelt Können und Wissen gerne weiter. Doch selbst er ist gegen Missgeschicke nicht gefeit. Erst kürzlich hat sich der Sensenlehrer beim Abhalten eines Kurses selbst in den Finger geschnitten. "Darauf musste ich fünfmal genäht werden. Da wäre ich zwar erst gern im Erdboden versunken, doch der Respekt der Kursteilnehmer vor der Schneide hat sich durch diesen Vorfall drastisch erhöht", schmunzelt der 45-Jährige. Das Mähen mit der Sense selbst "ist für mich eine Art der Entschleunigung, da wird man wieder geerdet". Das Tempo gäben das Werkzeug und die Grasbeschaffenheit vor.

Mit seiner Leidenschaft "infiziert" sei er im Allgäu worden. Genauer gesagt bei seiner Ausbildung in Wangen, dem Hauptsitz des Sensenvereins Deutschland. Er hat mittlerweile rund 100 Mitglieder, 30 davon sind aktive Sensenlehrer, die sich über ganz Deutschland verteilen. Seinen ersten eigenen Kurs hielt Kleemann an seinem Heimatort ab und vergrößerte seither stetig seinen Wirkungskreis. Große Unterstützung erfährt er seiner Frau Heike. Auch wenn er die Sensenblätter in seiner Werkstatt gerne mal "meine Mädels" nennt.

Die Kursteilnehmer kommen aus verschiedensten Gesellschaftsschichten und Generationen. Viele "regen sich über Freischneider und Rasenmäher auf", so Kleemann. Sie wollten punktgenau zu Werke gehen und die Margeritenstaude oder den Baum richtig ausmähen können.

"Ich bin mein eigener Herr und brauche mich nur dem Gras unterzuordnen", schildert der Sensenlehrer, was ihn an seinem Nebenberuf so fasziniert. Anstrengend sei das Mähen eigentlich nie - und wenn doch, dann sei das Gerät falsch eingestellt. Und natürlich kommt auch er an einer bestimmten Assoziation nicht vorbei. Doch da steht er darüber. "Wenn wieder mal einer sagt: Jetzt kommt der Sensenmann. Dann antworte ich bloß noch: Das ist mein Kollege! Wenn der vorbeikommt, dann wird es richtig schneidig! "

HK